Von den gesammelten Werken Marcel Prousts über Geisterjäger John Sinclaire bis hin zur singenden Plastikfigur – in Österreichs einziger Hörbuch-Handlung können Besucher aus über 10.000 Titeln wählen. Von 7. bis 11. November gibt es zudem in Kooperation mit über 50 Hörbuchverlagen eine Auswahl beim Stand der „Buch Wien“. Anlass für die Kulturfüchsin Organisator Günter Rubik im Vorfeld in seinem Shop in der Kaiserstraße einen Besuch abzustatten. Zwischen „Die drei Fragezeichen“ und den Werken von Ken Follett verriet der Spezialist Wissenswertes über den österreichischen Markt, sprach über neue Projekte und darüber warum es okay ist, sich auch während des Bügelns ein Hörbuch zu Gemüte zu führen.

Herr Rubik, wie wurden Sie zum Besitzer einer Hörbuchhandlung und sind Hörbuch-Cds, wie Sie sie im Shop vertreiben, in Zeiten des Downloads via Internet überhaupt noch ein Geschäft?

Der Ausschlag war, das meine Lebensgefährtin damals regelmäßig Hörbücher rezensiert hat. Wir haben immer versucht einen Buchhändler zu finden, mit dem man gemeinsame Aktionen machen kann. Vor elf Jahren haben wir gesagt: wenn wir niemanden finden, der das so macht wie wir uns das vorstellen, dann probieren wir es eben selbst. Hörspiele wurden zumeist bei Tonträgermärkten verkauft. Die sind im Buchhandel ziemlich untergegangen. Obwohl die CD in den nächsten Jahren sicherlich einen schwereren Stand haben wird, sehe ich nicht die Gefahr, dass wir von heute auf morgen wegsterben. Gerade im Geschenkbereich wollen viele Leute ein physikalisches Medium. Bibliotheken brauchen etwas fürs Regal. Viele wollen Hörspielserien so weiter sammeln wie sie angefangen haben. Im Kinderbereich – unser größtes Segment – haben wir den Vorteil, wenn die Kinder noch nicht alt genug sind selbst lesen können, ist das Hörspiel ideal. Wenn sie lesen gelernt haben, dann stellt sich für die Eltern die Frage, kaufen sie das Hörbuch zum Beispiel für Autofahrt oder nehmen sie das Buch und lesen zu Hause. Die Branche ändert sich zwar – im Kinderbereich gibt es seit rund zwei Jahren mit den tonies diese kleinen Plastikfigur, die entweder fertig bespielt sind oder wo man selbst aus dem Internet etwas aufspielen kann – aber den völligen Wegfall des haptischen Mediums sehe ich nicht. Außerdem haben wir einen Online-Shop, wo man sich die Dinge auch herunterladen kann.

Sie waren kürzlich auf der Frankfurter Buchmesse. Gibt es aktuelle neue Trends?

Die Themen sind nach wie vor identisch. Novitäten sind eher in Produktion und Vertrieb zu finden. Da geht es beispielsweise darum, Geschichten wie einen Fortsetzungsroman zu produzieren, wo es möglich ist zwischen Hörbuch und e-Book umzuschalten. Dinge, wo es Publikumsbeteiligung gibt, wo man auch Einfluss auf Handlung nehmen kann. Ich glaube aber nicht, dass sich das durchsetzen wird. Bei großen Lizenzen wird immer noch konventionell ein Buch daraus gemacht. Da wird ein guter Sprecher besetzt und das als Lesung produziert. Das fällt alles in sehr gängige Schemata. Krimi und Grusel dominieren nach wie vor den Markt.

Wieso sind gerade diese Genres am Hörbuchsektor so beliebt?

Das würden wir auch gerne wissen. Tatsächlich ist es extrem schwer andere Dinge zu platzieren. Die weltweit am stärksten verkaufte Hörspielserie ist John Sinclaire. Das ist ein Grusel-Groschenroman. Im Kinderbereich sind die Themen bunter gestreut. Im Erwachsenenbereich sind schon verwandte Fantasy-Themen schwer unterzubringen. Da tun sich selbst große Labels mit großem Marketingbudget schwer. Das Radio macht solche Dinge wie Krimi und Grusel kaum und trotzdem …

Stichwort Radio. Gibt es eigentlich in Österreich neben dem ORF private Produzenten von Hörbüchern oder Hörspielen?

