Als einen aus „Blumenduft und Marmorkälte gemischten Hauch, der einen in Kirchen anweht“, beschreibt Flaubert die Wirkung der jungen Madame Bovary in seinem gleichnamigen Roman auf die Dorfbewohner. Mit ähnlicher Kühle wartet derzeit auch die mehr an eine Geistervilla denn an ein Bürgerhaus erinnernde Kulisse in der Josefstadt auf. Das „Sittenbild aus der Provinz“, wie der Klassiker im Untertitel heißt, zeugt noch bis zur Sommerpause von der „Sittenlosigkeit“ einer der großen „Gefallenen“ der Weltliteratur – Flaubert musste sich nach der Veröffentlichung seines Werkes 1856 vor der Zensurbehörde verantworten. In der Bühnenfassung von Anna Bergmann dürfen – die Zensurbehörde von damals hätt’s gefreut – gleich fünf Madame Bovarys ins Unglück schlittern. Ein nicht nur aktuell in der Theaterlandschaft moderner Kunstgriff, sondern laut Bergmann auch ein Verfahren, das es ermöglicht, die unzähligen Beschreibungen, die Flaubert seiner Hauptfigur – einer in der Enge der Provinz gefangenen Frau – zukommen lässt, zu erfassen. Von der „jungen Wilden“ – Bea Brocks in einer Art sexy Schuluniform definitiv am klischeehaftesten ausgestattet – über die „mondän-verführerische, kaufkaufsüchtigen (Silvia Meisterle) bis hin zur „Verlotterten“ (Ulli Fessl), reicht die Palette der Zuschreibungen. In der Mitte manövriert sich als zentrale Madame-Bovary-Figur Maria Köstlinger gekonnt in den Abgrund.
Von bieder bis lasziv
Als junge Ehefrau eines erfolglosen Landarztes sehnt sie sich als Tochter eines wohlhabenden Bauern und ehemalige Klosterschülerin, von den rührseligen Romanen ihrer Jugend beflügelt, mehr Glanz in ihrem Leben herbei. Nach einer rauschenden Ballnacht in ihrem Wissen bestärkt, dass es ein aufregenderes Dasein als das ihre gäben könnte, sucht sie ihr Glück nach einer Phase der Depression in einer Liebschaft. Doch die Erwartungen sind zu hoch. Die Enttäuschung lässt nicht lange auf sich warten. Kurzzeitig mit der Rolle einer Heiligen liebäugelnd bietet auch das so genannte Mutterglück keine Erfüllung. Das Kind – packend im aktuellen Trend Puppen auch auf großen Bühnen zum Einsatz kommen zu lassen von Suse Wächter zum Leben erweckt – erscheint ihr als zu blass. Ein selbstbestimmtes Leben im 19. Jahrhundert als Frau ist kaum zu erreichen. Der Ehemann Charles Bovary, von schlichtem Gemüt, scheint nichts zu wissen vom Unglück seiner Angetrauten, die zeitweise an hysterischen Anfällen laboriert. „Die Selbstverständlichkeit mit der er annahm, dass er seine Frau glücklich mache, empfand sie als Schwachköpfigkeit und Kränkung“, heißt es im Roman. Worte, die auch auf der Bühne zu hören sind.
Als biederer Ehemann und liebevoller Vater agiert Roman Schmelzer, dessen Outfit als einziges unspektakulär gehalten ist. Der Rest des Ensembles darf sich mit bis ins Groteske aufgetürmten Frisuren schmücken. Mit besonders auffälligem Haupthaar ausgestattet, ist Christian Nickel, der neben der Rolle des Verführers auch als Erzähler fungiert. Ein vor allem zu Beginn mitsamt der in grünes Licht getauchten, unheimlich wirkenden Bühne ein gewöhnungsbedürftiger Einstieg.
Nicht minder befremdlich ist auch die Anhäufung diverser erotischer Posen. Während Flauberts Madame Bovary in sexueller Hinsicht von der Kunst des symbolhaft Angedeuteten lebt, wird sich auf der Bühne in großer Anhäufung lasziv geräkelt. Doch die Inszenierung beweist auch Humor. Aus der berühmten Kutschenszene – ein Kunststück der erotischen Andeutungen – wird eine Szene, in der Leon, Emma auf einem E-Roller umschwänzelt. Nicht das einzige Mal, dass das Publikum, das – und dieses zählt zu den unterhaltsamsten Momenten – von den Schauspielern süffisant beschimpft wird, in Gelächter verfällt.
Kurzweilig mit langatmigen Ende
Derlei unterhaltsame Momente und ein Bühnenbild, das zeitweise an einen Adventkalender erinnert, sorgen trotz aller Schwächen – der Gedanke, dass manche Romane (wenn auch gerade in Mode) doch nicht fürs Theater adaptiert werden sollten, kommt einen unweigerlich in den Sinn – für einen im Großen und Ganzen kurzweiligen Abend; auch wenn das Stück gegen Ende eine gewisse Langatmigkeit aufweist. Dass Madame Bovary letztendlich unter den Qualen einer Vergiftung aus dem Leben scheidet, lässt einen nach nicht ganz drei Stunden überraschend kalt. Daran ändert auch ein Verweis an andere weibliche Selbstmorde- beziehungsweise Opfer der Gesellschaft nichts. Vor allem der Herr in den vorderen Reihen, der in der Pause von der Qualität mancher Frauenbeine schwärmte, dürfte einen unterhaltsamen Abend gehabt haben. Wer wissen will, warum das Buch seit über 150 Jahren quer durch die Bevölkerungsschichten bewegt, sollte die Antwort allerdings nach wie vor im Bücherregal statt auf der Theaterbühne suchen.
Madame Bovary
Theater in der Josefstadt
Josefstädter Straße 26
1080 Wien
Weitere Termine: 30. April, 1., 5., 6., 14., 15. Mai, 1. bis 3., 14., sowie 23. bis 25. Juni 2018, 19.30 Uhr
www.josefstadt.org
© Fotos: Astrid Knie
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