Was passiert, wenn sich ein Mensch mit dunkler Hautfarbe um einen Job bewirbt? Esther Muschol ist dieser Frage nachgegangen und hat gemeinsam mit dem TAG-Ensemble ein Stück entwickelt, dass sich mit den Chancen(un)gleichheiten am Arbeitsmarkt und dem unterschwelligen (Alltags)Rassismus auseinandersetzt.

Die Kulturfüchsin hat die Regisseurin und Jungmutter während der Proben zum Interview getroffen. Ein Gespräch über Political Correctness, Rassismus, fehlende Zivilcourage und Kinder am Arbeitsplatz.

Deine aktuelle Regiearbeit „Weiße Neger sagt man nicht“ hat ihren Ausgangspunkt von Nestroys „Der Talisman“ genommen. Wie bist du auf das Stück als Vorlage für deine Beschäftigung mit dem Rassismus, der Menschen mit schwarzer Hautfarbe entgegengebracht wird, gekommen?
Ich habe seit meiner Kindheit viel mit dunkelhäutigen Menschen zu tun, es gibt einige Schwarze in meiner Familie und so hatte ich das Glück, sehr früh zu lernen, dass Menschen, die mir nahe sind, sehr unterschiedlich aussehen können. Aber ich erlebe immer wieder, dass wir uns als Gesellschaft mit Leuten schwer tun, die wir als anders oder fremd wahrnehmen. Oftmals, weil wir Angst haben, sie zu verletzen. Manchmal weckt dieses Anderssein aber auch Ängste oder Aggressionen. Und es ist sehr kompliziert, diese Verunsicherungen objektiv zu reflektieren, weil das Thema „Fremdheit“ emotional und politisch so aufgeladen ist. Hinzu kam, dass ich bei Schauspielern mit schwarzer oder dunkler Hautfarbe festgestellt habe, dass sie gerne in „Dekorationsrollen“ wie zum Beispiel Rosenverkäufer, Taxifahrer oder Assistenten besetzt werden. Ich wollte einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe in den Mittelpunkt einer Geschichte stellen, weil ich das nicht ausreichend repräsentiert finde. Da passt „Der Talisman“ natürlich gut. Das Stück erzählt auf brillant einfache Art und Weise wie ein Außenseiter durch Tarnung in die Gesellschaft eintreten kann, um in ihr Karriere zu machen. Allerdings haben wir uns im Verlauf der Proben immer stärker von der scherenschnittartigen Volksstückästhetik des Stückes entfernt, um uns thematisch verstärkt mit Fragen von Alltagsrassismus, politischer Korrektheit und Populismus beschäftigen zu können.

Seit Nestroy hat sich die Gesellschaft in Österreich natürlich verändert – ist multikultureller geworden. In den 1980er/90er Jahren grüßten sich Schwarze beispielsweise noch auf der Straße, so wenige lebten in Wien …
Ich habe die Entwicklung hier erst in den letzten zwanzig Jahren verfolgt, weil ich ursprünglich aus Deutschland komme. Und was den Umgang meiner schwarzen Verwandten in Deutschland angeht, haben sie alle sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht, daher kann ich hier gar keine pauschalen Antworten geben. Es geht auch jeder der schwarzen Menschen, die ich kenne, anders damit um, wie er oder sie angeschaut wird und wie mit ihm oder ihr umgegangen wird. Jeder löst damit auch wieder etwas anderes aus. Das ist ein typisches Merkmal des Rassismus, dass er davon ausgeht, alle sind gleich. Das Theater gibt uns eine Chance, Situationen genauer zu erfassen und Biografien zu erzählen. Mich interessiert herauszufinden: Was passiert, wenn ein spezieller Mensch, in eine bestimmte Situation kommt?

