Liebe Iris, ich habe gehört, dass du die erste Idee die Winterreise von Franz Schubert in ein jazziges Gewand zu kleiden bereits 1997 hattest? Warum hat es letztendlich bis 2023 gedauert, diese CD mit deiner Version des Liederzyklus zu veröffentlichen?

Iris T: Die ganze Winterreise mit ihren 24 Liedern ist ein sehr großes Projekt und ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob ich mich wirklich darüber trauen und den ganzen Zyklus umsetze will. Außerdem habe ich in der Zwischenzeit zwei andere Alben gemacht und hatte das Winterreise-Projekt dabei eher nur im Hinterkopf. Über die Jahre haben Hans Zinkl und ich uns dann immer wieder die eine oder andere Nummer vorgenommen bis wir irgendwann alle beisammen hatten und beschlossen haben: jetzt können wir ins Studio gehen.

Was fällt dir ein wenn du an den historischen Hintergrund dieses berühmten Liederzyklus‘ denkst?

Iris T: Da möchte ich gerne Joseph von Spaun, einen Freund von Schubert, zitieren: „Schubert wurde durch einige Zeit düster gestimmt und schien angegriffen. Auf meine Frage, was in ihm vorgehe, sagte er nur: ‚Nun, ihr werdet es bald hören und begreifen.‘ Eines Tages sagte er zu mir: ‚Komme heute zu Schober. Ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen. Ich bin begierig zu sehen, was Ihr dazu sagt. Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei anderen Liedern der Fall war.‘ Er sang uns nun mit bewegter Stimme die ganze ‚Winterreise‘ durch. Wir waren über die düstere Stimmung dieser Lieder ganz verblüfft, und Schober sagte, es habe ihm nur ein Lied, der ‚Lindenbaum‘, gefallen.“ Ich denke, die „Winterreise“ bleibt immer wieder aktuell, die Melodien sind zeitlos oder – besser gesagt – können auch in einem aktuellen Kontext gut funktionieren.

Welche Rolle hat Hans Zinkl bei der musikalischen Umsetzung im Studio gespielt?

Iris T: Er hat alle Arrangements gemacht, also die Lieder für unsere Besetzung instrumentiert. Das Besondere an der Besetzung ist vor allem das Zusammenspiel von Cello und Trompete. Zusätzlich wurden auch viele der Nummern von Hans neu harmonisiert und die Stilentscheidung getroffen, wird das Lied ein Bossa oder Swing etc.? Bei manchen Nummern habe ich das gemacht, bei manchen er und bei manchen wir gemeinsam.


Hans, wie bist du zum dem Projekt dazugekommen?

Hans Zinkl: Ich habe mit der Iris schon im „The Billy Rubin Trio“ zusammen gespielt, am Anfang
dieses Jahrtausends. Nachdem sie die Band verlassen hat, hat sie bei mir im Studio ihr
erstes und zweites Soloalbum aufgenommen. Bei Gigs haben wir dann gelegentlich die ersten Winterreisesongs dazu genommen, das war der Anfang.

Wie bist du an die Arrangements für das Projekt herangegangen?

Hans Zinkl: Der Plan war eigentlich genau wie bei den Stücken für „ The Billy Rubin Trio“, die Melodie beizubehalten und alles andere mehr oder weniger radikal zu ändern, eigentlich neu zu komponieren. Daneben haben wir uns Rahmenbedingungen gestellt, wie alles mit der Band im Studio live aufzunehmen oder konsequent akustische Gitarren zu verwenden. Was wir alles fast eingehalten haben, denn Ausnahmen bestätigen die
Regel. Auch das war eine Rahmenbedingung. Zuerst ist über ein paar Jahre eine Version am Computer entstanden, mit ziemlich exakt den Arrangements, die auf der CD sind. Dann wurden die Noten geschrieben, ein bisschen geprobt, aufgenommen und am Tag drauf kam der erste Lockdown. Da war viel Zeit zum Editieren, Korrigieren und – sogar für ein paar wenige radikale Änderungen. Dass die CD so klingt wie sie klingt, ist den Rahmenbedingungen geschuldet, es hätte ganz was anderes werden können.

Bei der Vertonung habt ihr unterschiedliche Stile verwendet – vom Jazz über Reggae bis hin zu Heavy-Metal – warum war es euch wichtig diese Vielfalt zu haben?

Iris T: Es ist nicht so, dass mir das speziell wichtig war, sondern es war eher umgekehrt: Man schaut sich ein Lied an und denkt sich, das könnte als Reggae gut funktionieren, beim nächsten ist es dann eher eine poppige oder aber eine Heavy-Metal-Anmutung, das ergibt sich aus den Kompositionen.

Wie kam es zu der Heavy Metal-Version von „Der stürmische Morgen“ beziehungsweise was war die Inspiration für die Jimi Hendrix und John Coltrane Zitate bei den Stücken „Einsamkeit“ und „Mut“?

