E

ntstellt, vertrieben und verstoßen: Die letzten fünf noch lebenden Kinder Maria Theresias haben wahrlich schon bessere Zeiten gesehen. Vor Napoleon geflohen finden sich diese in Michaela Ronzonis neuem Stück „Insel der Unseligen“ in Wien ein. Doch ihre Situation ist von Ungewissheit und (Ab-)Warten bestimmt. Unweigerlich drängt sich ob des eingeengten Spielraums so manche Parallele zur Gegenwart auf. Entstanden ist „Insel der Unseligen“ – wie es im Programmheft heißt – als „Reaktion auf die schwierige Situation vieler Künstler:innen in der ersten Corona-Zeit, die vor allem durch Absagen vieler ihrer Engagements geprägt war.“ Ein Zustand in der Schwebe, von dem naturgemäß nicht nur Künstler*innen ein Liedchen singen können (Ronzoni zeichnete bereits 2007 mit „Die Habsburgischen“ für ein Musikstück zum Thema Habsburg verantwortlich), sondern auch so manches Herrschergeschlecht: Auch blaues Blut schützt bekanntlich vor Entlassung und Entbehrung nicht. Selbst als Königin von Neapel-Sizilien stößt Maria Carolina (Leila Müller) auf taube Ohren, wenn es um militärische Unterstützung geht. Und auch bei den anderen Geschwistern ist die Verbitterung, ob des (Nicht-)Handelns von Kaiser Franz II. deutlich zu spüren. Dieser lässt sich – so viel kann getrost verraten werden – bis zum Ende nicht blicken.

Während man auf Nachrichten vom obersten Chef des Hauses wartet, wird in Erinnerungen geschwelgt und dabei – wie es in den besten Familien vorkommt – auch die eine oder andere alte Wunde aufgebrochen. Aus der Geschichtsschreibung sind diese hinlänglich bekannt. Und eben darin liegt der Spaß der Sache.

Ronzonis Text ist gespickt mit Zitaten und Verweisen. Von Napoleon, in Schönbrunn verweilend, bis hin zum Alptraum der leidenschaftlichen Napoleonhasserin Maria Caroline „Das hat mir gerade noch gefehlt, dass ich des Teufels Großmutter werde.“ Was ein paar turbulente Jährchen später Realität werden wird, tritt auf der Bühne als humorig dargebotene Ahnung zu Tage. Anderes aus der Historie zirkuliert hingegen als Gerücht. Hat sie oder hat sie nicht Isabella von Parma auf den Mund geküsst? Die Rede ist von Mimi – Marie Christine – Lieblingstochter Maria Theresias und ihrer Beziehung zu Isabella von Parma, Josefs II. geliebter früh verstorbenen Ehefrau. Nicht die einzigen Namen, die im Stück genannt werden. Das Namedropping kulminiert in der Aufzählung des Stammbaumes im rasanten Tempo. Dafür gab es Zwischenapplaus. Wer sich beispielsweise jemals durch die unzähligen Ferdinande im weit verzweigten Habsburgerstammbaum kämpfen musste, kann dem nur Respekt zollen.

Der Ferdinand im Stück ist – entgegen so manch illustrem Vorfahren – ein eher unauffälliger Charakter (sympathisch gespielt von Dominik Kaschke). Auch in der Realität wurde ihm eine gewisse Blässe nachgesagt. Anders Maximilian (Volker Wahl), der als Erzbischof und Kurfürst eine aufklärerische Haltung einnahm. Ausgesucht hatte er sich seine Rolle als Geistlicher nicht. „Fügung prägt unser ganzes Leben“ lautet ein im Stück geäußerter Satz. Vor der großen Maria Theresia, die ihre Kinder trotz aller Liebe in ihren unzähligen Briefen nicht gerade mit Samthandschuhen anfasste, gab es kein Aufmucken. Wer es getan hatte, musste sich auf lange zermürbende Kämpfe einstellen und im schlimmsten Falle gar mit Schweigen (Maria Amalia gespielt von Emese Fay) und Kontaktverbot zurechtkommen. Sich grämend steht die, mit einem anderen Ferdinand, jenem von Parma, unglücklich Verheiratete in der ihr – im Bühnenbild zugewiesenen – Ausstellungs-Vitrine. Und das dermaßen gut, dass es zu Beginn ein längeres Hinsehen benötigt, um sich von der Lebendigkeit zu überzeugen. Langsam erwachen die vermeintlichen Puppen nach dem Einlass zum Leben. Die Kostüme edel, die Maske nicht nur im Falle von der „kropferten Liesl“ (Monika Pallua, die die einst schönste, doch später aufgrund einer Pockenerkrankung entstellte Habsburgerin unter den Geschwistern spielt) heruntergekommen wirkend. Die Zeit nagt an ihren Kindern. Ihre Namen wurden auf die Vitrine montiert. Auch wenn diese nicht mehr sind, ausgestorben sind ihre Geschichten noch lange nicht. „Insel der Unseligen“ macht neugierig sie zu lesen.

Insel der Unseligen
Ein Stück von Michaela Ronzoni
Termine: 18. bis 20. November 2022, 19.00 Uhr
Volkskundemuseum
Laudongasse 15-19, 1080 Wien
www.inselderunseligen.at

Titelbild: Insel der Unselige. Aufführung im Volkskundemuseum © Philipp Kerber

Geschrieben von Sandra Schäfer