Was kann das Theater überhaupt als Begegnungsort zur Überwindung von Vorurteilen leisten? Diesbezüglich hat sich seit Nestroy vermutlich wenig geändert?
Wahrscheinlich war die Gesellschaft zu Nestroys Zeiten homogener. Andererseits ist der Teil der Gesellschaft, der heute ins Theater geht und der Teil der Gesellschaft, der damals ins Theater ging, ähnlich homogen. Letztlich erzählt man eine Geschichte für einen ganz bestimmten Ausschnitt der Gesellschaft. Mir geht es pauschal formuliert darum, herauszufinden wie wir uns verhalten können, damit ein gutes Miteinander funktioniert. Die Frage, die dieses Stück aufwirft, ist weniger „Wie rassistisch verhalte ich mich eigentlich?“, sondern „Wo mache ich Unterschiede und diskriminiere, ohne mir dessen bewusst zu sein?“ und „Wie verhalte ich mich gegenüber dem Rassismus, den ich als solchen erkenne?“ Ich glaube, das sind Fragen, mit denen unser Publikum etwas anfangen kann. Rassismus erscheint oft in getarnter Form. Es geht um die Feinheiten, herauszufinden was tun, wenn ich spüre, dass jemand benachteiligt wird oder wenn es zum Beispiel einen offenen Übergriff gibt. Diesbezüglich ist es immer wieder erstaunlich, wie wenig Zivilcourage in uns allen vorhanden ist. Es braucht immer einen, der anfängt. Diese Initialzündung für Zivilcourage, die muss man kultivieren.

Wie vermeidet man es bei so einem Thema ins Moralisierende, Pädagogische abzugleiten? Niemand möchte ja ständig einen erhobenen Zeigefinger vor seiner Nase sehen …
Indem man eine emotionale Reaktion auslöst und Dinge tut, bei denen man sagt, das kann man doch nicht machen, das darf man doch nicht. Wir wollen die Provokation weiterspielen, das Unsagbare weiter sagen, das Unverschämte auf die Spitze zu treiben. Das prägt sich mehr ein als wenn man sagt, das darfst du nicht sagen, das darfst du nicht machen. Das ist genau das, was bei der Forderung nach politischer Korrektheit immer wieder passiert. Dass sie als Zensur wahrgenommen wird. Das ist kontraproduktiv: wenn Kommunikation, wo es um Kontakt gehen soll, als Vorschrift wahrgenommen wird, dann wird kein Kontakt entstehen.

Apropos Political Correctness: Das Stück trägt den provokanten Titel „Weiße Neger sagt man nicht“. Wieso hast du dich für dieses viele debattierte N-Wort entschieden?
Ich habe, als bei den Wiener Festwochen „Les Negres“ von Jean Genet gespielt wurde, mit großem Erstaunen beobachtet wie ein riesiger Aufschrei durch die Medien ging. Es hieß, man darf dieses Stück mit dem N-Wort im Titel nicht spielen – oftmals in totaler Unkenntnis dessen was da eigentlich verhandelt wird. Die Diskussionen waren wenig differenziert. Bei unserem Titel gefällt mir dieser Widerspruch, dass es sich um eine politisch korrekte Aussage handelt, nämlich „weiße Neger sagt man nicht“, aber dass gleichzeitig ein Wort verwendet wird, das als politisch unkorrekt gilt. Diese Debatte um politisch korrektes Verhalten und politisch korrekte Sprache ist generell eine sehr schwierige. Sobald man politische Korrektheit in Frage stellt, wird einem sehr schnell eine rechte politische Gesinnung zugesprochen. Ein guter und respektvoller Umgang miteinander kann aber nicht nur darin bestehen, dass man einzelne Worte ausschließt. Ich halte es für gefährlich, Menschen zu verurteilen, die sich dieser politisch korrekten Sprache nicht perfekt bedienen. Nicht zuletzt, weil das auch ein Art Widerstand weckt, sodass sich auf einmal Menschen, deren Gesinnung ich nicht teile, als Opfer deklarieren können. Trotzdem: Respektvolles Verhalten sollte sich auf jeden Fall in der Sprache widerspiegeln. Und es ist wichtig, eine Sensibilisierung dafür zu schaffen, wie viel Gewalt in der Sprache stecken kann, die sich direkt auf unser Zusammenleben auswirkt. Nur ist es so; Sprache besteht aus viel mehr als aus einzelnen Worten – oft werden kleine Dinge riesig aufgeblasen und verdecken den Blick aufs Wesentliche, dann wird die Debatte um politische Korrektheit zum Stellvertreterkonflikt und keiner kümmert sich mehr darum, die Verhältnisse zu hinterfragen. Denn solange die Verhältnisse sich nicht ändern, werden auch die politisch korrekten Ersatzbegriffe immer wieder unbrauchbar für den respektvollen Umgang. Ist Neger per se eine abwertende Bezeichnung oder ist es eine Bezeichnung, die irgendwann als Abwertung eingesetzt wurde und deswegen ersetzt werden muss? Wird die Bezeichnung, die als nächstes gefunden wird, auch wieder abwertend, weil sich die Verhältnisse nicht geändert haben usw. Irgendwann kommt man in eine Spirale, wo es auf einmal sieben, acht, neun Begriffe gibt, die alle abwerten, weil sich damit abwertendes Verhalten verbindet, weil sich an der Diskriminierung nichts geändert hat.