Die österreichische Hörbuchverlagslandschaft ist ausgesprochen übersichtlich. Der ORF veröffentlicht einige Sachen selbst. Es gibt sehr wenige die Dinge beim ORF lizenzieren, um sie auf Tonträgern zu veröffentlichen. Hoanzl macht das zum Beispiel. Der ist stark im Kabarettbereich zu Hause. Beim ORF würde noch so einiges anderes interessantes entstehen, das leider nur ein Mal auf Sendung geht und das war es dann. In Deutschland gibt es einige große Verlage, die ein eigenes Programm fahren, aber jedes Jahr auch etliche Radioproduktionen mitmachen. Beispielsweise der Hörverlag oder der Audio-Verlag. Die meisten unabhängigen Hörspielverlage oder Hörspiellabels packen aber eher kleinere Dinge an, mit wenigen Sprechern, die eine übersichtliche Länge haben. Ein Radiosender kann es sich leisten – zumindest war das früher so – auch einmal ein 24-Stunden-Hörspiel zu inszenieren, das dann auf entsprechend viele Teile aufgeteilt gesendet wird. Das wäre für ein Einzelunternehmen fast unmöglich. Wo es jetzt allerdings Rückenwind gibt, ist von den großen Internetplattformen wie Audible, also sprich Amazon. Die fangen an selbst als Verlag tätig zu werden und gönnen sich teilweise solche Monsterproduktionen. Das Problem bei diesen Internetplattformen ist allerdings, das gleiche wie bei Netflix und Co. Das gibt es teilweise nur exklusiv bei einer einzigen Plattform. Manchmal kommt es wie „Das Kind“ von Peter Fitzek in den Handel. Meist deswegen, weil sich auch Internetplattformen einen Verlagspartner suchen, der das als physisches Medium nochmals verwertet. Bei kleinen österreichischen Produktionen fällt mir der mandelbaum Verlag ein. Und es gibt seit kurzem eine kleine Reihe von Hörbüchern, die wir in Zusammenarbeit mit dem „Mono Verlag“ produzieren.

Wie ist eigentlich der Anteil Hörbuch/Hörspiel – also Lesung/Dramatisierung? Könnte man theoretisch aus jedem (Hör)buch auch ein Hörspiel machen? Wie viele Hörspiele haben ein Buch oder Stück als Grundlage und sind die Grenzen überhaupt leicht zu ziehen?

Hörspielproduktionen liegen definitiv unter fünf Prozent. Die Trennung ist nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. In Deutschland hat es eine Mehrwertsteuertrennung gegeben, dadurch war das Thema plötzlich heiß. Verlage waren bemüht, viele Dinge als Lesung durchzubringen, weil das umsatzsteuertechnisch besser war. Früher hat man gesagt, alles was mit Musik und mit mehreren Sprechern inszeniert ist, ist ein Hörspiel. Jetzt hat man sich darauf geeinigt, wenn es eine Buchvorlage gibt und der Text eins zu eins umgesetzt wurde – auch wenn es mit verschiedenen Stimmen gesprochen ist.
Die Grauzone ist allerdings riesig. Theoretisch könnte man mit allem ein Hörspiel machen, aber es ist von der Umsetzbarkeit eventuell eine Herausforderung. Wenn ein Buch hauptsächlich aus erzählender Prosa besteht mit wenig direkter Rede, dann ist eine Hörspielumsetzung sehr schwer, weil man das komplett überarbeiten muss. Andere Dinge bieten sich leichter an. Auch sind die Rechte für ein Hörspiel andere als für eine Lesung. Manche Autoren geben diese dafür nicht frei.

Im Film wird oft beklagt, dass Frauen weniger Text haben beziehungsweise oft klischeehaft agieren. Wie ist das im Hörspiel?

Dort wo die Prosafassung vorgegeben ist, tut man sich mit Änderungen schwer. Ich kenne allerdings einige Hörspiele, die den Spielraum der Inszenierung dazu verwendet haben, neue Figuren einzuführen und dann in eine rein männlich besetzte Gruppe eine Frau einzuführen – zur Freude oder zum Ärger der Fans des Originalstoffs. Ansonsten finden sich im Hörspiel vielleicht sogar noch mehr Klischees als im Film. Man muss mit den Mitteln arbeiten, die man hat, um Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Da ist es natürlich schön Stereotypen zu verwenden.

Welche Hörspiele sind im Bereich Belletristik beliebt? Können Sie etwas empfehlen?

Von der Menge her ist es definitiv der Trivialroman, der das Feld anführt. Aber es werden auch schwere Texte als Hörbuch produziert. Für mich war Marcel Proust ein Erlebnis. Proust ist für seine Sätze über mehrere Seiten hinweg bekannt. Peter Matic hat das vortrefflich strukturiert gelesen. Das ist wie eine helfende Hand, die durch den Text führt. Aber im großen und ganzen ist es so, dass Hörbuchverlage darauf schauen, wie verkauft sich ein Buch. Bei einem schweren Text wird man von der Auflagezahl nie das erreichen, was man bei einem nullachtfünfzehn Titel schaffen kann. Beim Hörbuchverkauf rechnet man ein Zehntel des Buchverkaufs. Da ist es so, dass man zu den auflagenstärksten Titeln greift. Mit der Möglichkeit des Downloads wird sich das vermutlich ein bisschen ändern.

Sollten auch wir Erwachsene statt zum Buch verstärkt auch zum Hörbuch greifen? Plädieren Sie für ein bewussteres Hören oder ist das auch eine Stärke des Hörbuchs, dass man das nebenbei hören kann?

