In alle Himmelsrichtungen erstrecken sich die unterschiedlichen Ebenen der „Bank of Georgia“ (ehemals „Ministry of Highway Construction“) wie die Arme eines riesigen Kraken; wie ein großes massives UFO thront der Bau des „Smithsonian Hirshhorn Museum“ kolossartig in der Landschaft – zwei Bauten, in zwei unterschiedlichen Erdteilen und doch das gleiche Prinzip. Brutalismus nennt sich das Phänomen, das sich ab Mitte der 50er Jahre, in Abkehr von der Tradition viele kleine Gebäude zu errichten, von England ausgehend über den Globus ausbreitete. Als Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwungs, als bauliches Konzept des Wohlfahrtsstaates eroberten die auffälligen archetektonischen Schwergewichte in nur knapp zweieinhalb Jahrzehnten Städte wie ländliche Regionen gleichermaßen. Doch was in den Anfängen dieses länderübergreifenden Architekturphänomens als neue Ästhetik oftmals mit gesellschaftlichem Anspruch verbunden bejubelt wurde, wurde in den 90ern Jahren massiv angefeindet. Die „Betonmonster“ sind zur bedrohten Art geworden.

Doch es gibt Hoffnung für die grauen Riesen. Die Fangemeinde – der in Anlehnung an den französischen Begriff „brut“ (roh, brutal, unbearbeitet) als brutalistische Bauten klassifizierten Architekturströmung – ist im Wachsen. Beton ist wieder en vogue und mit ihm, so scheint es, erfährt auch der Brutalismus eine erneute Wertschätzung. Eine Wertschätzung von der die rund 1.200 Beispiele brutalistischer Architektur, die sich aktuell auf der Seite „sosbrutalism.org“ ausfindig machen lassen, zeugt.

Von Frankfurt nach Österreich mit zehn neuen Highlights

Seit 2014 fördert das vom Deutschen Architekturmuseum gemeinsam mit der Wüstenrot Stiftung ins Leben gerufene Projekt unter dem Hashtag „SOS-Brutalismus“ Leute dazu auf, brutalistische Bauten weltweit zu melden und deren Zustand zu dokumentieren. Im Herbst vergangenen Jahres wurde erstmalig eine Ausstellung zum Phänomen des Brutalismus zusammengestellt.

Nach Frankfurt ist die Schau, um zehn österreichische Highlights ergänzt, noch bis Ende August im Wiener AzW zu sehen. Unter den für die Wiener Schau ausgewählten brutalistischen Gebäuden befindet sich neben der „Osterkirche“ von Günther Domenig und Elfriede Huth in Oberwart auch die so genannte „Wotruba Kirche“ in Wien. Der von Franz Wotruba entworfene und von Gerhard Mayr umgesetzte Kirchenbau in Wien Liesing zeugt – bestehend aus 152 horizontal und vertikal übereinander gestapelten Betonblöcken – von den teils radikal anmutenden architektonischen Visionen brutalistischer Architekten, die im Auftrag der Kirche in der Nachkriegszeit in ganz Österreich tätig wurden.

Aber auch dem sozialen Wohnbau des Wohlfahrtsstaates der Nachkriegszeit kam der Brutalismus entgegen. Als gelungenes Beispiel einer solchen Siedlung gilt die „Terrassenhaussiedlung Graz St. Peter“, die letztendlich unter Partizipation der Bevölkerung umgesetzt wurde, und die noch heute von ihren Bewohnern geschätzt wird.

Es war einmal und in neuem Glanz

Vom Abriss bedroht ist hingegen das Kulturzentrum Mattersburg im Burgenland – laut Angelika Fitz, AzW-Direktorin ein sozialdemokratisches Denkmal der Politik der 70er Jahre.
Sein Schicksal teilt der Bau mit 123 anderen Monumenten brutalistischer Archetektur, die auf der Seite „SOS-Brutalismus“ als bedroht eingestuft wurden.

Nur mehr auf Fotos zu bewundern, ist beispielsweise der Internatsturm von Karl Schwanzer in St. Pölten, der Anfang der 2000er Jahre abgerissen wurde.
2016 fiel auch die „Birmingham City Library“ von John Madin in Großbritannien – eine Ikone des Brutalismus, der Abrissbirne zum Opfer. Aber es geht auch anders: das „National Center for Atmospheric Research“ in Colorado wurde über die Jahre hinweg renoviert und modernisiert. Während viele brutalistische Bauten bewusst etwas über ihre Entstehung erzählen, in dem beispielsweise Arbeitsspuren in der Fassade am Beton sichtbar gelassen werden, passt sich der rote Betonbau perfekt dem Gestein der Umgebung an. In der Ausstellung lädt ein Miniatur-Nachbau aus Beton dazu ein, die Struktur des Gebäudes einer näheren Betrachtung zu unterziehen – nur einer von mehreren Nachbauten, die das Skulpturale, das dem Brutalismus eigen ist, verdeutlichen. Und siehe da, so manches „Betonmonster“ wird nach und nach zu einer interessanten „Persönlichkeit“, mit der ihm eigenen Ecken und Kanten. Auch Riesen haben offenkundig eine sanfte Seite. Das AzW setzt sie in dieser durchwegs gelungenen Schau liebevoll in Szene.

SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster!
Noch bis 6. August 2018
Architekturzentrum Wien
Museumsplatz 1 im MQ
1070 Wien
Öffnungszeiten: täglich 10.00 bis 19.00 Uhr
www.azw.at

Geschrieben von Sandra Schäfer