Kommen wir trotzdem nochmals zu Nestroys Talisman zurück. Der Außenseiter Titus findet seine Liebe ebenfalls in einer Außenseiterin und das Stück endet mit der Drohung, sich an die „Vervielfältigung der Unsrigen“ zu machen. Wenn man die Schlagzeilen gewisser Boulevardblätter verfolgt, hat man das Gefühl, dass genau das bereits eingetreten ist. Kann man heute ein Stück über Rassismus usw. machen und Boulevardjournalismus und Social Media vernachlässigen?
Dieser Aspekt der „Vervielfältigung“ war für mich kein Thema. Im Stück gibt es ein Auswahlverfahren für einen Job und wir schauen, nach welchen Kriterien ausgewählt und bewertet wird und wie subtil Ausgrenzung funktioniert. Was mich interessiert hat, war die Ungleichbehandlung, wenn man es zu etwas bringen möchte, wenn man sich gesellschaftlich einen Status oder eine Position erarbeiten möchte, zu sehen, wo ist die Decke. Wo kommt man einfach nicht weiter.

Bezüglich „gläserne Decke“ fällt mir ein: Fühlst du dich als Regisseurin in der deutschsprachigen Theaterlandschaft eigentlich den männlichen Kollegen gleichberechtigt?
Da muss man von Theater zu Theater unterscheiden, weil das stark abhängig ist von den Persönlichkeiten, die die Häuser leiten. Da gibt es oftmals noch ein starkes Patriarchat. Ich wundere mich immer wieder, wenn ich lese, wer an diesem oder jenem Haus alles inszeniert und ich finde keine einzige, oder vielleicht eine von sieben Frauen, darunter. Das sind gewachsene Strukturen, die man bewusst verändern müsste – manche tun das, andere eben nicht. In der freien Szene sind Frauen aber sehr präsent. Ich habe in meiner Karriere als Regisseurin nie wirklich klagen können. Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte ich immer mehr zu tun.

Im aktuellen Stück ist die Hauptperson im Gegensatz zu Nestroys Stück eine Frau. Was passiert mit einem Text, wenn man die männliche Hauptfigur durch eine weibliche ersetzt? Gab es eine Entwicklung, die überraschend war?
Ich habe nicht nur aus Titus eine Titania gemacht, sondern in einer frühen Fassung sogar alle Geschlechter umgedreht. Im Zuge dessen bin ich dahinter gekommen, dass Nestroy die Geschlechter schon umgedreht hatte. Bei ihm ist es so, dass die Repräsentanten der Macht alle weiblich sind, bei mir wurden sie männlich. Diese Konstruktion hat dazu geführt, dass es eine Durcheinanderwürfelung von Hierarchien und Machtverhältnissen gibt. Das was bei Nestroy noch klar hierarchisch strukturiert ist, ist bei uns zu einer wechselnden Schaukelbewegung geworden.

