162 Filme, fast ebenso viele Festivalgäste sowie ein großzügiges Rahmenprogramm: das „Let’s CEE“-Filmfestival wächst und sorgt mit zahlreichen Österreich-Premieren dafür, dass Filme aus dem ost- und zentraleuropäischen Raum auch hierzulande im Kino nicht zu kurz kommen. Die Bandbreite des heurigen Programms reicht von einem polnischen Wochenende (mit der futuristischen Romanze „A Heart of Love“ und dem dystopischen Science-Fiction-Thriller „The Man with the magic Box“) über „Best of Hungry“ (unter anderem wird der Grande Dame des ungarischen Kinos Márta Mészaros mit einem „Lifetime Achievement Award“ besondere Aufmerksamkeit zuteil) bis hin zu „Slowenien im Fokus“. Ein Fokus, der sich allerdings mit Werken wie “The Art of Killing“ von dem renommierten Filmemacher Jan Cvitkovič über eine Familie, der der Boden unter den Füßen entgleitet, und Hanna Slaks „The Miner“ als wenig vorteilhaft für die (slowenische) Gesellschaft erweist. Der jungen Regisseurin gelingt es basierend auf den realen Erfahrungen eines Minenarbeiters die Geschichte zweier über die Jahrzehnte von einander getrennten Massenmorde spannend wie in einen Krimi zu verknüpfen und dabei traurige Einblicke in die conditio humana zu liefern.

Im Wettbewerb

Ein trauriges Bild von der Gesellschaft zeichnet auch die litauische Filmemacherin Eglė Vertelytė. Ihre bissige Gesellschaftssatire „Miracle“ rund um die Managerin einer Schweinezuchtfarm an der Wende zum Kapitalismus wird in der Kategorie „Promising Debuts-Wettbewerb“ zu sehen sein. Mit Arbeiten wie dem albanischen Oscar-Beitrag „Daybreak“ sowie „Ederlezi Rising“ – ein inhaltlich schwacher, dafür bildgewaltiger Science-Fiction-Film, der nicht mit, vor allem weiblichen, Nacktszenen (Serbiens Pornostar Stoya in ihrer ersten Non-Adult-Rolle) geizt – wird er gemeinsam mit zehn weiteren Nominierten um den Preis für den besten Newcomer rittern.

Hoffnung auf eine Auszeichnung können sich auch die russische Künstlerbiografie „Dovlatov“ von Alexey German Jr, die zum Sittengemälde einer ganzen Ära wird – und die bereits den Silbernen Bären für herausragende künstlerische Leistung einheimsen konnte – sowie der bulgarische „Roadmovie“ „Direction“ von Stephan Komandarev machen. Beide Arbeiten laufen gemeinsam mit unter anderem Joanna Kos-Krauze und Krystof Krauzes „Birds are singing in Kigali“ über den Völkermord in Ruanda aus der Sicht zweier Frauen und „The Gateway“ im Spielfilmwettbewerb. Letzterer ist eine wilde Mischung aus Fantasy-Film mit Horror-Elementen und Drama rund um das Leben in der Sperrzone bei Tschornobyl. Im Zentrum, eine ungewöhnlich starke Frauenfigur – Kräutersammlerin, Jägerin, Hexe, Partisanin und liebevolle Großmutter für ihren als Folge des Atomunfall beeinträchtigten Enkel. Ein „Must-see“ beim diesjährigen Festival.

Frauen vor und hinter der Kamera

Vermehrt Frauen lassen sich heuer aber auch nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera im Dokumentarfilmwettbewerb ausfindig machen. Die polnische Dokumentarfilmerin Marta Prus portraitiert in „Over the Limit“ das vor allem in mentaler Hinsicht harte Training der russischen Spitzensportlerin Margarita Mamun, die sich auf die Teilnahme in der Kategorie Rhythmischen Gymnastik bei Olympia vorbereitet. Nur eine von mehreren Arbeiten – darunter „My Life without Air“ der kroatischen Regisseurin und Drehbuchautorin Bojana Burnać über den Weltmeister in Free Diving Goran Čolak und Arūnas Matelis Doku über die Außenseiter beim großen Radrennen „Giro d’Italia“ – die sich dem Thema Sport annimmt. Ebenfalls im Dokumentarfilmwettbewerb stark präsent, ist dieses Jahr das Thema Rechtsruck sowie mit „Undercovered“ von den bosnischen Filmemacherinnen Nejra Latić Hulusić und Sabrina Begović-Ćorić ein Film zum Thema Islamisierung beziehungsweise zur aktuellen vielerorts geführten Kopftuchdebatte.
Eine eigene Retrospektive zum Thema „Women and War“ zeigt zudem mehrere Filme, die sich mit Frauenschicksalen im Ersten Weltkrieg beschäftigen.

360-Grad-Kino

Ebenfalls heuer im Programm befinden sich neben den diversen Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen heuer erstmals auch eine kleine Anzahl Virtual-Reality-Produktionen aus aller Welt. Bei freiem Eintritt können Besucher im Village Cinema (21. bis 22. April) beispielsweise in die Arktis reisen, erfahren wie sich das Leben als Obdachloser anfühlt oder die Welt aus der Sicht eines Babys erleben.

Auch ohne virtueller 360-Grad-Optik durch seine Bildgewalt bestechend ist der Eröffnungsfilm „November“. Der schwarz-weiß-Streifen von Regisseur Rainer Sarnet basiert auf dem Roman „Rehepapp ehk November“ von Estlands Bestsellerautor Andrus Kivirähk und ist in bester Kivirähk Manier eine wilde Mischung diverser Genres und ein Feuerwerk der Fantasie. Liebes- und Horrorfilm sowie Volksmärchen durchzogen von Anspielungen zu Estlands Geschichte. Kameramann Mart Taniel konnte für seine teils poetischen Aufnahmen beim Tribeca Festival den Preis für die Beste Kamera mit nach Hause nehmen.

Und für alle, die nicht nur gen Osten schauen, sondern auch hören wollen, bietet das Festival mit Begleitung zu den diversen im Programm befindlichen Stummfilmen (vornehmlich in der Retrospektive „100 Jahre“ zu sehen) sowie bei den „After Screening Partys“ im Pavillon der Strandbar Herrmann, auch ungewöhnliche Klänge für die Ohren.

Science-Fiction aus Serbien: „Ederlezi Rising“ von Lazar Bodroza

Let’s CEE Film Festival
Noch bis 22. April 2018
Urania Kino (Uraniastraße 1, 1010 Wien), Actor’s Studio (Tuchlauben 13, 1010 Wien), Village Cinema (Landstraßer Hauptstraße 2A, 1030 Wien) und weiteren Spielstätten
Karten: Euro 8,50 / ermäßigt Euro 6,40 / 10er Block Euro 75 bis 60
www.letsceefilmfestival.com

 

Geschrieben von Sandra Schäfer