Es fängt alles ganz harmlos an. Zwei Männer treffen sich in einem Café als plötzlich ein Nashorn vorbei rennt. Ungewöhnlich genug, doch es folgt ein zweites. Auf seinem wilden Lauf vorbei am Kaffeehaus macht der Dickhäuter die Katze einer Dame platt. Passend – hatte man sich doch kurz zuvor am Nebentisch noch in eine pseudologische Diskussion über Katzen und andere Tiere eingelassen, die in der absurden Frage gipfelte, ob Katzen ohne Pfoten schnell genug rennen können, um Mäuse zu fangen. Am Tisch von Behringer (glaubwürdig verkatert und lebensmüde dargestellt von Randolf Destaller) und seinem Freund Hans (Max Hoffmann) ergeht man sich bald darauf im Versuch der Bestimmung der richtigen Nashornrasse. Indisches Nashorn oder Afrikanisches? Es kommt zum Streit und Hans verlässt erbost das Lokal.

Wenig später diskutiert man im Büro von Behringer über die Richtigkeit der Nashornsichtungen. Der kämpferische Angestellte Wisser (Leonhard Srajer souverän in einer von drei Rollen) gibt sich trotz Augenzeugenberichts des zuletzt eintreffenden Behringers und dessen heimlichen Schwarm Daisy (Zeynep Buyraç) skeptisch. Doch als Frau Ochs (Anna Sagischek), die Frau eines Angestellten, ins Büro gestürmt kommt, und in einem sie verfolgenden Nashorn ihren Mann erkennt, kann auch Wisser die Angelegenheit nicht mehr leugnen. Frau Ochs verwandelt sich vor den Augen von Behringer und seinen Kollegen selbst in ein Nashorn. Bald schon ist eine Epidemie ausgebrochen. Immer mehr Leute geben ihre Menschlichkeit auf und beschließen Nashorn zu werden.

Sich nicht daran gewöhnen

Entsetzt über den unreflektierten Patriotismus und die rassistischen Reaktionen, die im Zuge des Algerienkrieges Frankreich erfassten, verfasste Ionesco 1957 diese Parabel auf die Entindividualisierung und den Massenwahn der Bevölkerung. Seine Uraufführung erlebte „Rhinocéros“ 1959 in Deutschland, wo man den Inhalt als kritische Analyse des aufkeimenden Nationalsozialismus deutete. Nach Ionesco hätten die selben Mechanismen in allen diktatorischen Regimen Gültigkeit. Wie sehr diese Mechanismen noch heute zum Tragen kommen, darauf verweist Regisseurin Helena Scheuba (Tochter von Kabarettist Florian Scheuba) in ihrem Text im Programmheft. Von der Kritik an der „Political Correctness“ über Attacken auf die Pressefreiheit bis hin zur Akzeptanz der Unmenschlichkeit wie sie in aktueller Zeit in den diversen Hasspostings im Netz in Erscheinung treten. Das alles findet sich mehr oder weniger versteckt auch auf der Bühne wieder – in Szene gesetzt von Dramatikerin Ellen Schmitty gemeinsam mit dem Ensemble.

Was zum Glück auch in der Version für das Theater Scala erhalten blieb sind die knappen satirischen Dialoge, die dem Stück seinen Reiz verleihen. Die eineinhalb Stunden vergehen dank der diversen geistreichen Äußerungen und der fast durchwegs tollen Leistung der Schauspieler wie im Flug. Als Zuseher unterhält man sich trotz aller Tragik köstlich. Nichts zu Lachen hat hingegen Behringer. Während der kämpferische Wisser laut eigener Aussage mit der Zeit gegangen ist und der bürgerliche leichtlebige Stech (überzeugend auch in seiner zweiten Rolle als Logiker Hendrik Winkler) dem Menschsein aus Liebeskummer den Rücken kehrt und sich vormacht das System von innen heraus verändern zu können, sich längst den Nashörnern angeschlossen haben, hält Behringer trotz aller Anstrengungen an seinen menschlichen Moralvorstellungen fest. „Ich kann mich an das Leben nicht gewöhnen“ verrät dieser zu Beginn seinem Freund Hans. An anderer Stelle sinniert er: wäre das Ganze woanders passiert, hätte man darüber diskutieren, das alles friedlich beleuchten können, aber dass das hier passiert  … Behringer gelingt es nicht die Verwandlungen zu akzeptieren – er bleibt „Dünnhäuter“ bis zum Schluss.

„RHINOZ!“
von Ellen Schmitty. Sehr frei nach einem Stück von Ionesco
20. November bis 01. Dezember 2018, jeweils Di bis Sa um 19.45 Uhr
Theater zum Fürchten in der Scala
Wiedner Hauptstraße 106-108
1050 Wien
www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala/

Mit Anna Sagischek, Zeynep Buyrac, Randolf Destaller, Max Hoffmann, Clemens A. Lindenberg, Leonhard Srajer, Hendrik Winkler

Fotos © Bettina Frenzel

Geschrieben von Sandra Schäfer