Besonders im November, wenn sich die Sonne nur selten blicken lässt und die Stadt in einen Dunst- bzw. Nebelschleier gehüllt ist, kommt bei vielen Menschen Melancholie auf. Die Tage werden stetig kürzer und kälter. Traditionell beginnen die Menschen in dieser Zeit ihrer Verstorbenen zu gedenken. Das ursprünglich keltische Halloween-Fest, das von Amerika in den letzten Jahren in seiner kommerzialisierten Form auch in Österreich Fuß gefasst hat, oder das von den Katholiken eingeführten Allerseelen bzw. Allerheiligen, liefern noch heute Zeugnis davon. Zu Zeiten der Urgroßmütter waren an diesen ersten beiden Novembertagen die fahrplanmäßigen Straßenbahnen, die zum Friedhof fuhren, dermaßen überfüllt, dass zahlreiche Sonderzüge eingeschoben werden mussten. Halb Wien war unterwegs, um der Verstorbenen zu gedenken. Heute ist es rund um den 1. und 2. November ruhiger geworden, aber dem Tod haben auch die Wiener noch immer kein Schnippchen schlagen können – davon zeugen die zahlreichen Ruhestätten in der Stadt.

Die größte davon ist der Wiener Zentralfriedhof. Mit über drei Millionen Beerdigten ist er die zweitgrößte Totenstadt Europas. Auf dem am 1. November 1874 eröffneten Friedhofsgelände lässt sich seitdem nicht nur an den Totengedenktagen, sondern auch an allen anderen Tagen „schaurig-schön“ spazieren gehen. Dabei kann es mitunter passieren, dass man auf so manchen lebendigen Bewohner trifft. Feldhase, Dachs und sogar der Adler haben das Friedhofsgelände fest im Griff. Und auch das eine oder andere Reh nennt das 2,5 Millionen Quadratmeter umfassende Areal sein Zuhause.

Anzutreffen sind die scheuen Vierbeiner vorzugsweise im Jüdischen Trakt der internationalen Gräberstadt, die neben dem alten und neuen jüdischen Friedhof u.a. auch einen buddhistischen, serbisch-orthodoxen und islamischen Teil beherbergt. Gleichermaßen beliebt bei Wienern und Touristen sind die rund 1540 Ehrengräber, die sich auf dem Gebiet des Zentralfriedhofs befinden. In ihnen ruhen die sterblichen Überreste von Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Franz Werfel, Curd Jürgens, Falco und von vielen anderen, die auf den unterschiedlichsten Gebieten Spuren hinterlassen haben. Ein Gedenkstein erinnert zudem an Wolfgang Amadeus Mozart, der ursprünglich auf dem „communalen“ St. Marxer Friedhof im dritten Bezirk beigesetzt wurde. Wo sich heute die sterblichen Überreste des Musikvirtuosen tatsächlich befinden, ist allerdings noch immer nicht geklärt. Doch hat man ungefähr dort, wo das Grab sich aller Wahrscheinlichkeit nach befinden müsste, ein Denkmal errichtet und ein grabähnliches Blumenbeet gepflanzt.

Der unter Denkmalschutz stehenden St. Marxer Friedhof befand sich zur Zeit seiner Entstehung recht weit außerhalb des Stadtgebiets und verdankt seine großzügige Belegung einer Verordnung von Kaiser Joseph II, die es aufgrund der zunehmenden Seuchengefahr verbot Tote innerhalb des Linienwalls zu bestatten. Mit dem stetigen Wachstum der Bevölkerung wurde der Friedhof zu klein und so kam es schließlich zur Inbetriebnahme des Zentralfriedhofs.

Das Bestattungsmuseum – eine Wiener Institution

Seit 2014 (nach dem Auszug aus der Goldeckgasse) beherbergt der Zentralfriedhof heute zudem das weltweit einzigartige Bestattungsmuseum. In den in schwarz gehaltenen Ausstellungsräumen herrscht „Grabesschick vom Feinsten“. Prachtvolle Uniformen der Bestattungsbediensteten, große Trauer-Damenroben, Sterbeurkunden bekannter Persönlichkeiten sowie diverse Urnen- und Sargmodelle (darunter auch der Klappsarg, den Joseph II. erfolglos einzuführen versuchte) geben einen Einblick in die Welt der Bestattung vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Auch wenn sich am Schmerz der Hinterbliebenen in all den Jahren vermutlich wenig geändert haben dürfte, die Art wie man seiner Trauer Ausdruck verlieh variierte über die Jahre und Gesellschaftsschichten hinweg sehr wohl. So war in früheren Zeiten beispielsweise ein langes Kondukt üblich. Diese Trauermärsche waren Ausdruck des aufstrebenden Bürgertums sein neu gewonnenes Selbstverständnis zur Schau zu stellen. Erst mit dem Ersten Weltkrieg wurden die Inszenierungen bescheidener und die Aufbahrungen fanden nicht mehr in den Häusern der Verstorbenen, sondern immer öfters auf dem Friedhof statt.

Zu den ungewöhnlichsten Schaustücken der Sammlung zählt ein so genannter Rettungswecker – ein dem Toten um die Hand gebundenes Seil, das den Verstorbenen während der Aufbahrung mit einer Glocke verband. Auch der österreichische Dichter Johann Nestroy ließ sich mit einem solchen bestatten. Tatsächlich sind in Wien zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Leute lebendig begraben wurden. Man nimmt heute an, dass aufgrund mangelnder Mittel zur unmissverständlichen Feststellung des Todes rund einmal im Monat in Wien jemandem das Schicksal einer „Lebend-Beerdigung“ widerfuhr.

