Mit der Errichtung von über 380 Gemeindebauten in den 1920er Jahren bis zum Jahr 1934 stellte der Wohnbau des „roten Wiens“ ein einzigartiges gesellschaftliches Projekt dar, das noch heute das Erscheinungsbild der Stadt entscheidend prägt.
Einen besonderen Platz nehmen dabei jene „Superblocks“ ein, wie sie für die zweite Bauphase ab 1926 in Erscheinung treten. Mit jeweils über 1.000 Wohnungen versprachen diese Gemeindebauten nicht nur ein kostengünstiges Dach über dem Kopf, sondern sorgten zudem mit einer Vielzahl von Einrichtungen – vom Kindergarten über Bibliotheken bis hin zu Sportplätzen und Parks – für einen Wohnkomfort, den es bis dato in Wien für die Arbeiterschicht nicht gegeben hatte.
Als einer der bekanntesten „Superblocks“ aus jener Zeit gilt der Karl-Marx-Hof in Wien Döbling. Seit Frühjahr 2010 können Interessierte sich hier im Rahmen der Dauerausstellung „das rote Wien“ im ehemaligen Brausebad der Wohnanlage einen Überblick über die Entwicklung des kommunalen Wohnbaus sowie Aufstieg und Ende des roten Wiens verschaffen. Für das Konzept verantwortlich zeichnen Dr. Werner Bauer von der „Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung“ und seine Frau Lili Bauer. Hervorgegangen ist „das rote Wien“ aus dem gleichnamigen Weblexikon, das seit September 2005 online ist. Mit rund 1.300 Stichwörtern ist das Lexikon mittlerweile zu einem wichtigen und übersichtlichen Nachschlagewerk im Internet zur Geschichte und zu den Schlüsselfiguren der Arbeiterbewegung geworden. Doch auch der Besuch der Ausstellung lohnt sich. Denn die Gelegenheit den Karl-Marx-Hof von Innen zu sehen, sollte man nutzen.
Von der Industrialisierung zum Bürgerkrieg
In den Jahren 1926 bis 1933 nach den Plänen von Karl Ehn errichtet, bot der Karl-Marx-Hof Wohnungen für etwa 5.000 Menschen. Noch heute stehen hier im Übrigen 1.272 Wohnungen bereit. Auch der Waschsalon Nr. 2, wo das Museum untergebracht ist, ist noch in Betrieb. Während im Erdgeschoß also die Wäsche vor sich hin schleudert, begibt sich der Besucher/die Besucherin im ersten Stock in den Strudel der politischen Ereignisse von 1848 bis 1945: Von der Industrialisierung und dem damit einhergehenden Elend der Arbeiter in den Städten – 16 Stunden Arbeitstag ohne Recht auf medizinische Versorgung – über den Aufstieg der Sozialdemokratie bis zu deren Verbot durch Austrofaschisten und Nationalsozialisten.
Neben wichtigen Ereignissen wie dem Hainfelder Parteitag – hier konnte Victor Adler 1889 die in radikale und gemäßigte gespaltene Partei einen – und der Gründung des Schutzbundes als Folge sich zuspitzender politischer Auseinandersetzungen finden auch wichtige Personen der sozialdemokratischen Bewegung Erwähnung. Erfreulich ist, dass hier nicht auf die Frauen vergessen wurde. Eine eigene Tafel informiert über die Einführung des Frauenwahlrechts 1919 sowie das Leben von Frauenrechtlerinnen wie Auguste Fickert, Adelheit Popp oder Anna Boschek. Interessant für alle, die auch heute noch versuchen Beruf, Kinder und Haushalt unter einen Hut zu bringen, ist ein kurzer Werbefilm eines so genannten Einküchenhauses. Ursprünglich eine bürgerliche Initiative wird diese von der sozialdemokratischen Stadtregierung – 1919 ist dies die einzige in einer europäischen Millionenstadt – übernommen. Während Frau arbeitet sorgt ein hauseigener Kindergarten für die Betreuung des Nachwuchses, zuhause angekommen gibt es Essen von der Zentralküche und um die Wäsche kümmert sich ein eigenes Hausservice. Auch wenn diese Einrichtung mit knapp 200 Wohnungen mit Sicherheit eine Ausnahme darstellte, so war für Kinder-Betreuung in den großen Gemeindebauten wie Karl-Marx-Hof oder Fuchsenfeldhof ebenfalls gesorgt. Neben Kindergärten gab es nicht selten auch so genannte Kinderbäder und Milchtrinkhallen.
Neben den von den Sozialdemokraten durchgeführten Wohn- und Gesundheitsreformen kam auch der Bildungs- und Kulturarbeit eine besondere Rolle zu. Das Vereinswesen war weit verbreitet. Neben den Arbeiter-Radfahrern – heute ARBÖ – organisierten sich auch die Esperantisten oder die Abstinenzanhänger in Vereinen. Einen besonderen Platz der Ausstellung nimmt das sakrale Element ein. Büsten zu Victor Adler oder Ferdinand Lassalle schmücken das Obergeschoß. Julius Tandler und Albert Sever sind via Film am 1. Mai Aufmarsch zu bewundern. Und auch die eine oder andere „Kuriosität“ lässt sich in der Ausstellung entdecken. So wurde die Unterschrift des 1934 hingerichteten Schutzbündlers Georg Weissel zu einer Devotionalie gerahmt; Bastelarbeiten aus dem Anhaltelager Wöllersdorf – hierher wurden nach Februar 1934 hunderte Schutzbündler und sozialdemokratische Funktionäre deportiert – zieren eine Vitrine. Nur einige der über 450 Objekte, die das Ehepaar Bauer in den letzten Jahren für die Ausstellung organisiert hat.
Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof 10 Jahre Waschsalon – Programm
Dauerausstellung
Das Rote Wien
Waschsalon Nr. 2
Karl Marx-Hof
Halteraugasse 7
1190 Wien
Öffnungszeiten: Donnerstag 13 bis 18 Uhr, Sonntag 12 bis 16 Uhr sowie nach Voranmeldung
Tel.: +43 (0) 664 88540888
Eintritt: Erwachsene EUR 5,- / ermäßigt EUR 3,-
http://dasrotewien-waschsalon.at
Besuch der Ausstellung nur mit Mund-Nasen-Schutz (bitte mitbringen!)
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