Köpfe werden eingeschlagen, Kniescheiben zertrümmert, Häuser mit Kindern darin angezündet und gleich zu Beginn stirbt eine Dorfbewohnerin an den Folgen der Geburt – Felix Randaus auf Fakten beruhende filmische Rekonstruktion der letzten Tage im Leben des Ötzi ist nichts für Zartbesaitete. Das Leben in der Steinzeit war hart; die Natur eine den Menschen beherrschende Gewalt: Für den Film eingefangen an Originalschauplätzen in Südtirol im Cinemascope-Format. Enge Schluchten, dunkle Wälder und eisige Höhen – gnadenlos schön wirken die Bilder, die Kameramann Jakub Bejnarowicz für den ersten Spielfilm über Ötzi auf Film gebannt hat. Manchmal sind Nässe und Kälte im Kino regelrecht spürbar.

Zeit für gemütliche Abende am Lagerfeuer in familiärer Idylle hat Randau offensichtlich keine eingeplant. Der deutsche Regisseur, von dem auch das Drehbuch stammt, und sein Team konzentrieren sich auf wenige Tage im Leben des Steinzeitmenschen. Von der Ermordung dessen Sippe durch eine kleine Gruppe von Plünderern über die atemlose Verfolgungsjagd der Täter bis hin zu Ötzis Tod. Ein Tod, der 5.300 Jahre nach seinem Geschehen weltweit für Aufsehen sorgte. Der Mann aus dem Eis, der 1991 von zwei Wanderern in den Ötztaler Alpen gefunden wurde, gerät zum Sensationsfund. Bis heute liefert der gut erhaltene Körper des 1,60 Meter großen Steinzeitmenschen den Wissenschaftlern regelmäßig neue Erkenntnisse über das Leben an der Wende zur Kupferzeit. Erkenntnisse, die Randau quasi als fixe, von der Wissenschaft vorgegebene Orientierungssäulen in die Handlung einbaute. Beraten wurde das Filmteam in punkto Fakten u.a. von Angelika Fleckinger und ihren Mitarbeitern im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen.

Dreharbeiten nach wissenschaftlichen Erkenntnissen

Seit 1998 widmet sich das Museum auf drei Etagen mit regelmäßig stattfinden interdisziplinären Forschungsprojekten dem Leben des Mannes aus dem Eis. Erst kürzlich wurde im Rahmen eines Projektes mit einer Gruppe von Profilern der Kriminalpolizei München eine Untersuchung über seine letzten Lebenstage durchgeführt. Das Team nimmt an, dass Ötzi ein paar Tage vor seinem Tod in einen Nahkampf verwickelt war aus dem er zwar verletzt aber als Sieger hervorgegangen ist. Als Beleg dient den Ermittlern unter anderem eine Verletzung an der Hand, die typisch für eine bestimmte Abwehrbewegung ist.

Randau lässt diese Untersuchungen in die fiktionale Geschichte einfließen, in dem er Ötzi mehrmals für ihn erfolgreich gewalttätige Auseinandersetzungen bestreiten lässt, bevor es zum tödlichen Schuss mit einem Pfeil aus dem Hinterhalt auf ihn kommt. Ötzis Tod erfolgt laut Wissenschaft sowie dementsprechend auch im Film schnell. Eine Einschätzung, zu der die Forscher aufgrund der Verletzung an Ötzis Körper gelangten. Das Vorhandensein diverser Gegenstände, die Ötzi mit sich führte – neben Werkzeugen zum Instandhalten der Waffen und zum Feuer machen ein wertvoller Dolch, ein Kupferbeil sowie ein Bogen – schließen zudem einen Raubmord aus.

Arbeit mit originalgetreuen Rekonstruktionen

Die Waffen, Werkzeuge sowie die Kleidung des Steinzeitmenschen wurden für den Film in Anlehnung an ihre Vorbilder liebevoll rekonstruiert und erzeugen so ein authentisches Bild jener Zeit.
Nicht auf Originalfunde zurückgreifen konnte das Team hingegen bei der Rekonstruktion des Dorfes, in dem die Geschichte ihren Anfang nimmt. Da aus dem Alpenraum das Aussehen der Gebäude dieser Epoche durch keinerlei Funde belegt werden kann, orientierte man sich an den Häusern wie sie in der Region um den Bodensee um 3.000 vor unserer Zeitrechnung üblich waren.

Unklarheiten herrschen bis heute auch bezüglich der Sprache der Region zu Ötzis Zeiten. Der Schweizer Sprachforscher Chasper Pult vermutet, dass es sich um eine frühe Form der rätoromanischen Sprache gehandelt haben muss. Für die Dreharbeiten kreierte er aus alten Inschriften und rätischen Wörtern, die heute noch in der Region gebräuchlich sind, eine eigene Sprache. Die wenigen Sätze, die die Zuseher (ohne eingeblendete Untertitel) zu hören bekommen, sind aus der Handlung heraus verständlich.

Alles in allem liefert „Der Mann aus dem Eis“ ein stimmungsvolles Bild einer Zeit, in der Leben und Tod nahe beieinander lagen, die Menschen misstrauisch und die Gier groß war. Eine Zeit, weniger weit entfernt als man im ersten Moment glauben mag. Wie es sich wirklich zugetragen hat – ob es sich tatsächlich um einen Überfall aus Gier handelt, der Ötzi als Folge zu seinem Rachefeldzug aufbrechen lässt, wie uns im Film vermittelt wird – wird sich auf immer unserem Wissen entziehen. Der Einzige, der weiß, wie es sich zugetragen hat, schläft als weltweit am besten konservierte Feuchtmumie in einer Kühlkammer im Archäologiemuseum in Bozen den Blicken von jährlich 250.000 Besuchern ausgesetzt seinen ewigen Schlaf. Doch zur Ruhe gekommen scheint er bis heute nicht. Weitere Filmprojekte sind angeblich geplant.

Der Mann aus dem Eis. Ein Film von Felix Randau. Mit Jürgen Vogel, Susanne Wuest, Violetta Schurawlow, André Hennicke, Franco Nero, Anna F. uv.m. Deutschland/Italien/Österreich 2017. 93 Minuten.

Kinostart: 7. Dezember 2017

Südtiroler Archäologiemuseum
Museumstraße 43, Bozen
Tel.: +39 0471 320100
Di bis So 10.00 bis 18.00 Uhr, Juli, Aug, Dez auch Mo
www.iceman.it

Titelbild: Kelab (Jürgen Vogel) © Port au Prince Pictures, Martin Rattini

Geschrieben von Sandra Schäfer