Dass auch Puppen auf der Bühne eine gute Figur machen können, davon konnte sich das Wiener Publikum in den letzten Jahren mehrmals überzeugen. Puppenspieler wie Nikolaus Habjan und Theaterproduktionen wie „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ vom Schubert Theater sorgten dafür, dass viele auch hierzulande bei Puppenspiel nicht mehr nur an Kasperltheater denken.

Alles andere als Kinderkram sind auch zwei neue Produktionen: von Habjan im Volkstheater und von Simon Meusburger im Schubert Theater. Beide Stücke sind irgendwo am Ende des Lebens angesiedelt.

Alles halb so schlimm

Im Fall von „Der Herr Tod und seine Freude“ nicht weiter schlimm. Vorausgesetzt das Ende kommt so sympathisch daher wie in dem vier-Episoden-Stück von Meusburger, Direktor des Schubert Theaters, hat man nichts oder zumindest wenig zu befürchten. Vor allem in der zweiten Episode mit dem Titel „Der Herr Tod in Wien“ präsentiert sich der Sensenmann ziemlich umgänglich. Der Tod tritt hier als gleichermaßen hübsch und erschreckend anzusehendes filigranes Skelett von Puppenmacher Christoph Bochdansky in Erscheinung. Ganz ernst genommen wird er aber trotz seines makabren Aussehens nicht – der Wiener lässt sich eben nicht gern ablenken, und schon gar nicht, bevor er seinen Kaffee getrunken hat.

Als nicht ganz so humorvoll, aber doch vom ausdrucksstarken Puppendesign (von Lisa Zingerle und Claudia Six) und gelungenem Puppenspiel (Franziska Singer, Andrea Köhler und Christoph Hackenberg) getragen, erweisen sich die anderen drei Episoden. Christoph Hackenberg, Simon Meusburger und Bianca Meusburger-Waldhardt entführen die ZuseherInnen mit ihren Texten in einen Atombunker am Höhepunkt des kalten Krieges, zum Anfang der Welt und in den Salon zu einem Zwiegespräch zwischen Leben und Tod. Und doch – trotz durchschimmernden Unmuts über das menschliche Ableben erwartet die ZuseherInnen ein gleichwohl versöhnliches wie beschwingtes Ende – man wäre vermutlich nicht in Wien, würde man die Puppe(n) nicht tanzen lassen.

„Das Missverständnis“

Wenig Grund zur Freude haben hingegen durchgängig die Figuren in Albert Camus „Das Missverständnis“. Mutter und Tochter fristen ihr Dasein in einer ärmlichen Herberge in einer verlassenen Gegend. Um sich etwas dazuzuverdienen, ist man nach Jahren des Dahinvegetierens offenkundig zum Raubmord an Durchreisenden übergegangen. Das Ganze geht solange gut, bis eines Tages der zurückgekehrte Sohn vor der Türe steht. Doch man erkennt sich nicht – es kommt zum Missverständnis.
Nach Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan, der das von Camus 1943 geschriebene Stück ursprünglich für das Schauspielhaus Graz inszenierte und dafür eine Nominierung für den Nestroypreis erhielt, ein Stück mit Botschaft. „Sag klar, wer du bist und was du willst, dann hast du die Chance, es zu bekommen“.

Was die ZuseherInnen in eineinhalb Stunden geliefert bekommen, ist zwar thematisch trist, dafür aber höchst qualitativ. Die Inszenierung punktet vor allem durch die aus der Verbindung von Puppe und Spieler suggerierte Doppelexistenz der Charaktere – wie man sich gibt, ist noch lange nicht, wie man fühlt – und dem Bühnenbild. Auch letzteres spiegelt – mit starken Assoziationen an Hitchcocks Psycho und expressionistischen schwarz-weiß Film – die gewaltige Schieflage wider, in der sich die Charaktere befinden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass beide Produktionen erneut beweisen, dass das Figurentheater am aufsteigenden Ast ist. Warum das so ist und was das Schubert Theater damit zu tun hat, hat kulturfuechsin.at im Interview mit Simon Meusburger erfahren.

Ein Gespräch über Puppenspiel und Tod:

wieninternational.at: Herr Meusburger, seit wann genau gibt es das Schubert Theater und inwieweit ging es von Anfang an darum, die lange Zeit in Vergessenheit geratene Tradition des Figurentheaters wieder aufleben zu lassen?
Simon Meusburger: Ich habe das Theater 2007 übernommen, wir spielen nun die neunte Saison. Seit sechs Jahren sind wir ein Figurentheater. In der zweiten Saison ist Nikolaus Habjan zu mir als Assistent für eine Produktion gekommen. Ich habe damals ein Youtube Video mit einer seiner ersten Puppen gesehen und von da an wollte ich diese für mich neue Form des Theaters am Schubert Theater haben. Über die Traditionen dieser alten Theaterform habe ich erst viel später nachgedacht. Für mich ist das Figurentheater ein riesiger Gewinn, eine zusätzliche Ebene, eine tolle Möglichkeit, alle möglichen Themen und Geschichten auf die Bühne zu bringen. Unmittelbar und unverfälscht. Das schöne gerade bei unseren Figuren, wo die SpielerInnen sichtbar auf der Bühne sind, ist die Ehrlichkeit. Wir tun nicht so, als ob. Wir laden das Publikum ein, mitzuspielen, zu glauben, dass diese Figur ganz ohne SpielerIn lebendig wird. Und das gelingt uns in der Regel jeden Abend. Leute, die sich überhaupt nichts unter Figurentheater für Erwachsene vorstellen können, die glauben, dass Puppentheater „nur“ Kasperltheater ist, sind nach ihrer ersten Erfahrung bei uns mit dem Genre meistens total verzaubert und fasziniert.

