Wer einen Spaziergang durch Wien unternimmt wird früher oder später auch auf das eine oder andere zeitgenössische Kunstwerk im öffentlichen Raum stoßen. Zeitgenössische Kunst in das Stadtbild zu integrieren ist ein Unterfangen, auf das eine moderne Großstadt nicht verzichten kann. Sei es klassische bildende Kunst oder Graffiti Art – Kunst im öffentlichen Raum ist gefragt und auch in Wien mittlerweile reichlich anzutreffen. Dabei geht es allerdings um weit mehr als die Behübschung des urbanen Raums – denn Kunst ist wunderbar geeignet, Diskussionen zu entfachen und Menschen zum Denken anzuregen. Dementsprechend lohnt es sich die Augen offen zu halten, zu verweilen und auch den einen oder anderen Begleittext zu lesen. Mitunter verbirgt sich hinter der gesichteten Skulptur auch eine ernste Botschaft. So fungieren die modernen Sitzbänke samt der in den Boden integrierten kleinen Mosaike von diversen Südfrüchten Ecke Turnergasse/Dingelstedtgasse nicht nur als Ort der Begegnung, sondern auch als Stätte der Erinnerung. Die 2011 eröffnete architektonische Intervention erinnert an die von den Nationalsozialisten in der Reichskristallnacht zerstörte Synagoge.

Umgesetzt wurde das Kunstwerk, das den zerstörten Dachstuhl der Synagoge auf dem Boden widerspiegelt, von KÖR – Kunst im öffentlichen Raum. Die Gesellschaft hat seit ihrer Gründung durch die Stadt 2004 bis heute 178 Projekte verwirklicht – 39 davon wie die Gedenkstätte Turnertempel wurden mittlerweile permanent in das Stadtbild integriert. In die städtische Bausubstanz bestens eingefügt haben sich in den letzten Jahren beispielsweise Barbara Krobaths auf den ersten Blick harmlos wirkendes aus 40.000 Bisazza Glasmosaik-Fliesen zusammengesetztes Werk „Drei Chinesen in der Qinghai-Tibet-Bahn“ in der Oberen Augartenstrase 20 sowie Gerold Tagwerkers Gestaltung einer Fußgängerunterführung Landstraßer Gürtel/Adolf-Blamauer-Gasse und Ghegastraße.

Kunst zum Abtauchen

Zum Reflektieren über das (eigene) Passieren lädt auch Julie Haywards Installation „abtauchen /auftauchen“ in einer Unterführung zwischen Donaukanal und Löwengasse ein.

Als langjähriger Partner von KÖR haben sich über die Jahre die Wiener Linien entpuppt. Nicht zuletzt ein rationaler Grund: mit Kunst lässt sich Vandalismus eindämmen. So heißt es heute dank der wachsenden Zahl an Kunstwerken einsteigen bei Adolf Frohners „55 Schritte durch Europa“ am Westbahnhof, umsteigen bei Anton Lehmdens riesigem Glasfries „Das Werden der Natur“ beim Volkstheater und aussteigen bei Peter Koglers Röhrengefüge am Karlsplatz. Letzteres befindet sich mit Ken Lums Medieninstallation „PI“ und Ernst Caramelles Wandfläche hier in bester künstlerischer Gesellschaft.

Nicht weit vom Karlsplatz befindet sich mit dem Museumsquartier ein weiterer Hotspot für alle, die neugierig auf Kunst im öffentlichen Raum sind. Seit April dieses Jahres kann man am Vorplatz des Kunstareals sogar Kunstgenuss mit Minigolfen verbinden. Ein Skulpturenpark mit 12 Minigolfbahnen und Getränkestand sorgt für beste Familienunterhaltung. Bereits eine Institution sind hingegen die sechs Themenpassagen in den Verbindungsgängen der einzelnen Höfe. Anders als die sich im Areal befindlichen Museen können diese bei freiem Eintritt begutachtet werden. Die Ausstellungen zu Typographie, Comickunst oder Street Art wechseln regelmäßig. Also nicht wundern wenn man anstelle des erwarteten Ausstellungsobjektes überraschenderweise ein völlig anderes vorfindet.

Etwas, das einem mit dem Erwerb eines Gemäldes fürs Wohnzimmer nicht so schnell passieren kann. In diesem Sinne ist es gut, dass Street Art immer mehr auch Eingang in Wohnräume findet. So gibt es seit einiger Zeit die Kunst von der Straße auch in Galerien zu erstehen. Engagierte Galerien und Verkaufsausstellungen mit Festivalcharakter fungieren auch in Wien als Schnittstellen zwischen Out- und Indoor-Projekten mit internationalen KünstlerInnen und sorgten so in den letzten Jahren für die Umsetzung großflächiger Werke im Stadtraum.

