Bevor es richtig losging, war eigentlich alles schon vorbei. „… während man denkt, das wären alles nur Vorbereitungen zum Photographiertwerden, bist du schon längst konterfeit. X-mal hat sie geknipst und du hast es nicht gemerkt.“ In ihrer Biografie „Mein Leben mit Alfred Loos“ beschreibt die Wiener Schauspielerin Elsie Altmann-Loos in einem kurzen Kapitel einen Termin im Atelier der Fotografien Dora Kallmus, die sich als d’Ora im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts rasch einen Namen machte. Die Liste der Klientinnen und Klienten der aus bürgerlichem Hause stammenden frühen Karrierefrau (ihr Vater war der jüdische Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Philipp Kallmus) liest sich wie ein Who is Who der Wiener High Society. Vom Adelsgeschlecht der Habsburger über literarische Größen wie Arthur Schnitzler und Karl Kraus bis hin zu bekannten Künstlern wie Gustav Klimt und Tänzerinnen wie Anita Berber – kaum jemand, der hierzulande in die Annalen der Geschichte einging, der nicht zumindest ein Mal vor die Kameralinse der Dora Kallmus getreten wäre.

Wer schön sein wollte ging zu Madame d’Ora. Das belegt auch ein Brief von Alma Mahler Werfel, in dem es um eine auszuführende Retusche ging. Die talentierte Fotografin war nicht nur ehrgeizig und in technischen Belangen versiert. Neben neuesten Portraittechniken, die sie sich unter anderen im Rahmen eines Praktikums im damals wegweisenden Studio von Nicola Perscheid in Berlin aneignete, wurde ihr zudem ein gutes Maß an Intuition bekundet. Aber auch ihr Geschick, wenn es darum ging, das passende Ambiente zu erzeugen, kam ihr zugute. Bereits ihr Wiener Atelier, im Stile der Wiener Werkstätten eingerichtet, zeugte vom guten Geschmack. Bei Madame d’Ora fühlte man sich wohl.

Von Wien nach Paris

Obschon sie ursprünglich Schauspielerin hatte werden wollen. Was dem Vater jedoch nicht recht gewesen schien. Auch für Mode hatte sich Dora Kallmus früh ernsthaft zu interessieren begonnen – ein Interesse, das ihr Zeit ihres Lebens erhalten blieb und, das sie nicht nur mit den geschmackvollen Kleidern in ihrem Atelier, sondern auch mit der Fotografie beruflich zu vereinbaren wusste. Für „L’Officiel de la Couture“ – ein Journal für den Fachhandel, das die neuesten Trends zeigte – sowie unter anderem für die „Vogue“ lichtete sie nach ihrem Umzug nach Paris regelmäßig die neuesten Kreationen ab. Ebenso fanden in der französischen Hauptstadt – wie Aufnahmen von Coco Chanel (eine Marke die d’Ora bevorzugt trug) oder Josephine Baker belegen – weiterhin unzählige Prominente den Weg in ihr Pariser Atelier. (Das Wiener Studio wurde indessen von ihrem einstigen Assistenten Arthur Benda geleitet.)

Eine wesentliche Zäsur in ihrem Werk stellte der Einmarsch der Nationalsozialisten dar. Als geborene Jüdin erhielt Madame d’Ora Berufsverbot. Während ihre Schwester in einem Konzentrationslager ums Leben kam, überstand sie in einem kleinen Bergdorf südlich von Lyon das NS-Terrorregime. Einen Großteil der Zeit verbrachte sie mit Schreiben. Obwohl nicht belegt, dürfte etwa in diese Lebensperiode auch der Wechsel von der massiven Studiokamera hin zu einem kleineren Modell fallen.

Mit ihr entstanden nach dem Krieg mehrere Aufnahmen von Flüchtlingen des Zweiten Weltkrieges. Diese Serie von Fotografien zählt zum Ergreifendsten, das die Schau im Leopold Museum – die mit über 330 Fotografien äußerst großzügig ausgefallenen ist – zu bieten hat. D’Ora fotografierte Holocaust-Überlebende ebenso wie vertriebene Sudetendeutsche. Die Entwurzelung der Menschen und eine damit einhergehende Verlorenheit erscheinen auf den einen wie auf den anderen Aufnahmen spürbar.

Tristesse und hoffnungslose Vergänglichkeit prägen zudem eine andere Fotostrecke der letzten Lebensjahre. Zu ihrem Spätwerk zählt eine Gruppe von Bildern aus einem französischen Schlachthof. Statt das Geschehen „bloß“ zu dokumentieren, liefert die mittlerweile über 60-Jährige eine poetisch-surrealistisch anmutende Studie über das Tierleid.
„Verstörende Bilder der Menschen aus den befreiten Konzentrationslagern zusammen mit dem Wissen um das volle NS-Verbrechen hatten neue Maßstäbe gesetzt: Auch das Thema der industriellen Schlachtung bekam damit eine ungeahnte Brisanz“, so Magdalena Vuković in ihrem Katalogbeitrag. Vuković hat die Ausstellung gemeinsam mit Monika Faber, der Leiterin des Photoinstituts Bonartes, das noch bis 7. November die Ausstellung „Porträts der Entwurzelung. D’Oras Fotografien in österreichischen Flüchtlingslagern 1946–1949“ zeigt, gemeinsam kuratiert.

Umfassende Ausstellung

Den Tod mit aufs Bild gebannt scheint d’Ora auch in jenen Aufnahmen des Ballett-Impresarios Marquis George de Cuevas zu haben. Bereits von schwerer Krankheit gezeichnet lichtete sie den exzentrischen Freund von gehäuteten Schafsköpfen umringt ab.

Der Kontrast zwischen jenen späten Aufnahmen und den fotografischen Anfängen könnte nicht größer sein. Nur vierzig Jahre trennen ihre Fotografien der Adeligen, die sich für die Krönung Karl I. zum Kaiser von Ungarn in edelste Stoffe und traditionelle Uniformen gehüllt von Madame d’Ora ablichten ließen, zu jenen Bildern aus dem Schlachthof. Auf den Kontrast in d’Oras Werk ist bereits mehrfach hingewiesen worden. Wie in ihrer letzten Ausstellung 1958 in Paris widmet sich auch die Wiener Präsentation der ganzen Bandbreite ihres Schaffens. Ein Besuch im Leopold Museum gleicht einer Reise durch die Zeit. Angereichert mit Mode-Magazinen und kostbaren Kreationen aus dem Hause der Wiener Werkstätten, dem Salon der Schwestern Flöge oder Chanel liefert die Ausstellung ein umfassendes Bild über eine ungewöhnliche Frau, das es wert ist ausführlich betrachtet zu werden. Ein umfangreicher, im Brandstätter Verlag erschienener Katalog ist zudem im Taschenbuchformat erhältlich.

Machen Sie mich schön, Madame d’Ora
Noch bis 29. Oktober 2018
Leopold Museum
MuseumsQuartier, Museumsplatz 1
1070 Wien
Öffnungszeiten: Täglich: 10.00 -18.00 Uhr, Donnerstag bis 21.00 Uhr
www.leopoldmuseum.org

Geschrieben von Sandra Schäfer