Bereits die Ankündigung versprach eine museale Materialschlacht: 40.000 Jahre Menschheits-geschichte mit einem Schwerpunkt ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mehr als 2.000 Objekte von privaten, lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Leihgeberinnen und Leihgebern, 3.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Bei solchen Ankündigungen drängt sich die Frage auf: Wie soll man so eine Ausstellung überhaupt bewältigen? Man kann – zumindest über weite Strecken – wenn man einiges Vorwissen und eine gute Schau- und Lesekondition mitbringt. Langweilig wird einem jedenfalls nicht, man ist nur gut beraten, wenn man sich auf einige der elf Cluster zu wichtigen Themen der Menschheits-geschichte beschränkt und einen zweiten Besuch ins Auge fasst, denn die Fülle der interessanten Objekte verführt zu längerem Verweilen in den einzelnen Ausstellungsabschnitten.

Drahtschere und Fluchtflugzeug

Die Ausstellungsmacher hatten zweifellos die Qual der Wahl, konnten sie doch aus sechs Millionen Objekten der Landessammlungen Niederösterreich, aus 700 Ausstellungshäusern und historischen Ausstellungen in Niederösterreich und aus einer Sammelaktion, bei der für die Schwerpunktausstellung zur Ersten Republik um die 3.000 Objekte angeboten wurden, auswählen. Und es gibt eine Fülle herausragender Dinge – vom Faksimile des österreichischen Staatsvertrags über die Drahtschere, mit der Alois Mock als Außenminister symbolisch den Eisernen Vorhang durchtrennte, bis hin zum Fluchtflugzeug eines Tschechoslowaken, mit dem dieser 1988 nach Österreich flüchtete. Zimelien (z.B. besondere Dokumente mit Unikat-Charakter; Anm.) aus der Zeit der Habsburger und der Frühgeschichte des Landes vermitteln ein dichtes Bild.

Museums-App und andere Orientierungsräume

Die knappen zweisprachigen einleitenden Thementexte (Deutsch/Englisch) sind gut verständlich und auch die Objektbeschreibungen sind sehr übersichtlich. Herausragende Objekte werden zusätzlich durch eine Museums-App erklärt, die man sich kostenlos am Beginn des Rundgangs oder schon vor dem Museumsbesuch auf sein Smartphone laden kann.

Die Architektur von PLANET architects hält die Themencluster durch eine klare Farbcodierung und eigens geschaffene Orientierungsräume meist inhaltlich recht gut zusammen, aber es kommt trotzdem hin und wieder vor, dass man sich bei der Fülle der Objekte, die in den einzelnen Themenbereichen präsentiert werden, dann doch verirrt und sich auf einmal in einem anderen Themencluster befindet. Hier sollte die Besucherführung nachgeschärft werden. Dies gilt auch für die interaktiven Bereiche, in denen die Besucherinnen und Besucher nicht immer gut zum Interagieren angeleitet werden. Für Eilige, die sich einen raschen Überblick verschaffen wollen, gibt es ebenso Führungen wie für Schulklassen, für die ein breites Programm vorbereitet wurde. Insgesamt stehen 15 Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittler zur Verfügung, sodass das Publikum sehr gut betreut wird. Kleiner Wermutstropfen: es gibt keinen Katalog zur Dauerausstellung.

Die umkämpfte Republik. Österreich 1918 – 1938

Die Dauerausstellung im Haus der Geschichte wird anlassbezogen immer wieder mit Wechsel- und Schwerpunktausstellungen ergänzt. Aus Anlass des bevorstehenden Jubiläums 100 Jahre Republik widmet sich die erste Sonderausstellung bis 24. März 2019 der Geschichte Österreichs in der Zwischenkriegszeit, von der Republikgründung 1918 bis 1938. Auf rund 550 m² Ausstellungsfläche wird hier eine dicht gepackte Ansammlung von Objekten präsentiert, die die innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Situation bis hin zur außenpolitischen Positionierung Österreichs (mit Schwerpunkt „Anschluss 1938“) darzustellen versucht. Die knappen Ausstellungstexte sind stark vereinfachend und vermitteln den Eindruck, das sei der kleinste gemeinsame Nenner des personell sehr vielschichtigen Ausstellungsteams gewesen – damit landet man in einigen Bereichen bei der Konkordanzgeschichts-schreibung, in der z.B. ein Engelbert Dollfuß zwar die Ausschaltung des Parlaments betrieb, aber durch seine Ermordung durch die Nationalsozialisten quasi rehabilitiert wird. Man erschlägt die Besucher mit einer Materialfülle – vor allem bei den Fotos – die nicht unbedingt den Besuch erleichtert. Etwas Abhilfe schafft der Katalog zu Ausstellung, der dank instruktiver Beiträge namhafter Historikerinnen und Historiker auf knapp 400 Seiten ein differenzierteres Bild vermittelt. Bezeichnenderweise wird der Besuch der Ausstellung erst für Jugendliche ab 13 empfohlen.

Dieser Artikel wurde erstmals am 21. September 2017 in der Kulturwoche veröffentlicht.

Museum Niederösterreich
Kulturbezirk 5
3100 St. Pölten
Di bis So, Feiertage 9.00 – 17.00
Mo (exkl. Feiertage) geschlossen
Schulklassen nach Voranmeldung ab 8.00

Kontakt für die Führungen und Vermittlungsangebote:‘
Martina Deinbacher
Besucherservice
T +43 2742 90 80 90-998
martina.deinbacher(at)museumnoe.at

Geschrieben von Alfred Stalzer