Auf Graffiti-Tour

Ein gutes Beispiel für eine derart gelungene Mischung lieferte in der Vergangenheit das von der Galerie Hilger ins Leben gerufene Festival „cash, cans, candy“, bei dem im Rahmen der großen Verkaufsausstellungen u.a. auch die Außenwände der Anker Brotfabrik im zehnten Bezirk mit Kunstwerken versehen wurde. 2013 bemalte beispielsweiße der bekannte US-amerikanische Street Art-Künstler Shepard Fairey einen Silo.

Auch der belgische Starkünstler der Szene Roa schmückte Wiens Wände in der Vergangenheit immer wieder mit Arbeiten aus der Welt der Fauna. Viele dieser Arbeiten, wie sein zumindest für WienerInnen legendärer Fuchs, der vorübergehend die Hauswand des temporären Kunstquartiers „The Fox House“ zierte, sind längst wieder aus dem Stadtraum verschwunden. Andere hingegen sind noch zu finden: So lassen sich seit Juni 2015 Biber, Fuchs, Hase und Gams – wenn auch mittlerweile zum Teil übermalt – auf einer großflächigen Wand des Gymnasiums in der Amerlingstraße erspähen. Ins Leben gerufen wurde das permanente Projekt von der ehemaligen Galerie Inoperable (heute Galerie Nathalie Halgand) mit Unterstützung von KÖR (Kunst im Öffentlichen Raum). Die Galerie zeichnete damals auch für das Projekt Shutterland verantwortlich, bei dem Graffiti-Künstler die Rollläden der Standler am Naschmarkt in Szene setzten – einiges davon ist immer zu sehen.

Ein Artist, der sich damals ebenfalls mit einem Werk auf einem der Rollos verewigte, ist der österreichische Graffiti-Artist Nychos. Der Graffiti-Künstler ist zudem Begründer des Street Art Concept RABBIT EYE MOVEMENT (REM). Seit dem Jahr 2012 verfügt die Bewegung über eigene Räumlichkeiten in der Gumpendorfer Straße mit Galerie und Online-Shop. 2017 wird eine Zweigstelle in San Francisco eröffnet.

 

2016 eröffnete die Urban Space Gallery, die Street Art in der Wiener Halbgasse zeigt. Agnieszka Gornikowska und Michael West setzten sich hier für die Vermittlung von Künstlern für die persönliche Gestaltung von Büroräumen, Eventlocations, Hausfassaden oder privaten Wohnungen ein.

Wer jedoch nicht das nötige Kleingeld hat, sich ein Kunstwerk eines bevorzugten Street Art Künstlers ins Haus zu holen, ist weiterhin auf Spaziergänge im öffentlichen Raum angewiesen. Fündig werden Graffiti-Freunde vor allem im siebten und benachbarten sechsten Bezirk, wo u.a. auch ein großes Street Art Piece von dem französisch-österreichischen Künstlerpaar Jana & Js seit ein paar Jahren eine Hauswand (Hornbostelgasse 9 Gumpendorfer Straße 122) schmückt. Für Graffiti-Fans ebenfalls eine Pilgerstätte ist der Donaukanal. Hier darf Dank der Initiative der Wiener Stadtverwaltung „Wiener Wand“ straffrei gesprayed werden. Bei einem Spaziergang lässt sich den Sprayern zudem über die Schulter schauen. Ob Anfänger oder Stars der Szene, die Mauern entlang des Donaukanals bieten reichlich Anschauungsmaterial.
Für alle, die sich im Vorfeld über die unterschiedlichen Locations der Kunstwerke informieren wollen, bietet sich ein Blick auf die Seite www.viennamurals.at an. Derzeit wird mittels Crowdfunding-Kampagne zudem an einem 100seitigen Street Art Guide mit Übersichtskarten, Fotos und HIntergrundinformationen gebastelt. Wer trotz allem nicht alleine gehen möchte, das Graffitimuseum Wien bietet auf Anfrage Gruppentouren an.

An einer Wand in der Kleine Sperlgasse 2c befindet sich Wiens erstes und bis dato 
einziges, von weitem sichtbares typografisches Museum. „Blumen“, „Gas“ und „Bücher“ 
sind hier in trauter Eintracht vereint und leuchten des Nachts sogar. 
www.stadtschrift.at

Links:
www.koer.or.at
https://rabbiteyemovement.at
www.urbanspace.at
www.wienerwand.at
www.facebook.com/viennamurals
www.graffitimuseum.at

Skulpturenpark MQ Amore
Museumsplatz 1, 1070 Wien
Homepage: www.mqw.at/mqamore/
Öffnungszeiten: April bis Oktober 2017 jeweils täglich von 10.00 – 20.00 Uhr & im Sommer dann bis 22.00 Uhr

Geschrieben von Sandra Schäfer