Es gibt Stücke, die sind wie für kleine Bühnen gemacht. Auch wenn das „Theater Delphin“ eher ein Spielraum als eine Bühne ist und auch wenn das vom „TheaterArche“ dargebotene Stück eigentlich gar kein Stück ist – zumindest kein vom Autor als solches konzipiertes – passt „Daniil Charms. Das ist eigentlich alles“  perfekt in die kleinen Räumlichkeiten in der Blumauergasse. Gespielt wird in einem Raum nebst dem Hinterhof. Statt einem Stück erwarten die Zuseher gleich mehrere Bruch-Stücke eines Alltags – eines Alltags, der im Falle der kurzen Geschichten Daniil Charms gar nicht so alltäglich ist. Vielmehr skurril, grotesk oder gar absurd gestaltet sich das Treiben in den oftmals nur wenige Zeilen umfassenden Texten des avantgardistischen russischen Autors. Zu Lebzeiten veröffentlicht wurde von dieser Ansammlung aus Lyrik und kurzer Prosa lediglich zwei Gedichte.

Als Kritiker einer ideologisierten Kunst stand der 1942, während der Blockade Leningrads durch die Deutschen im Gefängnis verhungerte Charms, der eigentlich Daniil Ivanovic Juvacev hieß, zu Lebzeiten im Schatten systemkonformer Kollegen. An Tragik fehlt es auch in seinem Werk nicht: Von alten Frauen, die aus Fenstern fallen, von Gewalt gegenüber seinen Gästen, von Streitereien unter Freunden – Charms Prosa und Lyrik ist durchzogen von Willkür, dem Verlust von Freiheit bis hin zur physischen und psychischen Verkrüppelung des Menschen – stets gewürzt mit einer Brise Humor. Ein Humor, der eher an das Lachen eines zum Tode Verurteilten erinnert, denn an die Fröhlichkeit der Spaßgesellschaft. Wer das Schenkelklopfen eines Bierzelts sucht, der wird enttäuscht sein. Wer allerdings versteht, Sätzen wie „Ich weiß nicht, warum alle denken, ich sei ein Genie“ etwas Komisches abzugewinnen oder sich am Spiel mit Bedeutungen erfreut, der ist hier richtig. Ausnahmsweise darf man beziehungsweise frau auch als Feminist_in über offen vorgetragenen Sexismus lachen. Als Pazifist darf man sich über so manche Watsche freuen.

Gearbeitet wurde unter anderen mit den Mitteln des Bewegungstheaters. Nagy Vilmos (Regie, Dramaturgie und Raumkonzept), der die literarischen Miniaturen für die Bühne adaptierte, setzt auf das Spiel mit Mimik und überzeugt nicht zuletzt mit der Art und Weise mit der die Vielzahl der Kurzgeschichten ineinanderfließen. Zwei Szenen werden zur Gänze in russischer Sprache gespielt – dem Verständnis tut dies auch für nicht des Russischen kundige Besucher keinen Abbruch.
Dem Ensemble gelingt es mit einfachen Mitteln – von diversen Sesseln bis hin zu einer Ansammlung von Regenschirmen – große Wirkung zu erzielen. Mit zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler ist die Zahl der Akteure für ein derart kleines Theater relativ groß ausgefallen. Der Background der einzelnen Mitglieder ist unterschiedlich. Entstanden ist das Stück aus einem wöchentlichen Schauspieltraining für Künstlerinnen und Künstler diverser Sparten sowie theateraffine Laien. Was die Gruppe bietet, ist höchst professionell, unterhaltsam und eine gelungene Abwechslung in der vielfältigen Wiener (Off)-Theaterszene. Frisch, frei und leider finanziell unterdotiert. Unbedingt anschauen!

DAS IST EIGENTLICH ALLES
Szenische Collage nach Miniaturen von Daniil Charms
Noch am 15. und 16. Mai 2018 jeweils 20 Uhr
Theater Delphin, Blumauergasse 24
1020 Wien
Mit Jörg Bergen, Elisabeth Kofler, Bozena Wanda Kunstek, Peter Matthias Lang, Corinna Orbesz, Miriam Papst, Liudmila Puhachova, Barbara Schandl, Johannes Scherzer, Cornelia Scheuer, Florian-Raphael Schwarz, Alla Stöckl und mit den Stimmen von Bernhardt Jammernegg und Jakub Kavin
www.theaterarche.at

© Fotos: Jakub Kavin

Geschrieben von Sandra Schäfer