Die meisten Menschen, die an Theater denken, denken vermutlich an eine Bühne und einen Theatersaal. Freunde des Stationentheaters wissen natürlich längst welchen Spaß es macht, den klassischen Zuschauerraum gemeinsam mit den SchauspielerInnenn zu verlassen. Die Reise geht jedoch weiter: so hieß es in den vergangenen Monaten verstärkt immer öfters auch in den digitalen Raum überzusetzen. Etwas, dass sich nicht nur aufgrund der Coronakrise – aber dadurch sicherlich befeuert – aktuell stark weiterzuentwickeln scheint. Gemeint sind hier weniger für die Bühne produzierte und von hier in den digitalen Raum gestreamte Stücke, sondern Produktionen, die die Möglichkeiten des Digitalen bewusst nutzen.

Längst sei das, was man auf der Bühne sieht, nicht mehr das, was man aus seinem persönlichen Leben kennt, ist Regisseurin Cosmea Spelleken überzeugt. In ihren Stücken lotet sie unseren Umgang mit sozialen Medien aus. YouTube, Instagram, Dating Apps, Videotelefonie und Chat-Programme sind längst zum fixen Teil unseres Alltages geworden. In „Werther.live“ erhielten die Zuschauer via Videostream die Möglichkeit intime Einblicke, nicht nur in das Chat-Verhalten des Protagonisten, sondern auf seinen ganzen Rechner – vom Instagramauftritt bis zum persönlichen Hintergrundbild am Computer. Welche Programme habe ich auf meinem Rechner, wie sind die Ordnerstrukturen – für Spelleken intime Details, die uns viel über eine Person verraten, die auf der Bühne bis dato aber keinen Platz fanden. Wenn diese nun im digitalen Theater in Szene gesetz werden, gehe es nicht zuletzt auch darum „klassischen Theaterstoff für neue Zielgruppen zu öffnen“, aber auch eine alternative Erfahrung für geübte Theatergäste“ zu bieten.

MAY.be 2.0

Ersetzen können oder sollen derlei Formen das klassische Theater freilich nicht. Vielmehr seien diese Spielarten als Erweiterung zu verstehen. Das Digitale als „ein neues Medium, dass neue Möglichkeiten aufgetan hat“ und in dem es Spaß macht „erste Schritte zu gehen“: so beschreibt auch Simon Meusburger seine Erfahrungen in Bezug auf das derzeit im „Schubert Theater digital“ zu erlebenden Stück „MAY.be 2.0“. Der Arbeit vorausgegangen war eine analoge Produktion, MayBe – Was sein darf“, die sich mit den Themen Kunst und Wissenschaft beschäftigte. Im Rahmen der 2.0-Version erhalten BesucherInnen nun erstmals die Gelegenheit sich durch verschiedene digitale Räume zu bewegen. Möglich wird dies durch die Plattform Mozilla Hubs. Der Weg führt vom virtuell nachgebauten Schuberttheater-Foyer bis hin zur Schattengleichnis-Höhle Platons und darüber hinaus. Man darf also gespannt sein. Sicher ist bereits jetzt: passend für ein Figurentheater werden die Puppen im Stück nicht fehlen. In „MAY.be 2.0“ tauschen sie die Plätze mit dem Publikum und „ein Alien wird zum vermeintlich letzten Lebewesen der Erde“, wie es in der Vorschau heißt. Zu erleben ist das Stück am 16. und 24. Februar als Teil eines Schwerpunkts, in dem man sich „mit modernen Wegweisern der Zukunft und deren dystopischen oder utopischen Ausgängen beschäftigt.“

Deep Learning Programm als Autor

Dementsprechend findet sich auch die bereits 2019 uraufgeführte Produktion „Projekt Pinocchio“ im Februar erneut im Programm. Für das Stück hat Theaterleiter Simon Meusberger mit dem Deep Learning Programm GPT2 zusammenarbeitet. Rund 70 Prozent des auf der Bühne vorgetragenen Textes stammen von der Künstlichen Intelligenz. Meusburger selbst zeigte sich von der Qualität der Texte beeindruckt und dass obwohl es sich bei der für die Produktion verwendeten lediglich, um eine nicht vollständige Version handelte. Das Programm sei, laut Meusburger, dazu angehalten nach ein paar Sätzen ins Absurde zu kippen, eine Sicherheitsmaßnahme, um Missbrauch zu verhindern. Trotz allem zeigt sich der Theaterleiter optimistisch. Zumindest im Schubert Theater scheint keine Angst vor der Maschine zu herrschen.

Theater Talks

Gemeinsames und frühes Erarbeiten, von dem, was es gibt, anstelle sich Panik zu machen, lautet auch die von Johanna Pirker ausgegebende Devise. Pirker unterrichtet an der TU Graz Game Design and Development, Information Search and Retrieval und Social Media Technologies und beschäftigt sich unter anderem mit VR-Spielen in offenen Räumen. Relevant für die Entwicklung sei es zu wissen, „wie Spieler agieren und wie es gelingt, die Aufmerksamkeit der Spieler dorthin zu bekommen, wo ich sie brauche.“ Etwas, das Theater „gut kann“, so Pirker. Im Future Talk am 17. Februar wird die Hedy-Lamarr-Preisträgerin gemeinsam mit Simon Meusburger, Cosmea Spelleken und Manuela Linshalm (Puppenspielerin und Schauspielerin) unter dem Motto „Die Zukunft und das Theater“ mehr zum Thema, was digitales Theater ist und braucht, verraten. Für Interessierte bietet sich zudem die Möglichkeit den Talk zu Hause live zu streamen oder sich in Form einer Aufzeichnung später zu Gemüte zu führen.

Wen das alles skeptisch macht – selbst Würstelstandbesitzerin Resi Resch hat gemeinsam mit ihrer Puppenspielerin Manuela Linshalm mittlerweile den Sprung in die digitale Welt geschafft. Mit „Ein Würstelstand auf Weltreise“ nimmt ab 3.Februar die erste digitale Mini-Serie auf den Spielplan des Schubert Theaters ihren Lauf. Eine Serie, nicht nur für alle, die bis dato wie Frau Resch dachten ein „Internetbrowser ist ein Duschkopf“, sondern auch für Fans des Digitalen und Theateraficionados. In den Kalender der Kulturfüchsin wurde eine Begegnung mit Frau Resch, „MAY.be 2.0“ und „möwe.live“ (die neueste Produktion von Cosmea Spelleken und dem Team von „punktlive“) jedenfalls schon mal eingetragen.

www.schuberttheater.at
www.punktlive.de

Geschrieben von Sandra Schäfer