Obwohl Sidonie-Gabrielle Claudine Colette und Mary Shelley fast 80 Jahre trennen, weisen die Geschichten der beiden Frauen doch verwandte Züge auf – zumindest in den aktuell im österreichischen Kino angelaufenen Historienfilmen über das Leben der zwei Schriftstellerinnen. Sowohl in Haifaa al Mansours „Mary Shelley“ wie auch in Wash Westmorelands „Colette“ konzentrieren sich die Regisseure auf die frühen Jahre im Leben der Frauen. Ihr Weg auf der Leinwand führt sie vom Leben im elterlichen Heim in die Arme zweier Männer, die sich bereits im Literaturbetrieb einen Namen gemacht haben. Gezeigt wird ihr Kampf aus deren Schatten bis hin zur ersten Wahrnehmung als Schriftstellerinnen in der Öffentlichkeit.

(Nicht nur) letzteres jahrhundertelang für Frauen kein leichtes Unterfangen. Viele Schriftstellerinnen veröffentlichten ihre Werke anonym oder unter männlichem Pseudonym. Sei es weil ihre Bücher unter weiblichem Namen nicht das passende Publikum oder keine hohen Verkaufszahlen erreicht hätten, oft weil sie sich gesellschaftlichen und politischen Themen widmeten, die für Frauen – deren Schreiben in erster Linie in romantischen Geschichten beheimatet gesehen wurde – als Tabu galten.

Von Liebe und Verlust

Während Colette für ihren Ehemann, der eine erfolgreiche Literaturwerkstatt betrieb, mit den „Claudine“-Büchern eine auf ihrem Leben basierende Frauenfigur entwarf, die er geschickt unter seinem Namen zu vermarkten wusste, stand die junge Mary (Elle Fanning), die, noch keine 20, den späteren Weltbestseller „Frankenstein“ schrieb, im Schatten ihres Ehemanns – dem Dichter und Freigeistes Percy Bysshe Shelley (Douglas Booth).
Mit dem jungen, fünf Jahre älteren skandalumwitterten Schriftsteller, der im Übrigen so schön gewesen sein soll, dass die Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen und von dem man zunächst annahm „Frankenstein or The Modern Prometheus“ stamme von ihm, lebte sie gemeinsam mit ihrer Stiefschwester Claire Clairmont (Bel Powley) gegen den Willen ihres Vaters, dem Schriftsteller und Sozialphilosophen William Godwin, in wilder Ehe. Im Sommer 1816 wurde das Dreiecksgespann von dem Dichter Lord Byron (gewöhnungsbedürftig in dieser Aufmachung Tom Sturridge) in sein Haus am Genfer See eingeladen.

Diese schicksalhaften Wochen, in denen Byron aufgrund von Dauerregen bedingter Langeweile einen Schreibwettbewerb für Gruselgeschichten ausrief, lieferten bereits Stoff für zahlreiche Auseinandersetzungen – darunter eine der bekanntesten filmischen Bearbeitung von Ken Russell. Im Vergleich zum Russels Horrorthriller „Gothic“ fällt Haifaa al Mansour Version erwartungsgemäß – abgesehen von dem rüpelhaften Benehmen der unter Rauschmittel befindlichen Männer – betont gesittet aus.
Im Mittelpunkt steht für die saudi-arabische Regisseurin der Schmerz von Mary über den Verlust des ersten gemeinsamen Kindes. In dem Leibarzt Byrons, John William Polidori, dem Verfasser einer ersten frühen Vampirgeschichte (dessen Autorenschaft allerdings Lord Byron zugeschrieben wurde) – findet Mary einen Seelenverwandten.

