Es waren die längsten Standing Ovations in der Geschichte der Oscars, die Verleihung der goldenen Statue für das Lebenswerk von Charlie Chaplin im Jahr 1972. Eine denkwürdige Ehrung für jenen Mann, der die Herzen der Amerikaner als Charlie der Vagabund in seinen Filmen im Sturm erobert hatte und gleichzeitig eine Art Wiedergutmachung gegenüber dem gleichen Mann, der im Zuge der Kommunistenhetze der McCarthy-Ära Anfang der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts des Landes verwiesen wurde. Es ist eine wahrhaft rührende Szene wie er auf der Bühne steht und ihm die Gefühle aller Gäste der Oscar-Verleihung entgegen schwappen. Wer dieses Ereignis visuell nachvollziehen will; Aufnahmen davon sind – wie so viele weitere von Chaplin – auf YouTube abrufbar.

Wer sich jedoch so richtig ins Wechselbad der Gefühle stürzen möchte, der begibt sich – sofern es seine Zeit und sein Geldbörsel zulassen – nach Corsier-sur-Vevey. Hier am Genfer See verbrachte der große Star des amerikanischen Kinos gemeinsam mit seiner um 36 Jahre jüngeren Frau Oona Chaplin (geborene O’Neil) und ihren acht Kindern seine letzten 25 Jahre. Seit April diesen Jahres steht das ehemalige Wohnareal der Familie zur Besichtigung offen.

Multimediale Pilgerstätte

BesucherInnen können auf dem rund 1.800 umfassenden Areal der so genannten Chaplin World umherstreifen und in aller Ruhe private Einblicke in das ehemalige Wohnhaus der Familie Chaplin tätigen oder Auszüge und Kulissen aus seinen filmischen Arbeiten nochmals unter die Lupe nehmen. Für einen relativ freundlichen Eintrittspreis von 16 Schweizer Franken (umgerechnet ca. 15 Euro) soll das Areal samt großzügiger Gartenanlage – das die Grenze zum oberflächlichen, kitschigen Vergnügungspark bei anfänglicher Befürchtung gerade noch nicht überschreitet – in den nächsten Jahren zu einer Pilgerstätte für Chaplin-Fans aus aller Welt werden. Und das waren und sind nicht wenige. So bekundeten im Laufe der Geschichte u.a. auch Winston Churchill, Albert Einstein und Michael Jackson (letzterer soll sich im Übrigen von Chaplin für seinen Tanzstil die Inspiration geholt haben) Fans gewesen zu sein.

Doch nicht alle Menschen waren dem harmlos wirkenden Komiker mit dem kleinen Hut und der großen Hose, die er in seinen Filmen trug, gegenüber wohlwollend eingestellt. Viele versuchten ihm aufgrund seiner pazifistischen und antimilitaristischen Haltung mit massiven Kampagnen zu schaden. Denn bei all den artistisch-pantomimisch ausgefeilten Einlagen, die Chaplin in seinen Filmen hinlegte, und so Generationen zum Lachen verleitete, verstand er es meisterhaft für die Massen tauglich und unterhaltsam Sozialkritik zu üben. In vielen seiner Arbeiten stellt er sich gegen die Autorität und zeigt das Elend auf, das die Menschen durch Krieg und Armut zu erdulden haben. Ein Elend, das der 1889 in einem heruntergekommenen Viertel Londons als Charles Spencer Chaplin Geborene nur zu gut kannte.

Für seine Filme ließ er sich von jenen Straßen inspirieren, die er in seiner Kindheit kennengelernt hatte. Es sind die Straßen durch die er mit seinem Findling in „The Kid“ zieht oder jene, in der er es als Polizist mit grobschlächtigen Verbrechern in „Easy Street“ zu tun bekommt.

Nicht nur Freunde

In der Chaplin World flimmern Ausschnitte daraus über die Leinwand des hauseigenen Kinosaals. Gegen Ende der Vorführung, die Standing Ovations bei den Oscars sind vorüber, fährt die Leinwand in die Höhe und man ist eingeladen in die Straßen-Kulisse der Easy Street einzutreten. Ein ohne Zweifel rührender Moment. In der Folge heißt es in jener armseligen Holzhütte aus „Goldrush“, in der Charlie solch bittere Kälte und Entbehrung erlebt, hin und her zu schwanken oder sich in einem Friseurstuhl unter die findigen Hände von Charlie – dem jüdischen Friseur aus „Der Diktator“ – zu begeben.

Übrigens jener Film, der Chaplin große Probleme in Amerika bescherte. „Niemand in Hollywood wollte etwas mit dem Krieg zu tun haben“, so Chaplin einst. In konservativen Kreisen wurde mitunter sogar mit Hitler sympathisiert, weil man sich von dem Diktator ein Bollwerk gegen den Kommunismus versprach. Vor dem Hintergrund dieses aufgeheizten Weltklimas erhebt Chaplin erstmals seine Stimme und spricht als Diktator leere nichtssagende Worthülsen, die ausschließlich Hass transportieren. Ein Ausschnitt der Filmszene verdeutlicht den Besuchern, warum Chaplins Filme auch heute noch bei vielen Menschen so beliebt sind. Seine cineastischen Werke, die ihre Stärke vor allem aus dem Hin und Her, dem ineinander gleiten von rührenden und komischen Szenen schöpfen, haben bis heute nicht ihre Aktualität verloren. Es sind die künstlerischen Arbeiten eines Mannes, der Weinen und Lachen als Antipoden des Hasses und des Terrors verstanden hat. Als ihn der Hass, der ihm von vielen entgegenschwappte, schließlich aus Amerika vertrieben hatte, fand er am Genfer See ein neues Zuhause. Chaplin soll hier die glücklichste Zeit seines Lebens verbracht haben. Gestört wurde er allerdings immer wieder von einem nur wenige Meter entfernt befindlichen Übungsgelände für Schützen – eine ungewollt nahezu ironische Fußnote im Leben des Pazifisten.

Chaplin’s World
Route de Fenil 2
1804 Corsier-sur-Vevey
Suisse
Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag, 10 Uhr bis 18 Uhr (Kassenschluss: 17 Uhr)
Eintritt: 16 CHF / ermäßigt 12 CHF
http://www.chaplinsworld.com/de

Geschrieben von Sandra Schäfer