Es gab noch keine Mobiltelefone, von Facebook, Pinterest & Co keine Spur und das Internet steckte noch in den Kinderschuhen. Trotz allem lässt „mid90s“ wenig Platz für verklärte Schwärmereien bezüglich der (eigenen) jugendlichen Vergangenheit. Der erste Spielfilm, bei dem der amerikanische Schauspieler Jonah Hill („The Wolf of Wall Street“, „21 Jump Street“, „Superbad“ (2007), „Django Unchained“) Regie führte, geht zu sehr unter die Haut, um sich als ZuseherIn in oberflächlichen „So war das damals“-Sentimentalitäten zu suhlen.

Aufzuwachsen ist in jeder Zeit brutal, so könnte die Message lauten – hätte der Film eine. Moralisierendes oder Pathetisches sucht man vergebens, erklärende Szenen zum Verhalten einzelner Akteure sind spärlich und zurückhaltend gesät. Die Kamera, mehr mittendrin im Geschehen als dieses beobachtend, hält den Fokus auf Stevie (Sunny Suljic) – ein 13jähriger Junge, der sich hinaus in die Welt wagt.
Über die Kindheit, die er hinter sich lässt, erfährt man kaum etwas. Der Vater scheinbar nicht existent, die junge Mutter wirkt trotz – wie man vermuten darf – nicht immer leichter Lebensumstände fürsorglich, der Bruder lässt seinen Frust in Form von Schlägen an dem kleinen Bruder aus. Stevie hat gelernt einzustecken. Etwas, dass ihm auch in der Welt außerhalb der heimischen vier Wände zu Gute kommt. Wagemutig pirscht er sich von Szene zu Szene immer näher an eine Gruppe von Skatern heran, die er bewundert.

„Es ist ein Film über das menschliche Tierreich und seine Gesetze. Ein Junges begibt sich in eine Gruppe, wo es lernt zu überleben und sich seinen Platz zu erkämpfen“, beschreibt Hill die Handlung seines ersten Films.

Gedreht wurde an den Plätzen seiner Kindheit in L.A. Allen voran dem Gerichtsgebäude, wo schon Hill sich Mitte der 90er im Skaten versuchte. In „mid90s“ übernehmen die Rolle der Jungs Profiskater – unter ihnen auch Skater und Rapper Na-Kel Smith (in seiner ersten Filmrolle), der den talentierten Ray mimt. Anders als die anderen Jungs in der kleinen Gang, die Stevie nach und nach nicht zuletzt aufgrund seines mutigen Verhaltens als einen der ihren akzeptieren, ist Ray zielstrebig und für viele Jungs eine Art Vorbild. Er möchte Profi werden und scheut sich auch nicht über Gefühle zu reden.
Trotz seiner Vorbildfunktion und durch die Erfahrung des Unfalls seines Bruders geprägt ist er nicht fähig eine Situation zu verhindern, aus der die Jungs gerade noch mit dem Leben davonkommen.
Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Etwas, dass uns Hill nur selten vergessen lässt. Glück und Unglück, Erfolg und Misserfolg liegen nahe beieinander. Dass das Erwachsenwerden der Kinder auch für Eltern nicht leicht ist, beweist Katherine Waterston als besorgte Mutter. Vor allem die von Hauptdarsteller Sunny Suljic als Stevie verkörperte Mischung aus verletzlich und taff, lässt einen auch als ZuseherIn zittern.

Musikalisch gerahmt wird die Handlung von niemand geringeren als den Oscar-Preisträgern und Hip-Hop-Ikonen der 90er Trent und Atticus. Der Soundtrack ist vollgestopft mit vertrauten Klängen wie unter anderen von den Beastie Boys, den Pixies, dem Wu-Tang Clan und – bereits im Trailer zu hören – Omegas unvergesslichem „Gyöngyhajú lány“. Und so kommt dann vielleicht doch  – entgegen dem Wunsch von Hill, der seinen Film weder als Nostalgie- noch Skater-Porno verstanden wissen will – zumindest beim Hören beim einen oder anderen so etwas wie ein Gefühl von Nostalgie auf.

mid90s. Ein Film von Jonah Hill. Mit Sunny Suljic, Katherine Waterston, Ian Lucas Hedges, Na-Kel Smith, Olan Prenatt, Gio Galicia, Harmony Korine. USA 2018. 85 Minuten.

Kinostart: 7. März 2019

Geschrieben von Sandra Schäfer