Shelley selbst scheint zu sehr in seinem eigenen Kummer verstrickt um seiner Frau eine Stütze zu sein. In einer Rede in der Buchhandlung von Marys Vater wird er ihr schließlich seine Vernachlässigung eingestehen. Ein Moment, der einen als ZuseherIn allerdings kalt lässt. Generell fehlt dem Film der Funke, der – anders als bei Frankensteins Monster, das mittels Elektrizität zum Leben erweckt wird – nicht so recht auf die Zuseher überspringen will. Obwohl Regisseurin Haifaa al Mansour bemüht ist, ihren Blick auf die verschiedenen Elemente jenes Nährbodens (von den Einflüssen, der im Kindbett verstorbenen Mutter und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft bis hin zu Marys früher Liebe für die damals populären „Gothic Novels“) zu richten, aus dem schließlich eines der meist verkauften und adaptierten Werke der Weltliteratur entsprießen wird, hat man – abgesehen von den seelisch nah gehenden Szenen zum Verlust des Kindes – stellenweise das Gefühl einem unterkühlten historischen Coming-of-age-Drama beizuwohnen. „Lassen Sie die Kostüme weg, und alle 18- und 19-Jährigen werden sich ganz leicht wiedererkennen in den Figuren des Films“, zeigt sich Haifaa al Mansour zuversichtlich. Man müsste wohl wieder 18 sein um das zu überprüfen. Ältere Semester wie zumindest die Kulturfüchsin lässt der Film doch etwas enttäuscht zurück. Schade, an Haifaa al Mansour erstem Spielfilm „Wadjda“ – in dem sich ein junges Mädchen in Saudi Arabien das Recht erkämpft Rad zu fahren, kommt Mary Shelley bei Weitem nicht heran.

Ungleiches Spiel der Identitäten

Gute Unterhaltung verspricht hingegen „Colette“ von Wash Westmoreland. Mit Keira Knightley verkörpert eine der gefragtesten englischsprachigen Schauspielerinnen der Gegenwart die französische Autorin, der als erste Frau ein Staatsbegräbnis zuteil wurde. Obwohl sie ihre Rolle – vor allem in einer performativen Tanzszene läuft sie zu Hochform auf – hervorragend meistert, stiehlt ihr Dominic West als ihr Ehemann Henry Gauthier-Villars, genannt „Willy“, dennoch die Show. Dieser verkörpert den ebenso skrupellosen wie charmanten Bonvivant im Fettanzug derart beschwingt energetisch, dass es eine Freude ist ihm beim Spielen zuzusehen. Als Salonlöwe und geschickter PR-Mann schreckt er auch nicht davor zurück, seine Frau geschickt für seine Zwecke einzusetzen. Als diese ihr Recht einfordert bei einem weiteren Claudine-Roman nicht nur als modisch zurecht gemachte Inszenierung ihrer eigenen Schöpfung in der Öffentlichkeit aufzutreten, sondern zumindest als Mitautorin genannt werden möchte, offenbart sich einmal mehr sein egozentrischer und chauvinistischer Charakter.

Auch hier wird – wie schon in Mary Shelley – die männliche Doppelmoral angeprangert. Während der Mann sich das Recht des Fremdgehens herausnehmen darf, werden die Flirts der Ehefrau kritisch beäugt – zumindest wenn die Affäre oder die sexuellen Eroberungen sich nicht geschickt im Hintergrund überwachen lassen. Denn gegen einen PR-trächtigen Skandal hatte der Lebemann „Willy“ nichts einzuwenden.

Trotz aller dargestellten Frivolität vermeidet Wash Westmoreland eine allzu klischeehafte Darstellung der Belle Époque. „Es war unser Ziel, einen Film zu produzieren, der in der Vergangenheit angesiedelt ist, es dem Zuschauer aber ermöglicht, ihn aus einer modernen Perspektive zu betrachten“, so der Regisseur. Etwas, dass durchaus gelungen ist. „Colette“ macht neugierig das Werk dieser Autorin zu entdecken. Das Ende des Films – der nicht zuletzt dank den wunderschönen Kostümen von Andrea Fleisch schön anzusehen ist – ist der Anfang einer großen Karriere.
Während Colettes Werk sich einer breiten Rezeption erfreute, blieb Mary Shelley vor allem als Schöpferin von Frankenstein in Erinnerung. Geschrieben hat sie jedoch weitaus mehr. Auch diesbezüglich wirkt Haifaa al Mansour Würdigung reduzierend und der Autorin nicht gerecht.

Mary Shelley. Ein Film von Haifaa Al Mansour. Mit Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge, Bel Powley u.a. UK, Irland, Luxemburg 2017. 120 Minuten

Kinostart: 28. Dezember 2018

Colette. Ein Film von Wash Westmoreland. Mit Keira Knightley und Dominic West. Ungarn, USA, UK 2018. 112 Minuten

Kinostart: 4. Jänner 2019

© Fotos: 2018 Polyfilm Filmverleih GmbH und Filmladen Filmverleih

Geschrieben von Sandra Schäfer