Es ist ein Konzert, das Kunstinteressierte vermutlich nicht so schnell wieder zu hören bekommen. Und das nicht nur aufgrund der ungewöhnlichen Besetzung. Auch die logistische Organisation der Installation, die sich im Besitz der Sammlung der Stadt Wien befindet, war für das Museum nicht so leicht zu stemmen. Gabriele Rothemanns Installation „Quire“ ist die erste Ausstellung im Jubiläumsjahr zehn Jahre MUSA (Museum Startgalerie Artothek) und gehört in jene Schiene, Arbeiten zu zeigen, die aufgrund ihrer Größe solistisch ausgestellt werden.

Was sich auf den ersten Blick für Besucher wie eine Videoinstallation mit simultan ablaufenden Bildern ausnimmt, offenbart jedoch beim genaueren Hinsehen und -hören, seine Vielschichtigkeit. 24 Aufnahmen von 24 Vögeln bilden zusammen einen Chor –„Quire“ wie das altenglische Wort für Chor lautet. Eine Referenz an alte Zeiten, die die Installation um eine historische Dimension ins Barock hinein erweitert. So gilt das Barock nicht nur als eine Epoche, in der die Sängerknaben gegründet wurden und Kastraten zu Stars der Oper aufstiegen, sondern in der auch die Kanarienzucht in Europa perfektioniert wurde. Gezüchtet wurden die Tiere vor allem aufgrund ihres Gesangs. In so genannten Singschulen in enge Käfige gepfercht wurden sie mit der Hilfe eines Vorsängers einem intensiven Training unterzogen. Doch nicht jeder Kanarienvogel hat das Talent zu einem betörenden Sänger aufzusteigen Noch heute werden in manchen Zoohandlungen gute Sänger für die Züchtung verwendet, während andere gleich in den Privatverkauf gelangen.

Dem Vogel in sich ins Antlitz blicken

Die in Wien lebende deutsche Fotokünstlerin Gabriele Rothemann hat eine Gruppe von Vögeln im Rahmen ihrer „Ausbildung“ in der Wiener Zoohandlung Sauer besucht. Der dort entstandenen Fotoarbeit folgte alsbald eine Videoarbeit, die erstmals im Rahmen einer Ausstellung in der Zacherlfabrik zu sehen war. Damals jedoch als eine Fläche von aufeinander gestapelten Monitoren präsentiert, können die Besucher im MUSA im Gegenzug zum ersten Mal zwischen den Monitoren hin- und herstreifen und die unterschiedlichen Stimmen der Vögel studieren. Wer genau hinhört wird mitunter auch den so genannten Harzer Roller vernehmen, eine äußerst begehrte Vogelstimme, die nicht jedem Tier gelingt.

„Auch wenn jedes Video einen spezifischen Kanarienvogel zeigt, sind die individuellen Handlungsspielräume extrem reduziert, erweisen sich als Variation einer normativen Matrix“, schreibt Sebastian Schütze vom Institut für Kunstgeschichte, der die Installation als eine Orwellsche Parabel unserer globalisierten Gegenwart deutet.
Dementsprechend kann man im Vorraum sein menschliches Antlitz in zwei von der Decke hängenden runden Spiegeln erblicken. Eine Anspielung, nicht nur auf die kleinen Spiegeln, die üblicherweise in Wellensittichkäfigen hängen, sondern auch auf unsere aktuelle Selfie-Kultur. Narzissmus, Eitelkeiten und falsche Freunde als Hinweis auf den Zustand unserer Gesellschaft. Frei und doch gefangen – sowie die fragil wirkenden Aquarelle von Vögeln, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind und die für Rothemann den Anfang in der künstlerischen Beschäftigung mit Kanarienvögeln bildeten.

Veranstaltungs-Tipp:
Quire mit Countertenor | tenpo della state, 2017
Am 30. März wird sich unter das Gezwitscher der Vögel im Rahmen eines einmalig statt-
findenden Konzerterlebnisses die Stimme eines Counter-Tenors mischen.
Komposition: André Werner nach Sul volo degli uccelli (Der Vogelflug) von Leonardo da Vinci
Countertenor: Kai Wessel

Gabriele Rothemann / Quire
Vierundzwanzig Vogelkäfige
Noch bis 22. April 2017

MUSA Museum Startgalerie Artothek
Felderstraße 6-8, 1010 Wien
Tel.: +43 1 4000-8400
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Sa 11-16 Uhr, So, Mo und Feiertage geschlossen
Eintritt frei
http://www.musa.at/

Fotos © Gabriele Rothemann

Geschrieben von Sandra Schäfer