Von der griechischen Tragödie bis hin zu Star Wars – manchmal sehen Menschen mit verbundenen Augen einfach mehr. Was ist Realität, was ist Imagination? Graf Wetter vom Strahl hat, so wirkt es gleich zu Beginn, ordentlich eins auf den Schädel bekommen. Mit Verband über den Augen wird der junge Mann bewusstlos auf die Bühne getragen. Die erste Orientierung fällt schwer. Dem Publikum noch mehr. Spätestens jedoch wenn der offenkundig vom Leben Gezeichnete seinen Verband abgestreift hat und sich den Richtern und Herren der Anklage stellt, ist man mitten in Kleists seltsamen Ritterschauerspiel „Käthchen von Heilbronn“ angelangt. An der Komplexität der Kleist’schen Welt verändert sich freilich auch durch die Bearbeitung – Überschreibung wie Gernot Plass seine Arbeit am Drama nennt – wenig. Selbst dann, wenn die Version von Plass im Laufe des Abends manchmal mehr an einen Action-Film, denn an einen Klassiker der deutschen Bühne erinnert.

Temporeich und voll mit Wortwitz steuert die Handlung ihrer befreienden Auflösung entgegen. Dass in den zwei Stunden kein einziges Mal Langeweile aufkommt, ist zum einen den spritzigen (gelegentlich mit derben Schenkelklopfern – dem Publikum gefällt’s – gespickten) Dialogen und zum anderen der durchwegs hervorragenden Leistung der Schauspielerinnen und Schauspieler zu verdanken.

Mit Witz und Tempo zwischen Traum und Realität

Im Zentrum dieses romantisch-mystischen Verwirrspiels brillieren Raphael Nicholas als Graf Wetter vom Strahl und Nancy Mensah-Offei als ebenso anziehendes wie seltsames Käthchen. Das siebzehnjährige Mädchen hat sich für ihre Umwelt und den Grafen selbst unverständlich diesen zu Füßen geschmissen und verfolgt ihn auf Schritt und Tritt. Selbst als der edle Herr vom Strahl, der den Reizen der Bürgerstochter zwar nicht abgeneigt ist, aber diese trotzdem mit Füßen tritt, sich dazu entschließt eine andere Dame zu ehelichen, weicht das junge Mädchen ihm nicht von der Seite. Die Konkurrentin Kunigunde von Thurneck nimmt es mit böser Gelassenheit.
Die angebliche Verwandte eines gewissen Kaisers und Verlobte des Grafen wird von Elisabeth Veit mit übertriebener Divenhaftigkeit zum Brüllen komisch gespielt. Selbst als Entführungsopfer – als dieses wird sie von vom Strahl befreit – versteht sie es ihrem mumienhaften Kostüm noch eine gewisse Eleganz abzuringen. Die Szene, in der Entführer und zufällig an den Ort des Geschehens gelangte Befreier aufeinandertreffen, zählt zu den witzigsten im Stück. Ein bisschen fühlt man sich – ob der turbulenten und doch mit trockenem, ans Absurde grenzendem Humor durchzogenen Ereignisse – an einen Tarantino-Film erinnert.
Immer wieder stolpert Georg Schubert als schwäbischer Herbergen-Betreiber durch das minimalistisch gehaltene Bühnenbild der Gastwirtschaft (das Hotelzimmer wird durch eine kleine Sesselgruppe und eine Stehlampe dargestellt). Nur eine der sieben Rollen, die der Schauspieler im Lauf des Abends verkörpert. Vom Vater von Käthchen – dem Waffenhändler Friedeborn – bis hin zur überkandidelten Tante: Schubert versteht es das Publikum zu überzeugen. Dieses gab sich am Premierenabend begeistert. Es scheint als seien Plass’ Überarbeitungen klassischer Stücke mittlerweile selbst schon zu einem Klassiker der Wiener Theaterlandschaft avanciert. Als Erkundigungen des Innenraums möchte der Autor und Regisseur seine Stücke verstanden wissen. „(Ein) Käthchen. Traum“ gerät dabei zur Einbildung – zur Kopfgeburt eines Verwirrten. Das Ich wird zur Begegnungszone einer Reihe seiner selbst. Und mitten drin in diesem allgemeinem Wirrwarr Kleists Gegenpol zur Penthesilea unerschrocken auf das Schicksaal vertrauend; die Figur des Käthchen – nur ein Traum?

(Ein) Käthchen.Traum
oder der seltsame Fall aus Heilbronn
Mit Nancy Mensah-Offei, Raphael Nicholas, Elisabeth Veit, Sven Kaschte, Alexander Braunshör, Georg Schubert und Jens Claßen
Di 28. Februar, Fr 3., Sa 4., Mo 6., Mi 8., Do 9. + Fr 31. März, Sa 1. (anschl. Publikumsgespräch), Mo 3., Di 4., Mo 24. und Di 25. April 2017, 20.00 Uhr

TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße)
Gumpendorfer Straße 67
1060 Wien
Tel: +43 / 1 / 586 52 22
http://dastag.at

© Fotos: Anna Stöcher

Geschrieben von Sandra Schäfer