Seit mittlerweile 120 Jahren lockt die Venedig Biennale Reiselustige und Kunstliebhaber in die Lagunenstadt. Auch die Kulturfüchsin hat heuer die Koffer gepackt und der 56. Biennale di Venezia einen Besuch abgestattet.

Ein Reisebericht auf den Spuren von politischem Engagement, künstlerischer Ästhetik und touristischem Spektakel.

Von der Piazza San Marco zur Biennale

10 Uhr vormittags: es herrscht reges Treiben auf der Piazza San Marco. Reisende manövrieren ihre Koffer durch Touristenströme, Gondoliere warten auf Fahrgäste und VerkäuferInnen von gefälschten Handtaschen und Sonnenbrillen buhlen um Aufmerksamkeit. Der ganz normale Alltag in der Lagunenstadt, durch deren Gassen sich täglich bis zu 100.000 Fremde schieben. 25 Millionen TouristInnen sind es jedes Jahr, die der Serenissima einen Besuch abstatten – zur Biennale (neben der documenta in Kassel die bedeutendste Schau für zeitgenössische Kunst) werden rund eine halbe Million erwartet.

Trotz allem herrscht im Arsenale und den Giardini entspannte Atmosphäre. Derweil tut sich auch auf dem traditionellen Ausstellungsgelände einiges. 159 Kunstwerke von 136 KünstlerInnen aus 53 Ländern wollen betrachtet werden und das alleine in der kuratierten Schau (die einzelnen Beiträge der unterschiedlichen Länder, die über einen Pavillon verfügen oder einen angemietet haben, noch nicht mitgerechnet). Es sprudelt vor Kreativität: Performances, Musikveranstaltungen und Filmvorführungen ergänzen das Programm. Zu erleben sind sie dieses Jahr unter anderem in der so genannten Arena, einem Aktivplatz, der im Hauptpavillon der Giardini passend zum Motto des diesjährigen, in Nigeria geborenen Kurators Okwui Enwezor „All the World’s Futures“ zur Formenvielfalt und zum politischen Engagement aufruft. Inspirieren ließ sich der studierte Politikwissenschafter und Direktor des Münchner „Haus der Kunst“ von der Biennale 1974, bei der man aus Solidarität zu Chiles von Pinochet gestürzten Staatschefs Salvador Allende eine Reihe von Solidaritätsveranstaltungen ins Leben rief. So wird es heuer u.a. zum Motto passend eine szenische Lesung des Kollektivs „The TOMORROW“ aus Karl Marx´ „Das Kapital“ geben. Nicht die einzige Arbeit, die von politischem Engagement getragen ist. Ein Umstand, der auch bei der Preisverleihung zu merken war. Dementsprechend ging der Goldene Löwe dieses Jahr an die amerikanische Konzeptkünstlerin Adrian Piper. Für Venedig hat sie eine auf Zuschauerpartizipation ausgerichtete Arbeit geschaffen, die laut Enwezor zu lebenslangem Engagement auffordern will.

Großes Filmangebot und Spendenaktionen im Arsenale

Inwiefern die BesucherInnen allerdings die Zeit haben, sich auf Adrian Pipers Arbeit einzulassen – man muss sich an einem Schalter anmelden und Fragen beantworten – ist bei der hohen Dichte an Kunstwerken jedoch fraglich. Alleine schon das ausufernde filmische Oeuvre diverser KünstlerInnen zu bewältigen, dürfte schwierig werden. Rund 70 Stunden Material des im vergangenen Jahr verstorbenen deutschen Filmemachers Harun Farocki harren unter anderem der ZuschauerInnen. Ebenfalls über die Leinwand flimmert „Factory Complex“ des Koreaners Lim Heung-soon, der mit seinem über 90-minütigen Film auf die Situation von Fabriksarbeiterinnen in Südostasien aufmerksam machen möchte und für diese Arbeit den Silbernen Löwen erhielt.
Eine spezielle Erwähnung wurde hingegen dem aufgrund von Verfolgung anonym arbeitenden syrischen Künstlerkollektiv Abounaddara sowie dem algerischen Zeichner Massinissa Selmani zuteil. Seine Arbeiten befinden sich im Reigen hervorragender Zeichnungen, die sich heuer verstärkt ausfindig machen lassen. Darunter auch die „Demonstration Drawings“ des in Thailand aufgewachsenen, argentinischen Aktions- und Performancekünstlers Rirkrit Tiravanija. Tiravanija zeichnet zudem für ein Projekt verantwortlich, das die Rechte von ArbeiterInnen in China unterstützen will. Für zehn Euro kann der/die Biennale-Besucher/in einen gravierten Ziegelstein mit nach Hause nehmen. Das Geld kommt der Organisation ISCOS zu gute. Es ist damit (neben Marco Fusinatos Aktion zur Unterstützung des italienischen Primo Moroni Archivs) eine von zwei Spendenaktionen, die im Arsenale zur finanziellen Beteiligung für eine bessere Zukunft aufrufen.