Hans Zinkl: Was passt besser zu einem stürmischen Morgen? Zuerst war die abstrakte Idee,
dann kam die technische Umsetzung, also einen Heavy-Metal-Kontrapunkt zum
Gesang und ein möglichst schräges Anfangsriff zu schreiben. Bei „If Six Was Nine“ von Jimi Hendrix und „Einsamkeit“ von Schubert ist es mir in der U-Bahn spontan eingefallen, dass man beide Lieder problemlos parallel spielen kann. Jimis Text erklärt eigentlich ganz präzise unseren Zugang zur Winterreise. Und wenn schon kein Gott auf die Erde kommen will und wir selbst Götter sein müssen, dann passt das sicher gut zu John Coltrane‘s „Love Supreme“.

Gibt es Gitarristen, die dich in deiner künstlerischen Entwicklung geprägt haben?

Hans Zinkl: Alle oder keiner. Man kann von jedem lernen und soll niemanden nacheifern.Meine Einflüsse liegen eher bei Komponisten wie Strawinski, Schostakowitsch oder auch Zappa.

Gibt es von den Aufnahmen im Studio eine Anekdote?

Iris T: Mit der ganzen Band waren wir nur zwei Tage im Studio, und zwar im Tonstudio Baumann in Steinakirchen am Forst in Niederösterreich. Wir sind dort am Freitag, dem 13. März 2020, angekommen, und kurz nach der Ankunft haben wir im Radio gehört, dass es ab Montag einen „Lockdown“ geben wird – das war ja der allererste Lockdown und das Ganze war ein richtiger Schock. Dadurch war während der Aufnahmen natürlich eine ganz eigene Stimmung – irgendwie präapokalyptisch – was vielleicht gar nicht so schlecht war für die Lieder.

Was war bei der „Winterreise“ gesanglich die größte Herausforderung für dich?

Iris T: Mein Gesangsstil ist sehr schlicht, ich mache kaum Vibrato und Verzierungen.Dadurch hört man jeden Fehler sofort. Hans Zinkl sagt, mit meinem Stil habe ich diesbezüglich die „Arschkarte“ gezogen. Auf der anderen Seite ist es gerade bei so emotionalen Nummern wichtig, beim Gesang nicht zu übertreiben, sondern eher sachlich zu bleiben, sonst wird es „bochn“, wie man auf Wienerisch sagt.

Hans, was schätzt du an Iris T. als Sängerin besonders?

Hans Zinkl: Sie nimmt ihr Singen ernst und sich selbst nicht zu ernst. Und sie ist immer offen
für irgendwelche Anregungen, siehe u.a. „Stürmischer Morgen“. Wenn man mit mir zusammen arbeitet, muss man sich auf einiges gefasst machen. Und Iris kann wirklich singen. Was im Jazzbereich nicht immer zu erwarten ist.

Danke für das Gespräch!

Hans Zinkl wurde von seinem Steuerberater als "Jazzgitarrist" bezeichnet, was auch nicht so falsch ist, wie die Zusammenarbeit mit Woody Schabata, Zipflo Weinrich, Joris Dudli, Albert Reifert, und natürlich auch Joe Zawinul belegt. Er spielt außerdem noch "sowohl Country als auch Western" oder klassische Musik, dieses auch immer wieder mit den Wiener Symphonikern, und sogar Klavier mit dem "Billy Rubin Trio". Er bevorzugt Weill und Eisler oder auch John Cage, und schreibt außerdem Musik für Kino (Echte Wiener), TV (Tatort, Eurocops) oder Bühne (Volkstheater, Mainzer Kammerspiele, Klagenfurter Ensemble …..), darunter zwei Kammeropern, die in Linz aufgeführt wurden. Weiters schreibt er Kammermusik und Orchestermusik (u.a. für die Eröffnung der Bregenzer Festspiele 2009). Lehrtätigkeit an den Universitäten Bayreuth und Mainz.

Die Wiener Sängerin Iris T. singt Jazz, Swing und Chanson – auf Deutsch. Sie interpretiert eigene Texte zu bekannten Jazz-Melodien und beschreibt originelle, oft etwas bizarre Beziehungs-konstellationen, wobei leiser Zynismus und selbstironischer Humor dem Ganzen das Tragische nehmen. Es macht schlicht und einfach Freude, sich durch ihre musikalischen Geschichten zu hören und mit ihr die witzigen und weniger witzigen Erlebnisse zu teilen. Zudem präsentiert sie mit ihrer prominent besetzten Combo Eigenkompositionen, Lieder aus Schuberts Winterreise, aber auch deutsche Pop-Hits. Das Album „Winterreise“ wurde am 17.11.2023 beim Label ‎Iris T. (Broken Silence) veröffentlicht. Gemeinsam mit ihren Gästen Maria Frodl (Cello), Dominik Fuss (Trompete), Wolfram Derschmidt (Bass) und Bernd Rommel (Schlagzeug) verwandeln Iris T. und Hans Zinkl den Liederzyklus in ein wunderbar buntes Klangerlebnis, dessen Ausdruck sich auf vielfältigste Weise über die verschiedensten Musikformen spannt.
www.iris-t.at
Iris T. Live:
Iris T. & Hans Zinkl, Ö1 Radiocafe, Argentinierstr. 30a, 1040 Wien
12. April 2024 um 19.00 Uhr

Titelbild: Iris T. und Hans Zinkl Quintett © Maria-Frodl

Geschrieben von Robert Fischer