Es ist einer dieser Momente, der einem als Theaterbesucher ein magisches „Ahh“ entlockt. Wenn der gigantische Spiegel, der in der Mitte der Bühne des Akademietheaters angebracht ist, sich zu bewegen beginnt und den Zuseherraum des Theaters überraschend zur Kulisse werden lässt. Hauptdarsteller Markus Meyer ist zu diesem Zeitpunkt im Zuge seiner Rolle als Ludwig bereits im Publikum zu sitzen gekommen, nachdem er die Hälfte des Abends schauspielerisch hervorragend auf der Bühne stehend gemeistert hat. Und das sowohl in Fleisch und Blut als Ludwig II. sowie in diversen Videoeinspielungen, die von ihm in verschiedenen Rollen – er mimt u.a. sowohl seine Verlobte Sophie, seinen Bruder Otto sowie den Schauspieler Josef Kainz – immer wieder übergroß über die Spiegelleinwand flimmern.

Präzise werden die Aufnahmen von ihm projiziert, gespiegelt, überblendet – alles ist meisterhaft inszeniert. „Ludwig II.“ ist vor allem eines: ein Bravourstück der Theatertechnik. Mit ihrer Hilfe gelingt es Regisseur Bastian Kraft perfekt den Pomp, das Entrückte des Visconti-Films, auf dem das Stück fußt, einzufangen. Wie der italienische Filmregisseur seine Schauspieler stellenweise vor schwarzem Hintergrund zum Publikum sprechen lässt, so lässt Kraft sie ebenso übergroß projiziert von der schräg über der Bühne angebrachten Spiegelwand schimmern. Wie Romy Schneider als Kaiserin Elisabeth in Viscontis Meisterwerk mit starkem Zynismus, permanent ironisierend lachend mimt, so gibt Regina Fritsch auf der Bühne die Kaiserin. Sie ist bei Visconti und damit auch bei Kraft, der sich wörtlich an dessen Vorlage hält, sowohl Ludwigs Vertraute als – man will es kaum glauben – Kritikerin seiner Wirklichkeitsflucht. Eine Flucht aus der Realität der politischen und finanziellen Belange eines Königs.

„Märchenkönig“ aus Bayern

Der 1845 geborene König von Bayern, der bereits im Alter von 18 Jahren den Thron bestieg, war zeitlebens mehr an Kunst als an Politik interessiert. In die Geschichte eingegangen ist er vor allem durch seine Manie immer neue Schlösser zu bauen, was ihm seitens der Bevölkerung die Bezeichnung der „Märchenkönig“ einbrachte. Märchenhafte Elemente finden sich stellenweise auch bei Visconti. Wenn der junge Schauspieler Josef Kainz (Folker Bohnet) den König (Helmut Berger) in seinem Schloss besucht und dort von diesem, nachdem er in einer Schwanengondel über den See seiner Grotte geglitten ist, am Ufer empfangen wird, scheint es, als steige eine seltsam entrückte Sagenfigur ans Land. Wenig später brechen beide zu einer Reise durch Italien auf, die jedoch aufgrund der Erschöpfung des Schauspielers abgebrochen werden muss. Der König, der nach dem Tod von Richard Wagner seinen über Alles bewunderten Meister verloren hat, will nicht mit Kainz, sondern mit den von ihm verkörperten Rollen zusammen sein.

Auf der Bühne wird die märchenhafte, der Wirklichkeit entrückte Komponente durch die Spiegelung der Figuren erzeugt. Unwirklich leuchten die weißen Gewänder der Schauspieler mit ihren langen Schleppen als Projektionsfläche – und dies durchaus im doppelten Sinn – von der gespiegelten Bühne. Ein im Boden eingelassenes Wasserbecken schimmert dunkel und verheißungsvoll – die Zukunft bereits vorwegnehmend. Am Ende wird Ludwig-Darsteller Markus Meyer ebenso wie der historische Ludwig im dunklem Nass seine letzte Lebenskraft aushauchen und damit auch den seltsamen König erneut im Dunkel der Geschichte verschwinden lassen. „Ich möchte ein Rätsel bleiben“, heißt es in Film und Stück. Das ist Ludwig bis heute gelungen. Noch immer herrscht Uneinigkeit über den tatsächlichen Geisteszustand des Königs. Die Diagnose der Paranoia des damaligen Sachverständigen ist von einigen Wissenschaftlern mittels Aufzeichnungen von Zeitzeugen widerlegt worden. Ludwig ist und bleibt wie die Geschichte ein Blatt, das letztendlich von jeder Generation neu beschrieben wird. Kraft lässt die Schauspieler ihre weiße Kleidung mit Tinte bekleckern. Gegen Ende wird sich der nackte Ludwig an eine, seine ebenfalls weiße Statue klammern. Sein Leben gehört schon nicht mehr ihm. Was reingewaschen, was erneut beschmutzt wird, wird die Zukunft zeigen. Ein interessanter, optisch beeindruckender Abend, der sowohl neugierig macht sich Viscontis Film (noch einmal) anzusehen, aber auch ohne jegliches Wissen um ihn „funktioniert“.

Ludwig II.
Nach dem Film von Luchino Visconti
Weitere Termine: 18., 22., und 26. Dezember 2016, 7., 14., und 22. Jänner sowie 1. Februar 2017
Akademietheater
Lisztstraße 1, 1030 Wien
Kassa: + 43 (1) 51444-4740
Homepage: http://www.burgtheater.at/

© Fotos: Reinhard Werner

Geschrieben von Sandra Schäfer