Ich kenne viele Hörspiel-Produzenten, die sagen unsere Sachen müsst ihr unbedingt bewusst hören, am besten mit Kopfhörern, denn nur so kommt unsere Arbeit wirklich bei euch an, weil wir versuchen auch mit leisen Tönen zu arbeiten, mit mehreren Soundebenen, das hört ihr nicht, wenn ihr das nebenbei im Auto oder beim Bügeln hört. Im Endeffekt muss man aber dazu sagen, ist das ein frommer Wunsch. Ich möchte nicht behaupten, es kommt gar nicht vor. Es gibt durchaus einige, die sich hinsetzen und sagen, ich möchte mich in die Geschichte hineinfallen lassen, so wie in die Musik. Aber einen der Hauptgründe von Hörbüchern sehe ich bei „Double your time“. Manche Leute mögen Hörbücher auch nicht, weil sie lieber ihre eigene Stimme im Kopf haben möchten. Sie sagen, ich mag nicht, dass mir das jemand anderer liest, ich möchte mein Tempo selbst bestimmen. Ich finde alles legitim. Sachen wie Marcel Proust, den ich vorhin erwähnt habe, würde ich allerdings nicht nebenbei hören, da kann man es gleich bleiben lassen.

Aktuell gibt es einen Podcast-Boom. Macht sich dieser Trend auch in der Nachfrage zum Hörbuch/Hörspiel bemerkbar?

Ich würde behaupten, dass Podcast und die konventionelle Lesung nebeneinander existieren und wenig Wirkung aufeinander haben. Eine Lesung ist doch etwas anderes als ein Podcast. Das würde ich eher mit einer Zeitung, mit einem Radiobeitrag identifizieren. Da geht es um eine Novität. Überschneidungen gibt es eher mit Dingen, die aus der Poetry-Slam-Szene kommen. Da wird einiges als Hörbuch angeboten. Gerade erschienen ist beispielsweise der vierte Teil der Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling. Das wird sicher ein Hit diesen Herbst.

Sie haben auch viele englischsprachige Titel im Programm. Sind Hörspiele in England beziehungsweise im anglo-amerikanischen Raum populärer? Die BBC ist ein riesiger und auch sehr bekannter Produzent für qualitative Hörspiele . . .

Das Thema Hörbuch als Lesung hat in den englischsprachigen Ländern früher begonnen. Wir haben das übernommen. Dadurch dass der Sprachraum größer ist, kann man mehr produzieren. Dafür haben wir im deutschsprachigen Raum eine ausgesprochen große Hörspielszene. Der Anteil an Hörspielen, obwohl er bei uns schlecht ist, ist nichts desto weniger größer als im englischsprachigen Raum, auch weil abgesehen von der BBC in Großbritannien die Public Radios fehlen. Im US-Raum sieht es traurig aus.

Sie werden dieses Jahr erneut bei der „Buch Wien“ vertreten sein. Was erwartet die Besucher?

Wir sind gemeinsam mit einigen deutschen Verlagen in einem Verein organisiert, mit dem wir versuchen das Thema Hörspiel zu fördern. Wir wurden im Rahmen dieses Vereins vor einigen Jahren eingeladen auf der „Buch Wien“ auszustellen. Wir haben einen Gemeinschaftsstand, wo heuer an die fünfzig Einzelverlage auf 22 Laufmeter Regal ihre Produkte präsentieren werden. Die Bandbreite reicht von großen Verlagen, die sagen, die fülle ich alleine bis hin zu Miniverlagen, die eine Neuerscheinung haben und diese bewerben wollen.

Buch Wien 18
7. bis 11. November 2018
Messe Wien, Halle D ( U2 Station Krieau)
www.buchwien.at

Tipps aus der Audiamo Hörbuchhandlung

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Autor: Marcel Proust
Sprecher: Peter Matic
Erschienen bei audible

Die Känguru-Apokryphen
(ungekürzte Lesung)
Sprecher Marc-Uwe Kling
Verlag Hörbuch Hamburg
Erscheinungsdatum: 12. Oktober 2018
Medium: 3 CD(s)
Laufzeit: 261 Minuten
Euro: 15, 70

Neues aus dem AUDIAMO Hörbuchverlag
Günther Zauner. Halbseidenes Wien. 23 Bezirkskrimis
Hörprobe: http://www.audiamo.com/detail.asp?itemnr=9783903178021

tonies
https://tonies.de/tonies/

Audiamo Wien
Kaiserstraße 70
1070 Wien
Öffnungszeiten: Mo – Fr 9-19 Uhr, Sa 10-17 Uhr
Tel. 01 69 995 3190
www.audiamo.wien

Audiamo Berlin
Florastraße 64
13187 Berlin (Pankow)
Öffnungszeiten: Mo – Fr 11 – 19 Uhr, Sa 11 – 16 Uhr
Tel: (030) 23 49 69 84
www.audiamo.berlin

 

Geschrieben von Sandra Schäfer