Es ist groß, es ist solide und es befindet sich mitten im Raum des „Kosmos Theater“ – das Regal. Per se ein Möbelstück, dem wenig Mysthisches anhaftet, und um dass sich an diesem (Theater-)Abend (fast) alles, und doch so gar nichts dreht – steht im Zentrum doch nach wie vor der Mensch. Auf der Bühne tritt dieser als orientierungslos wirkender Homo sapiens des 21. Jahrhunderts, als rat- manchmal gar nach Erkenntnis suchender Konsument in Erscheinung. Er kauft, fehlkauft oder überlegt zu kaufen – vorausgesetzt die Kundenrezensionen stimmen. Antwort auf seine der Allgemeinheit entgegengeschleuderten Fragen erhält er zumeist prompt. Zu harmlos wirkenden Anfragen wie „würdet ihr diese Bar empfehlen?“ gesellen sich Bitten über Aufklärung zu den Themen Liebe und Sexualität. Milena Michalek und Sahba Sahebi (Text & Regie) haben sich neben zum Teil poetischen und aberwitzigen Kundenrezensionen auch von Frageforen – aber auch von Spammails – zum Stück inspirieren lassen.

Das Ergebnis ist ein vergnügliches Text-Potpourri zusammengemischt aus den nicht so tiefen Tiefen des Internets. Zumeist verschwinden diese oftmals in Eile oder Wut hingeworfenen „absichtslosen, poetischen Fundstücke (…) an den Rändern der alltäglichen Wahrnehmung“, wie es im Programmheft heißt. Das Duo, Michalek und Sahebi – das im Rahmen dieser Eigenproduktion des Kosmos Theaters zum ersten Mal zusammengearbeitet hat – hat sie unterhaltsam mit viel Platz für Zwischentöne ins Scheinwerferlicht gerückt.

Leben in manieristischen Zeiten

Doch wer sind sie, die Menschen hinter den Aussagen, die im Netz, oftmals mit erstaunlicher Passion, ihre Meinung zu den diversen Produkten (vom Seifenspender bis zum Radiergummi) kundtun, sich als mit den Anforderungen der modernen (Waren-)Welt als überfordert entblößen und die sich auch in Liebesdingen zutrauen andere – oftmals offen aus den eigenen Erfahrungen plaudernd – mit Ratschlägen zu versorgen? Kann man sie (im Zeitalter von künstlichen Intelligenzen gesteuerten Bots und sich in der Anonymität versteckenden Trollen, die das Internet bevölkern) wirklich ernst nehmen? Die antwortet lautet: man kann. Die „Heimlichen Idioten“ sind wir alle.
Mit viel Körpersprache und Mimik hauchen die drei Schauspieler*innen den sich hinter den banal anmutenden Textschnipseln versteckten Personen Leben ein. Völlig überfordert wird auf der Bühne, ob der Angst aus Versehen ein Abo abgeschlossen zu haben, in den fiktiven Laptop getippt (in ihrer Panik zum Schieflachen die hochtalentierte Gesa Geue, die zuvor noch als abzockerisches Spam für Lacher sorgte) oder, ob manch unerwarteter Antwort irritiert-verlegen dreingeblickt. Zwischendurch wird gar auch mal ein Liedchen angestimmt (mit ausdrucksstarker, für den Operngesang geschulter Stimme: Johanna Sophia Baader). Unterstützt werden die Schauspieler*innen in ihrer durchwegs hervorragenden Leistung von originellen, über den physischen Körper hinaus ins Groteske gesteigerten Kostümen von Tanja Maderner.

Ein wunderbar kurzweiliges Stück, das sich an der Oberfläche unseres Seins tummelt und dabei einen gefühlvollen, wie unterhaltsamen Einblick in unsere aktuelle Gesellschaft liefert. Eine Gesellschaft, in der vom Gewürzset bis hin zum Telefonanruf beim Magistrat alles beurteilt wird. „Selbst ein Stern ist zu viel“ ist für diesen Abend auf jeden Fall nicht zutreffend! Bravo – und wie meinte doch ein freundlicher Forums-User: „liegrü an alle“.

Heimliche Idioten
von Milena Michalek und Sahba Sahebi
Mit Johanna Sophia Baader, Gesa Geue und Samuel Simon
Weiter Termine: 16., 17., 19., 20. sowie 23. bis 25. Mai 2023, 20.00 Uhr
Kosmos Theater
Siebensterngasse 42
1070 Wien
www.kosmostheater.at

Titelbild: Heimliche Idioten mit Gesa Geue © Bettina Frenzel

Geschrieben von Sandra Schäfer