Apropos schaukeln. Während wir hier reden schaukelst du deinen Sohn auf den Knien. Wie schafft man es Mutterrolle und Arbeit zu vereinen? Sollten Kinder mehr in unsere Gesellschaft integriert werden?
Ich komme aus einer sehr großen Familie. Ich habe sechs Geschwister, darum ist für mich ein Leben umgeben von Kindern normal. Das fühlt sich auch normal an, mit ihm hier zu sein, das war verabredet, er stört nicht. Auf der Probe würde das natürlich nicht funktionieren, weil das eine Situation ist, auf der auch ich anders gefordert bin. Insofern ist das etwas, was ich einfach mache, ohne dass ich es groß hinterfrage. Ich merke aber, dass ich damit nicht unbedingt der Norm entspreche. Nachdem ich seit zwanzig Jahren am Theater arbeite, ist es für mich ein so großer Bestandteil meines Lebens, und er ist jetzt auch so ein großer Bestandteil meines Lebens, da ist es notwendig diese zwei Dinge in Einklang zu bringen. Ob man Kinder mehr in die Gesellschaft integrieren sollte, ist schwierig zu beantworten. Natürlich wäre das toll, wenn ich ihn in der Frühe mitnehmen könnte und im Theater abgeben und dann in der Pause zum Spielen hole. Das wäre aber hier am Haus von der Kapazität nicht denkbar. Aber es gibt hier eine große Unterstützung und einen selbstverständlichen Umgang. Das erlebt man nicht überall.

Glaubst du, würde ich diese Frage auch einem Mann stellen, wenn er da mit seinem Kind vor mir säße oder ist diese Situation so absurd, dass man sich das nicht einmal vorstellen kann?
Ich halte es nicht für verwerflich, diese Frage einer Frau und nicht einem Mann zu stellen. Es gibt gewisse Dinge, die kann ein Mann nicht leisten. Wie zum Beispiel stillen. Ich habe mich dazu entschieden. Deswegen habe ich im ersten Jahr ein bisschen mehr Stress. Wie sich das weiter entwickelt wird man sehen.

Vielen Dank für das Gespräch und Hals- und Beinbruch für die Premiere!
Danke.

Esther Muschol wurde 1976 in München geboren. Sie studierte Regie am Max-Reinhardt-Seminar 
in Wien. Es folgte ein dreijähriges Engagement am Wiener Burgtheater als Regieassistentin, 
wo sie auch für zahlreiche Abende der Reihe Spieltriebe im Kasino am Schwarzenbergplatz 
verantwortlich zeichnete. Seit 2005 arbeitet sie als freie Regisseurin in Deutschland und 
Österreich, unter anderem am Volkstheater Wien, an der Wiener Kammeroper, den Städtischen 
Bühnen Graz, am Landestheater Niederösterreich, Theater Erlangen, Landestheater Detmold und 
am Theater Phönix Linz.

WEISSE NEGER SAGT MAN NICHT
Uraufführung
Von Esther Muschol und dem TAG-Ensemble
Sehr frei nach „Der Talisman“ von Johann Nestroy
Voraufführung: Do 4. Mai 2017, 20 Uhr
Premiere: Sa 6. Mai 2017, 20 Uhr
Weitere Vorstellungen: 8., 11., 12., 13., 23., 24. + 31. Mai 2017, 20 Uhr / 3., 6., 7. + 8. Juni 2017, 20 Uhr
www.dastag.at

© Fotos: Judith Stehlik, Georg Mayer

Geschrieben von Sandra Schäfer