Rund 6.000 Menschen leben und arbeiten in Agbogbloshie am Rand der ghanaische Millionenmetropole Accra. Dort wo sich noch vor kurzem ein Naturparadies befand, sieht es heute aus wie in einem postapokalyptischen Science-Fiction-Film. Elektroschrott so weit das Auge reicht. Rund 250.000 Tonnen ausrangierte Computer, Smartphones, Drucker und andere Geräte landen jährlich hier – illegal. Der Export von Elektroschrott aus der EU ist zwar verboten, die Geräte werden aber nicht als Schrott, sondern als gebraucht deklariert. Das Geschäft boomt. Jedes noch so kleine Teil lässt sich verkaufen. Das Leben auf der Müllhalde gleicht einem organisierten Organismus – einem „Ökosystem“, in dem jeder/jede eine Aufgabe erfüllt – vom Sammeln der Kleinstteile durch Kinder, die die Erde mit Magneten und Sieben durchforsten, bis hin zur Versorgung der Arbeiter mit Nahrung und Wasser, die den Frauen obliegt. Als prestigeträchtig wird vor allem der Gewinn von Kupfer durch das Verbrennen der Plastikummantelungen angesehen – eine Aufgabe, die von jungen kräftigen Männern erledigt wird. Tag für Tag schüren sie das Feuer in diesem seltsam entrückten „Waste Land“, das von den „Einheimischen“ Sodom genannt wird. Dicke Rauchschwaden ziehen über das Land. Sodom ist einer der giftigsten Orte der Welt. Es wird geraten sich nicht länger als zwei Stunden in dem Gebiet aufzuhalten.

Der Sound von Sodom

Die beiden österreichischen Dokumentarfilmer Christian Krönes und Florian Weigensamer verbrachten insgesamt drei Monate am Stück an diesem unwirklichen Ort – ein endlos wirkendes Areal, auf dem die Orientierung anfänglich schwer fiel: „Der Lärm, die Arbeitsbedingungen, der Dreck, man hat ständig einen metallischen Geschmack im Mund“, so die Regisseure. Trotz widrigster Umstände präsentieren sie Sodom als Ort, dessen Szenerie „sich bei näherer Betrachtung als pulsierender Ort voller Lebensfreude, Hoffnung und unglaublicher Kreativität entpuppt“.
Inmitten dieses Paralleluniversums treffen die Filmemacher auf ein Mädchen, das sich als Junge verkleidet um mehr Geld verdienen zu können, einen homosexuellen ehemaligen Medizinstudenten, der auf der Müllhalde untergetaucht ist (in Ghana wird Homosexualität mit dem Tod geahndet) und die leeren zurückgelassenen Plastiktüten der Arbeiter einsammelt, sowie Geschäftsmänner, die jeden mühsam verdienten Cent sparen um sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben eine Überfahrt nach Europa leisten zu können. Ein junger Arbeiter rappt in einem kleinen Tonstudio vor Ort über das Leben in diesem Inferno, die für viele zur Endstation wird.

Endstation Hoffnung

Über die Geräusche des permanenten Hämmerns, die über die Landschaft dröhnen, hallt der Sound einer menschlichen Stimme. Auch in der Hölle wird getanzt. „Welcome to Sodom“ liefert Titel und Soundtrack zum Film. Ein Film, der ohne die für viele Dokus üblichen Interviewsituationen auskommt. In langen Einstellungen fängt Kameramann Christian Kermer das Treiben in dieser unwirklichenLandschaft mit ihren teils unheimlich-ästhetisch wirkenden Müllbergen und Feuerstellen ein. Es hat beinahe schon etwas Meditatives. Trotz allem gleitet der Blick nie ab von den Menschen, die hier von einer besseren Zukunft träumen. Für die meisten bleibt sie nur ein Traum. Schreckliche Geschichten kursieren – von Leuten, die in der ehemaligen Lagune, deren Boden an manchen Stellen nachgibt, versunken sind, und deren Körper irgendwann irgendwo wieder auftauchen. Näheres erfährt man nicht. Warum auch? Die Menschen sind zu beschäftigt. Es herrscht ein stetiges Treiben in der Werkstatt des Hephaistos. „Welcome to Sodom“ wirkt stellenweise wie ein dunkles Märchen von der anderen Seite der digitalen Welt.

Zum Einstieg lassen Christian Krönes und Florian Weigensamer eine lokale Mythe von einem chamäleonähnlichen Wesen, das sich von Gott entsandt, langsam über das Land bewegt um die Zerstörung der Natur und die Sünden der Menschen zu beobachten, erzählen. Fragmente eines Chamäleons liefern ein erstes Stimmungsbild. Die drachenähnlichen Tiere sind in Ghana mittlerweile vom Aussterben bedroht. Die Zukunft hat begonnen. Unsere Elektrogeräte von heute sind das Futter Sodoms für morgen. Bewusstsein darüber herrscht laut den Regisseuren in der Öffentlichkeit kaum.
Mit ihrem Film, der in bester österreichischer Tradition von Filmemachern wie Michael Glawogger steht, wollen sie zum Nachdenken anregen was unseren Umgang mit Elektrogeräten und mit jenen Menschen, anbelangt. „Sie haben jedes recht diesen Kontinet zu verlassen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben“, so Krönes im Rahmen des Zürcher Filmfestivals, bei dem der Film mit dem Preis der Zürcher Kirchen ausgezeichnet wurde.

Welcome to Sodom – dein Smartphone ist schon hier. Ein Film von Christian Krönes und Florian Weigensamer. AT 2018, 92 min, OmdU

Kinostart: 23. November 2018

© Fotos: Stadtkino Filmverleih

Geschrieben von Sandra Schäfer