wieninternational.at: Sehen Sie dank Ihrer Produktionen eine Verbesserung im Bereich Figuren- bzw. Objekttheater in Österreich? Mittlerweile gastiert Nikolaus Habjan mit seinem Puppenspiel im Volks- oder Akademietheater.
Simon Meusburger: Dass sowohl Nikolaus als Solokünstler jetzt viel an den großen Häusern spielt und inszeniert, sowie dass zwei unserer eigenen Produktionen (Der Herr Karl und F. Zawrel) an Burg- und Akademietheater sowie am Grazer Schauspielhaus gezeigt werden, hilft uns und dem ganzen Genre sicher enorm. Wir haben eine größere Öffentlichkeit und das Publikum akzeptiert die Tatsache, dass bei uns Puppen die Hauptrollen spielen, nun sicher leichter. Viele Vorurteile wurden dadurch in den letzten Jahren abgebaut. Auch unsere neuen Produktionen und neuen PuppenspielerInnen und RegisseurInnen, die nun in Nikolaus´ Fußstapfen treten und das Schubert Theater mit immer neuen Innovationen im Bereich des Figurentheaters bereichern, profitieren von seiner Pionierarbeit.

wieninternational.at: Sie haben 2012 den Nestroy Preis erhalten. Was bedeutet das für Sie?
Simon Meusburger: Für mich persönlich ist ein Theaterpreis immer eine zwiespältige Sache. Wie soll man denn Produktionen vergleichen? Ein unglaublich subjektives Unterfangen und meiner Meinung nach nicht machbar. Theater ist nun mal kein messbarer Sport. Andererseits ist ein Preis wie der Nestroy gerade für die Off-Szene immer eine Möglichkeit, ein bisschen mehr Öffentlichkeit als sonst zu ergattern. Gerade in einer Theaterstadt wie Wien ist das von unschätzbarem Wert. Und für uns war der Preis für F. Zawrel ein tolles Sprungbrett. Wir haben nicht nur neues Publikum für unser Figurentheater erreicht, sondern die Produktion wurde dadurch in einem viel größeren Rahmen wahrgenommen und wird nun eben an vielen großen Häusern und Festivals im ganzen deutschsprachigen Raum gezeigt.

wieninternational.at: Wie kam Ihnen die Idee zum Stück „Der Herr Tod und seine Freunde“?
Simon Meusburger: Der Tod ist ein Thema, das mich persönlich, wie unzählige KünstlerInnen vor mir, sehr fasziniert. Einfach weil uns der Tod alle betrifft. Es gibt so viele Sichtweisen auf diesen Zustand, den wir in der Kunst so gerne personalisieren, um ihn verständlicher zu machen, dass ich verschiedene Autoren bat, sich mit mir darüber Gedanken zu machen. Herausgekommen sind vier ganz unterschiedliche Einakter, die ich zu einem Theaterabend zusammengefasst habe. Es ist ein sehr poetischer, sinnlicher, emotionaler, lustiger und nachdenklicher Abend geworden. Und der Tod kommt dabei meist ganz sympathisch rüber. Weil er doch ein Teil von uns allen ist.

Simon Meusburger, 1974 in Bregenz geboren, begann seine Arbeit am Theater als freier Regieassistent – u.a. arbeitete er für die Bregenzer Festspiele, zahlreichen Filmproduktionen und zwei Musicalkompositionen. Seit 2006 Regisseur und seit Sommer 2007 Direktor am Schubert Theater Wien. Seine Zusammenarbeit mit Nikolaus Habjan, „F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“, wurde mit dem Nestroypreis für die beste Off-Theater Produktion 2012 ausgezeichnet.

Der Herr Tod und seine Freunde
Derzeit keine Vorstellung
Schubert Theater
Währingerstraße 46, 1090 Wien
Tel.: +43 676 443 48 60
info@schuberttheater.at
Ticketpreise: 22 Euro, ermäßigt: 12 Euro
http://schuberttheater.at

Das Missverständis von Albert Camus
Noch am 29. Mai und am 14. Juni 2016
Volkstheater
Neustiftgasse 1, 1070 Wien
www.volkstheater.at

@Fotos: www.lupispuma.com / Schauspielhaus Graz

Geschrieben von Sandra Schäfer