Vermutlich kennt das Gefühl nahezu jeder: Wer von uns ist nicht schon einmal als Bittsteller auf einem Amt, auf schnelle Erledigung hoffend, unterwürfig sprichwörtlich unter dem Türspalt hereingekrochen. Ganz zu schweigen vom Klischee des dienenden Beamten, der unaufhörlich vor seinem Vorgesetzten buckelt – als Rädchen im Getriebe einem unüberschaubaren Machtgefüge ausgeliefert. Ein Machtgefüge, das uns wohl am erschreckendsten in den Werken Franz Kafkas begegnet. Auch in seinem – aktuell vom „TheaterArche“ für die Bühne adaptierten – Roman „Das Schloss“ steht ein solch übermächtiger und entmenschlichter (Beamten)Apparat. Dieser thront in der Figur des niemals anzutreffenden Herrn Klamm personifiziert über einem Dorf – Fäden der Macht spinnend. Als der Landvermesser K., wie er behauptet vom Schloss bestellt, ins Dorf kommt, scheint mit ihm die Brise einer möglichen Rebellion miteinzuziehen, doch immer mehr verstrickt sich auch K. im undurchdringlichen Netz der Abhängigkeit der Dorfbewohner vom Schloss. Es wäre freilich ein Leichtes in der Handlung lediglich eine Anklage an eine entmenschlichte Bürokratisierung unserer Welt zu sehen. Kafka wäre nicht Kafka, würden sich die Deutungsmöglichkeiten bereits hier erschöpfen.

Seit Erscheinen des Fragments 1926 ist viel darüber spekuliert worden, was der Autor abseits des bürokratischen „Wahnsinns“ mit seinem Werk zur Sprache bringen wollte. Die Liste der berühmten Interpreten ist lang. Die Deutungen reichen von der Verarbeitung des Konflikts zwischen Vater und Sohn bis hin zum Religiösen beziehungsweise zur Zurückwerfung des Menschen auf sein vom Göttlichen verlassenes Sein – um die enorme Bandbreite der teils hochkomplexen Deutungen vereinfacht zusammenzufassen.

Zwischen Zurückweisung und Spiegelung

Um alle diese im Werk angeblich zu findenden „Verschlüsselungen“ geht es in der Stückfassung von Regisseur Jakub Kavin allerdings nicht. Kafka bleibt auch auf der Bühne – und das ist das Schöne – kafkaesk. Es wäre vermutlich ein leichtes gewesen mit der Besetzung des aus Damaskus stammenden Schauspielers Johnny Mhanna als K. dem Stück den Anstrich einer modernen Gesellschaftskritik zu verleihen – die Geschichte einer Flüchtlings-Existenz, zerrieben in den Mühlen der Bürokratie. Doch Kavin widersteht der Versuchung – der Zuschauer kann sich freilich denken, was er will.
Vielmehr wolle man „Das Schloss“ als eine autonome Phantasie, gewonnen „aus einem Zustand, den Kafka selber vollkommene „Ergriffenheit“ nannte“, verstanden wissen.
Ein Stück, „das den Zuschauer gleichzeitig zurückweist und ihm ein Spiegel ist“, heißt es im Ankündigungstext. Das könnte auch auf Kafkas Werke passen, die bis heute faszinieren und verstören. Passend zum Hin und Her des am kompakt zusammengefassten Handlungsverlaufs (die Lektüre des Werkes muss nicht sein, ist aber von Vorteil) Angezogen- und Abgestoßen-Werdens bewegt sich auch die Musik von Margareta Ferek-Petric und dem Ensemble. Ein ansprechendes Wirrwarr an Tönen und Stimmen, die atmosphärisch den Raum durchdringen. Am Ende hüllt sich die Bühne (die auch als Zuschauerraum fungiert) in eine Wand aus Nebel. Die Charaktere sind nun endgültig gleich unheimlicher Traumgestalten (K. ist neben einem Berg von Akten zum Liegen gekommen) mit Masken ins Groteske verzerrt. Verdienter Applaus!

Das Schloss
Noch am 3., 6., 7., 8., 10. und 14. Oktober,  20.00 Uhr
Mit Anna Anderluh, Natalia Fonta, Bernhardt Jammernegg, Johnny Mhanna, Barbara Schandl und Jakub Kavin
Theater Delphin
Blumauergasse 24
1020 Wien
Kartenreservierungen unter: office@theaterarche.at oder telefonisch 06506204554
Homepage: www.theaterarche.at
www.theater-delphin.at

© Felix Kubitza / www.lichtmalerei.photo

Geschrieben von Sandra Schäfer