Durch die Pavillons

Um die Zukunft geht es getreu dem Motto auch ein paar Meter weiter im tuvaluischen Pavillon. Der kleine pazifische Inselstaat ist einer von jenen Ländern, die durch das Steigen des Meeresspiegels vom Untergang bedroht sind. Für die BesucherInnen wird die Situation durch einen Gang über einen Plattensteg, durch den langsam Wasser emporsickert, verdeutlicht. Ein unbeabsichtigter, aber durchaus schöner Nebeneffekt ist der blaue Sand, der an den Füßen der „Reisenden“ aus dem benachbarten Kosovo-Pavillon eingeführt wird. Kuratiert wurde dieser vom Wiener Kunsthallen-Direktor Nicolaus Schaffhausen, der von Flaka Haliti dazu aufgefordert wurde. Die 1982 in Priština geborene Künstlerin macht derzeit ihren Ph.D in Wien. In ihrer Arbeit geht es um die Verdeutlichung von Grenzen als vom Menschen aufgrund politischer und gesellschaftlicher Überlegungen geschaffener künstlicher Linien, die nichts mit der natürlichen biologischen Umgebung gemein haben.
Was Menschen hingegen Menschen antun beziehungsweise in der Vergangenheit angetan haben, erfährt man im armenischen Pavillon. 17 armenischstämmige KünstlerInnen, deren Familienmitglieder Opfer des Genozids vor 100 Jahren wurden, wurden eingeladen, sich mit dem Thema der Diaspora auseinanderzusetzen. Für die Präsentation gab es den Goldenen Löwen für den besten Pavillon. Wer ihn allerdings betreten will, muss auf die Insel San Lazzaro übersetzen und sich in die Klosteranlage des Mechitaristen-Ordens begeben.

Vom Österreich- in den Swatch-Pavillon

Schneller ist man im österreichischen Pavillon: Ein kurzer Weg über eine kleine Brücke in den Giardini, nach rechts, und schon steht man vor dem 1934 von Architekten Josef Hoffmann entworfenem Gebäude. Und dieses steht heuer auch ganz im Mittelpunkt des heimischen Beitrags. Setzt man im kanadischen oder japanischen Pavillon ganz auf überbordende Rauminstallationen (in einem wurde ein typischer kanadischer Lebensmittelladen eingerichtet und im anderen verführt Chiharu Shiotas Schlüsselinstallation zum tausendfachen Fotohandy-Zücken), so gilt im Österreich-Pavillon „Weniger ist mehr“. Inwiefern sich das schlichte Konzept des Wiener Künstlers Heimo Zobernig – seine Arbeit besteht aus einem schwarzen, unterhalb der Decke schwebenden Monolithen und einer schwarzen Bodenkonstruktion – in das weltbefragende Konzept von Kurator Enwezor einfügen mag, darüber lässt sich ausgiebig rätseln. Vielleicht mag manch einer an jenen schwarzen Monolithen aus dem Film „Odyssee 2001“ denken, der zu Beginn majestätisch in der Landschaft thront, während ein anderer von einer von den Menschen verlassenen Welt sinniert, in der die Natur beginnt, sich ihren Weg erneut zu bahnen. Doch, was einem auch immer für Zukunftsszenarien durch den Kopf gehen mögen, spätestens beim Rundgang durch den Swatch-Pavillon gleich im Eingangsbereich der Giardini wird man von der Realität eingeholt. Und diese ist angesichts der Tatsache, dass sich bei solchen Ereignissen verstärkt SponsorInnen präsentieren, offenkundig: wir leben in einer Welt der Konzerne. Etwas, das spätestens bei der diesjährigen Weltausstellung in Mailand, aufgrund derer die Biennale heuer ein Monat früher eröffnet wurde, und bei der sich auch Konzerne wie Ferrero in großem Ausmaß präsentieren, erneut deutlich wird.

La Biennale di Venezia. 56th International Art Exhibition
„All the World’s Futures“
Noch bis 22. November 2015
Venedig: Giardini / Arsenale sowie an diversen Plätzen der Stadt
Öffnungszeiten: 10.00 – 18.00 Uhr, montags geschlossen
Eintrittspreis regulär: 25 Euro
www.labiennale.org

Österreich-Pavillon in den Giardini, Künstler: Heimo Zobernig
Kommissär: Yilmaz Dziewior
Nähere Information unter: www.labiennale.at

Geschrieben von Sandra Schäfer