Im nördlich(st)en Waldviertel, rund um den Herrensee, treibt mittlerweile beinahe schon traditionell im August die Kreativität – heuer bereits zum fünften Mal – ihr höchst erfreuliches Unwesen. Unbequeme Fragen stellen, brennende Themen verhandeln und diese beispielsweise bei den „Feuergesprächen“ mitunter auch mit dem Publikum diskutieren. Die „Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung“ möchten laut Festival-Intendant Zeno Stanek, das „Theater in all seiner Vielfalt zeigen“, emotional berühren und bewegen – und das im doppelten Sinne. Von Stationen-Theatervorstellungen rund um den Herrensee über Küchenlesungen (bei denen die Litschauer Bevölkerung ihre Häuser öffnet und Schauspieler*innen ihre mit persönlichen Geschichten gewürzten Lieblingsstücke lesen) bis hin zu Aufführungen im Herrenseetheater und im neu eröffneten „Moment“ gehen dieses Jahr an die 150 Veranstaltungen über diverse Bühnen. Gespielt wird allerdings nicht nur an zahlreichen Orten, sondern auch an sogenannten „Unorten“. Dementsprechend heißt es für die Besucher*innen unter anderem auch in Wälder oder in Garagen, die als Hörstationen dienen, zu pilgern.

100 Jahre Niederösterreich hören

Tatsächlich nimmt das Hörspiel seit Beginn des Festivals 2018 einen wesentlichen Teil des Programms ein. So laden dieses Jahr unter anderem Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ mit Erwin Steinhauer oder der von den Hörer*innen von Ö1 zum Hörspiel des Jahres nominierten „Medea“-Fassung von Helmut Peschina Besucher*innen zum Lauschen ein. Alle Hörspiele haben passend zu „100 Jahre Niederösterreich“, durch Herkunft der verantwortlichen Regisseure, Autoren etc., einen Bezug zu Österreichs größtem Bundesland. Das von Armelia Madreiter verfasste Stationentheater „Chronik der nördlichsten Stadt“ lädt bietet zudem Gelegenheit, die Ortsgeschichte von Litschau zu erkunden. Mit Aufführungen von unter anderem „Ich. Galileo“ von Gernot Plass und „Spaziergang für die Figur“, eine Produktion des Schubert Theaters – befinden sich auch Stücke im Programm, die bereits in der Vergangenheit ihre erfolgreiche Uraufführung feiern konnten.

Unterwegs mit Figur

Letzteres ist eine von mehreren Aufführungen in Litschau bei der auch Puppen ein Wörtchen mitzureden haben. Auf dem Spielplan befindet sich beispielsweise „Wört(h)erseele – Beseduh“, ein Schauspiel und Figurentheater, das auf der Horrornovelle „Pontypool Changes Everything“ (1995) von Tony Burgess basiert, sowie der Tiergaren mit Puppen „Fishing For Shadows“ auf dem Gelände des Strandbades. Im Rahmen des Miniatur Puppenoperntheaters „Drakula“ von Mož wird es zudem schaurig zugehen, wenn Puppenspielerin Tea Kovše in die beängstigenden Tiefen der menschlichen Natur führt, während mit dem LiveHörSpiel / Konzert „Frankenstein“ von und mit Sören Kneidl, Lukas Böck und Robin Gedemaier eine weitere bekannte Persönlichkeit aus der Welt des Fantastischen in Litschau einziehen wird – und das gleich zwei Mal. Auch Autor Jérôme Junod wird im Rahmen seiner szenischen Lesung den wohl bekanntesten Untoten neu beleuchten. Aufführungen von „Richard II.“ und „Medea“ – zwei Produktionen des Thomas-Bernhard-Instituts – Universität Mozarteum Salzburg – bieten zudem die Möglichkeit weiteren Größen der Weltliteratur zu begegnen.
Ebenfalls dieses Jahr über die Bühne gehen werden unter anderem die Stücke „Zell – Arzberg. Ein Exzess“ von Werner Kofler in der Regie von Franz-Xaver Mayr sowie Jean Paul Sartres Klassiker „Geschlossene Gesellschaft“ (eine Produktion von Studierenden aus dem Szenenstudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin). Und Last but not Least liefern zeitgenössische Autor*innen mit Lesungen einen Einblick in ihr Schaffen.

Mit den abgeschlossenen Umbauarbeiten der ehemaligen Tennishalle zum Probe- und Veranstaltungszentrum „Moment“ ist das Festival seit Anfang Mai zudem um einen Theaterbau reicher. „Mit dem Moment setzen wir einen weiteren Baustein für das Gesamtprojekt Theater- und Feriendorf Königsleitn, das von der Vision geprägt ist, Theater transparent und die Kunst des Theaters für den Alltag zugänglich zu machen“, erläutert Festivalintendant Zeno Stanek das Konzept. Das Feriendorf Königsleitn war vor rund 30 Jahren von Baumeister Robert Rogner erbaut und vor wenigen Jahren teilweise privatisiert worden. Eine für das Jahr 2019 drohende Schließung der für den Fremdenverkehr genutzten Infrastruktur hätte laut Stanek eine „katastrophale Entwicklung für den Tourismus im Waldviertel“ bedeutet. Noch vor dem Verkauf sei das damalige Besitzerehepaar an Stanek mit dem Wunsch herangetreten, dass dieser die Immobile übernehmen solle. Mit Hilfe des österreichischen Investors Günter Kerbler wurden neben dem Umbau der Tennishalle zum Veranstaltungs- und Probehaus auch die Apartments sowie die Hotelanlage modernisiert und saniert. Theaterschaffende, Schulgruppen oder Workshopteilnehmer*innen, die sich in einem der 56 Apartments eingebucht haben, haben zudem die Möglichkeit an diversen Workshops teilzunehmen: vom „Atme Stimme“ mit der Dozentin am Max Reinhardt Seminar, Lena Franke, bis hin zu den Grundlagen des Improtheaters mit Impro-Altmeister und Hin-und-Weg-Festivalgast Jim Libby. Benötigte Requisiten und Kostüme können im Dachbereich des im „Moment“ untergebrachten rund 16.000 Stück beherbergenden - von Stanek als "Fantasiereich" bezeichneten - Fundus entliehen werden. 

„Vorfahren!“
5. Theaterfestival HIN & WEG 2022
Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung
12. bis 21. August 2022
Litschau am Herrensee / Waldviertel

Kartenbestellungen sind nur online möglich: www.hinundweg.jetzt

Titelbild: „Cables“ Theaterland Steiermark und Theater am Lend, Graz © Danila Amodeo



Geschrieben von Sandra Schäfer