Als „ein Arschloch von einem Film“ zitiert Alexandra Seibel im Kurier einen Kinogast in Cannes, angefixt von seiner Edel-Trash-Optik sei er, behauptet Dominik Kamalzadeh im Standard oder als verkannten Angriff auf das Auge verteidigt Spiegel-Rezensent Lukas Stern die neue Regie-Arbeit des Dänen, der mit „Pusher“ in frühen Jahren Kultstatus erlangte und mit „Drive“ auch der breiteren Masse ein Begriff wurde.

Wandelte Winding Refn mit Ryan Gosling auf den Spuren eines männlichen Actions-Kinos, dem er angereichert mit Film Noir Elementen und einem elektrisierenden elektronischen Soundtrack seine eigene Note verlieh, so begibt sich der polarisierende Filmemacher mit seiner aktuellen Arbeit auf die Suche nach der weiblichen Schönheit. Klingt klischeehaft – ist es oftmals auch. Allerdings serviert uns der in Cannes für seinen Film ausgebuhte Regisseur gängige Stereotypen derart bildgewaltig und verstörend, dass man geneigt ist, ihm seine Oberflächlichkeit zu verzeihen. Klischees bilden offensichtlich den Nährboden, aus dem, der in der Modebranche angesiedelte „Neon Demon“ entspringt. Und so fühlt man sich als Zuseherin oftmals an die kühl und distanziert wirkenden Modeaufnahmen in Zeitschriften erinnert – bei Winding Refn allerdings angereichert um eine stark unheimliche Komponente. Damit changiert er erneut zwischen den Genres. „The Neon Demon“ lässt sich vermutlich irgendwo zwischen Thriller und Horrorfilm einordnen. Nicht von ungefähr kommend fühlt man sich u.a. an David Lynch „Mullholland Drive“ oder Dario Argentos „Suspiria“ erinnert.

Märchenhaft

Mit letzterem (angeblich einer seiner liebsten Horrorfilme) weist „The Neon Demon“ neben gewissen ästhetischen Ähnlichkeiten auch in punkto Handlung eine entfernte Verwandtschaft auf. Im Mittelpunkt der Geschichte, ein unschuldig wirkendes junges „Ding“, dass sich in einer bedrohlichen Umgebung wiederfindet. Ort des Geschehens: die schmutzige Glamour-Welt von LA. Hier bekommt es die „Heldin“ mit einer Gruppe von Frauen zu tun, die im Laufe der minimalistischen Handlung hexenähnliche Züge an den Tag legen. Seltsam fast verwunschen wirkende Orte, Nekrophilie und makabre Schönheitsrituale – sei es in Form von Schönheitsoperationen oder dem altbekannten Blutbad – durchziehen den Film. Im Mittelpunkt steht die Obsession mit der Schönheit, die im digitalen Zeitalter laut Winding Refn zunehmend schlimmer geworden ist. „Alles was zählt ist die Schönheit“, lässt er einen Protagonisten sagen. Das naive Mädchen (dargestellt von Elle Fanning) hat an diesem Punkt ihre Unschuld, so scheint es, bereits verloren.

Es ist mit Sicherheit eine der bildgewaltigsten Szenen – gedreht mit einem speziellen anamorphotischen Objektiv – in der die minderjährige Jesse selbst ihrem makellosem Aussehen verfällt. Wie einst Narziss verliebt sich das begehrte Nachwuchsmodel in ihr eigenes Spiegelbild. Ein gewollter Vergleich, denn „The Neon Demon“ strotzt nur so von Metaphern. Nicht minder stimmungsvoll inszeniert, doch etwas plump, erscheint die Raubtiermetapher. Los Angeles als Heimat wilder Bestien, die der Schönen nach Leib und Leben trachten. Aus dem Wolf wird – wie könnte es im heutigen Amerika, in dem sich Stars Wildkatzen als Haustiere halten, besser passen – ein Tiger.

Und dann wäre da natürlich wieder die Konzentration auf das Auge, dem schon in vorangegangenen Arbeiten eine spezielle Rolle zuteil wurde. Das Auge als Mittel zum Voyeurismus, der im Kannibalismus endet. Letztendlich frisst die Modebranche ihre Kinder.

Das erscheint thematisch nicht unbedingt visionär. Bilder von abgemagerten Models, die sich quasi selbst verzehren, sind seit Jahren Bestandteil der Medien und deckt sich in dieser Hinsicht nicht mit der wiederholten Aussage des Regisseurs und Drehbuchautors, aus der Zukunft zu kommen und Filme über die Zukunft zu machen. Allerdings bietet „The Neon Demon“ in audiovisueller Hinsicht viel Reizvolles. Und ein Filmemacher, der in den Medien verstärkt durch seltsame Aussagen Aufsehen erregt, liefert auch so seine Geschichten.

The Neon Demon. Ein Film von Nicolas Winding-Refn. Mit Elle Fanning, Jena Malone, Christina Hendricks, Keanu Reeves. USA/Dänemark/Frankreich 2016.

Kinostart: 24. Juni 2016

Geschrieben von Sandra Schäfer