Für heutige Verhältnisse besonders skurril erscheinen auch die so genannten „Post-mortem“-Fotografien, die besonders im Wien des Fin de Siècle Tradition hatte. Sie entstanden aus dem Brauch, Verstorbene in ihren besten Anzügen bzw. Kleidern zum Fotografen zu karren und für „lebensnahe“ Aufnahmen am Sessel festzuzurren. Der Volksmund sprach diesbezüglich von „der schönen Leich“. Auch wenn diese Methode der Erinnerungskultur nicht mehr en vogue ist, intensives Gedenken an die Verstorbenen gehört nach wie vor zum Totenkult.

Friedhofs“juwel“ am Albaner Hafen

Doch welche Folgen hat es post mortem für Menschen, deren Namen nicht bekannt sind? Ein besonderer Ort diesbezüglich ist der Friedhof der Namenlosen in Wien-Albern. Das Friedhofsgelände befindet sich im Gebiet des Auwald- und Wiesengebiets und ist letzte Ruhestätte für jene Wasserleichen, die in der Zeit von 1845 bis 1940 im Alberner Hafen durch einen Wasserstrudel der Donau gemeinsam mit Treibgut angeschwemmt wurden.

Sein Vorhandensein verdankt der Friedhof der Initiative der einst hier lebenden Fischer, die die Leichen aus der Donau bargen. Bestatteten sie die Toten zunächst noch am Ufer, so gingen sie im Lauf der Zeit dazu über die Grabstätten weiter im Landesinneren anzulegen, da die Donau regelmäßig über die Ufer trat und die Hochwässer die Gräber beschädigten oder ganz mit sich nahmen. Nachdem die von den Fischern angebrachten Birkenkreuze der Witterung über die Jahre nicht standhalten konnten, setzte der ehrenamtliche Friedhofsbetreuer Josef Fuchs nach dem Zweiten Weltkrieg durch, dass sie durch Gusskreuze von aufgelassenen Grabgruppen des Zentralfriedhofs ersetzt wurden.

Während noch heute die schlichten Kreuze die erhaltenen Gräber zieren, so schmücken hingegen prächtige Monumente den verträumten Josefsdorfer Waldfriedhof in Wien-Döbling, südlich unterhalb des Kahlenbergs. Hier fand u. a. Karoline Traunwieser, die als die schönste Wienerin zur Zeit des Wiener Kongresses galt und am 8. März 1815 im Alter von nur 21 Jahren an Lungenschwindsucht starb, ihre letzte Ruhestätte. Ein Besuch des am 21. Dezember 1783 eingeweihten Friedhofs lohnt nicht nur aufgrund der gut erhaltenen Biedermeiergräber und dem herrlichen Blick über Wien, sondern auch wegen – und jetzt wird´s profan – der typischen Wiener Heurigen, die in unmittelbarer Nähe mit köstlichen Weinen und ebensolchen kulinarischen Schmankerln aufwarten.

„Verwilderte Geschichte“ am Jüdischen Friedhof Währing

Mit Wiens schwärzesten Stunden verbunden ist hingegen die Geschichte des Jüdischen Friedhofs in Wien-Währing, der während der NS-Zeit zum größten Teil zerstört wurde. Der 1784 eröffnete Friedhof mit prachtvollen Biedermeier-Gräbern bekannter jüdischer Familien und einer Abteilung mit Gräbern sephardischer Juden ist mittlerweile stark verwildert und kann nur im Rahmen von Sonderführungen besichtigt werden.

Vor seiner Anlegung wurden die Mitglieder der jüdischen Gemeinde auf dem Jüdischen Friedhof in der Seegasse in Wien-Alsergrund bestattet. Der im 16. Jahrhundert angelegte Gottesacker befindet sich – nach der Schleifung durch die Nationalsozialisten und seiner teilweisen Wiederinstandsetzung in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – auf dem Gelände eines Seniorenheims und kann frei zugänglich besichtigt werden.

teaser-sandra-gross

 


Info:
Zentralfriedhof, Simmeringer Hauptstraße 234 (Tor 2), 1110 Wien, 8 – 17.00 Uhr
Bestattungsmuseums am Wiener Zentralfriedhof
Simmeringer Hauptstraße 234, Tor 2, Aufbahrungshalle 2, 1110 Wien, Linien 6 und 71.
Öffnungszeiten: Mo – Fr  9.00 – 16.30 Uhr
Eintritt: 4 Euro
Tel.: +43 (01) 760 67
Homepage: www.bestattungsmuseum.at
St. Marxer Friedhofspark, Leberstrasse 6-8, 1030 Wien
Öffnungszeiten: 1. Oktober bis 31. März: 6.30 bis 18.30 Uhr
Friedhof der Namenlosen, Albaner Hafenzufahrtsstraße, 1110 Wien, Linie 76A bis Albaner Hafen
Josefsdorfer Waldfriedhof, Kahlenbergstraße, Endstation 38A, 1190 Wien
Währinger Friedhof (Anfragen wegen Führungen im Währinger Bezirksmuseum, Währinger Straße 124,1180 Wien, Tel.: 4000/18 127)
Jüdischer Friedhof, Seegasse 9, 1090 Wien, Linie D

© Fotos: wisocast

Geschrieben von Sandra Schäfer