Es zählt zu den absurdesten und gleichzeitig aussagekräftigsten Aufnahmen im Film: eine kleine Gruppe von Spaziergängern blickt auf zwei Männer in Schutzanzügen, die den Staub, der sich am Rande des Weges angesammelt hat, mit Schaufeln zusammenkehren. Was man an diesem seltsamen Bild nicht erkennen kann, ist die Gefahr, die von den winzig kleinen Staubpartikeln ausgeht. Die an diesem Tag gemessene Strahlenbelastung liegt bei 44,7 Mikrosievert/Stunde – zum Vergleich gilt ein Wert als 0,001 Mikrosievert/Stunde als normal. Doch normal ist in der Region Fukushima seit dem 11. März 2011 als ein Tsunami die Gegend verwüstete und es in Folge zu einer Kernschmelze von drei der fünf Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi kam nichts mehr. Auch wenn die 57.000 verbliebenen Bewohner der Stadt Minamisōma nach ihrer Teilung (in eine Sperrzone und für bewohnbar erklärte Gebiete) versuchen so gut es geht die Normalität aufrecht zu erhalten, sind die Folgen der Katastrophe unschwer zu leugnen. Was diese Menschen dennoch dazu veranlasst ihr Leben und das ihrer Kinder aufs Spiel zu setzen, ist der deutsche Dokumentarfilmer Thorsten Trimpop in seiner Doku „Furusato“ nachgegangen.

Die Antwort steckt bereits im Titel. Das japanische Wort „Furusato“ bedeutet Heimat – mehr noch: eine Heimat, mit der man von Geburt an bis in den Tod verbunden ist – nicht selten, eine Heimat für Generationen.

Warum sie bleiben

Bereits in der 47. Generation betreuen Shouzon Noda und seine Frau Sakura Noda den buddhistischen Shinshoji-Tempel im Stadtteil Haramachi, knapp außerhalb der 20 km großen Sperrzone. Weggehen will das Ehepaar ebenso wie die meisten ihrer Freunde nicht.
Seine Heimat verlassen konnte auch der Pferdezüchter Tukuei Hosokawa nicht. Seit über 100 Jahren betreibt seine Familie in der Region Fukushima eine Pferdezucht. Die Sorge um die Tiere, die ohne ihn zu verhungern drohten, veranlasste ihn zum Entschluss die Notunterkunft zu verlassen und auf seinem Hof zu bleiben. Obwohl viele der Tiere in den vergangenen Jahren in Folge der Strahlenbelastung elendig zugrunde gegangen sind, baut Herr Hosokawa seinen Hof weiter aus. Seine Tochter Miwa hat nach der Katastrophe ihren Job in Tokio gekündigt um den Vater zu unterstützen. Um die Gefahren weiß die junge Frau, die sich eines Tages Kinder wünscht, Bescheid. Doch der Drang das Familienunternehmen zu retten ist größer.
Nichts sehnlichster als eine Familie wünscht sich auch der Musiker Kasuki Matsumoto. Zwei Mal hat er versucht seiner Heimatstadt den Rücken zu kehren. Doch bis jetzt ist es ihm nicht gelungen woanders Wurzeln zu schlagen – immer wieder ist er nach Minamisōma zurückgekehrt.

Mit Thorsten Trimpop haben diese Menschen über ihre Wünsche für die Zukunft gesprochen. Diese unterscheiden sich nicht von denen anderer Menschen anderswo. In Fukushima versucht man mit der Radioaktivität zu leben. Strahlenbelastungswerte werden zwar wie das Wetter im Radio verkündet, die Zahlen jedoch zu meist zu niedrig angegeben, zeigt sich der Aktivist und buddhistische Mönch Bansho Misura besorgt. Immer wieder macht er während der Dreharbeiten die Menschen auf die Gefahren aufmerksam. Ein schwieriges Unterfangen – die Bewohner wollen trotz allem ihre Traditionen aufrecht erhalten. Dass radioaktiver Staub beim Staffellauf für Kinder oder beim traditionellen Reiterfest der Samurai aufgewirbelt wird, ist in der Öffentlichkeit kein Thema. Ebenso scheint die Regierung den Vorfall herunterzuspielen.

In der Sperrzone stapeln sich einstweilen die schwarzen Plastiksäcke mit radioaktiven Partikeln. Etwas, dass die Weltöffentlichkeit kaum mehr zu interessieren scheint. Auch wenn die Übertragungswagen der Nachrichtensender längst weitergezogen sind, so harrt die Bevölkerung aus. Ein Kinderchor singt: „Ich liebe Fukushima, ich gehe hier nicht weg.“ Unweigerlich drängt sich die Frage auf: Was würde man selbst tun. Eine Frage, die man hoffentlich niemals beantworten muss.

Traditionelles Samurai-Reiterfest in Minamisoma

Furusato – Wunde Heimat. Ein Film von Thorsten Trimpop. Deutschland 2016. 93 Minuten.

Kinostart: 09. März 2018

Geschrieben von Sandra Schäfer