Hexen lautet schlicht der Titel der aktuellen Ausstellung im Innsbrucker TAXISPALAIS. Gezeigt werden fünf Positionen von sechs KünstlerInnen. Verhandelt werden das Heilsversprechen des Monotheismus ebenso wie Zwangssesshaftmachung und die Situation von ErntehelferInnen. Die Kulturfüchsin hat bei Nina Tabassomi, Direktorin des TAXISPALAIS – Kunsthalle Tirol“ und Kuratorin der Ausstellung, nachgefragt. Ein Gespräch über die Entwicklung des Kapitalismus, alternative Erkenntnismodelle und warum Gegenwartskunst komplexe Themen und grundlegende Strukturen verhandeln und hinterfragen sollte.

Frau Tabassomi, in der Ankündigung zur Ausstellung schreiben Sie vom Schulterschluss von Kirche und den Nationalstaaten im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, die eine Gewalt entfesselten und exekutierten, die „den Widerstand der Frauen gegen die Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse“ brechen sollte. Inwiefern bildete diese verhängnisvolle Menage den Aufhänger für die Ausstellung?

Die erwähnte These stammt von der Denkerin und Aktivistin Silvia Federici, die in ihrer Schrift „Caliban und die Hexe“ Karl Marx’ Geschichtsschreibung des Kapitalismus erweitert, indem sie die Geschichte von Frauen miteinbezieht. Federici legt überzeugend dar, wie beim Übergang von der Feudalherrschaft zum Kapitalismus nicht mehr die Größe des Landbesitzes allein ausschlaggebend war, sondern die Anzahl an Arbeitskräften immer wichtiger wurde. Damit ging auch eine starke Veränderung der Rolle der Frau mit einher. Diese hatte sich fortan auf die Reproduktionsarbeit zu konzentrieren – das Gebären und das Kümmern um die heranwachsende oder geschundene Arbeitskraft. Zudem darf nicht vergessen werden, dass es gegen Ende der Feudalzeit viele Aufstände gab. Durch die Spaltung der Untergebenen in zwei Gruppen, Frauen und Männer, wurde und wird ein Auflehnen erschwert. Die Figur der Hexe fungierte als Sammelbegriff für alles, was man loswerden wollte, alles was fürs sich neu etablierende System als gefährlich erachtet wurde. Das Geständnis erfolgte in den meisten Fällen, weil die der Hexerei Verdächtigten grausam gefoltert wurden. Bis heute wurde die Kulturgeschichte der Hexenverfolgung kaum adäquat aufgearbeitet. Viele der zum Thema geführten Debatten verblieben und verbleiben zumeist an der Oberfläche. Wenn wir nicht beginnen, die dahinterliegenden Strukturen in die Diskussionen miteinzubeziehen, wird es zu keiner wirkungsvollen Aufarbeitung kommen können. Die Frage, die hinter der Ausstellung stand, war: wie können wir uns sehr vorsichtig das aneignen, was ausgeschlossen werden sollte, ohne dabei das Verbrechen zu trivialisieren.

Trivialisiert im Sinne der bösen Hexe im Märchen? Oder auch wenn es um Ausstellungen zum Thema Hexen geht? Bei letzterem denke ich beispielsweise unweigerlich an Folterkammern in Burgen, die für ein breites Publikum aufgearbeitet sind, wo es oft einfach auch darum geht, Gänsehautfeeling zu erzeugen und die Schaulust zu befriedigen…

Sicher Märchen, aber auch in zahlreichen Volksbräuchen, in denen beispielsweise unreflektiert Hexenpuppen weiterhin verbrannt werden, oder auch in der Populärkultur finden sich zahlreiche Beispiele. In der Zeit der Hexenverfolgungen wurden Hunderttausende von unschuldigen Menschen vernichtet. Trotz allem findet diese Verfolgung nach wie vor kaum Eingang in den Schulunterricht, statt einer Aufarbeitung wird sehr trivial und naiv mit dieser Geschichte umgegangen. Eine offene Frage, die meiner Ausstellungsidee zugrunde lag, war auch, ob wir das, was mit der Hexenverfolgung ausgeschlossen werden sollte, als indigenes Wissen Europas begreifen können. Eine Frage, die ich über die Ausstellung mit unserem Publikum teilen wollte. Wenn man sich zum Beispiel das mit Hexen oft in Verbindung gebrachte Wissen über Kräuter anschaut: so war dieses ein Wissen, das sehr stark auf dem Zuhören, dem Erspüren und der Erfahrung beruhte, nicht auf Kategorien und Begriffsdenken. Hierin sehe ich einen wichtigen Diskussionspunkt, den wir auch in heutige Debatten einbringen können.

Sie beziehen sich unter anderem auf die in der Ausstellung gezeigte Arbeit von Joachim Koester, bei der es um das Aufzeigen von alternativen Erkenntnismodellen geht – ohne Kategorisierung und Rationalisierungen? Läuft man da nicht ein bisschen Gefahr ein alt hergebrachtes Klischee oder auch einen Differenzfeminismus zu bedienen, der das Männliche dem Rationalen und das Weibliche dem Emotionalen zuordnet?

Womit sich Koester in seinem Film beschäftigt, ist der Versuch, sich indigenem Wissen anzunähern. Die Arbeit verweist auf den Ethnologen und Schriftsteller Carlos Castaneda, der in den 1970er und 1980er Jahren das Wissenschaftssystem der Aufklärung breitenwirksam herausfordert hat. Im Film sieht man einen männlichen Performer, der ein Bewegungsvokabular erlernen zu sucht, um eben jenem Denken in Kategorien zu entrinnen und so zu einem anderen Bewusstsein zu gelangen, das sich eher durch Öffnung und Durchlässigkeit kennzeichnet, denn durchs Einordnen in bereits Gewusstes. Schon der Titel dieses 16 mm Films „To navigate, in a genuine way, in the unknown necessitates an attitude of daring, but not one of recklessness  – um auf aufrichtige Weise im Unbekannten zu navigieren, erfordert es eine Haltung des Mutes, aber keine der Rücksichtslosigkeit“ hat etwas sehr „Hexisches“. Intersektionaler Feminismus kämpft gegen alle Spaltungen und Unterdrückungen an. Die Spaltung, die in der Zeit der Hexenverfolgung zementiert werden sollte, gilt es ja gerade zurückzunehmen. Es geht um Funktionen und Rollenzuschreibungen, die aufgezwungen wurden und werden und historisch kontingent sind, nicht um Eigenheiten von bestimmten Gruppen.

Wie sind Sie bei der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler vorgegangen? Die ausgewählten KünstlerInnen kommen aus oder leben in Europa.

Obwohl das Thema ein weltweites ist – es gibt noch heute Länder, in denen Hexenverfolgungen stattfinden – finde ich, wir sollten uns zuerst an die eigene Nase fassen. Europa war das historische Zentrum der Hexenverbrennungen, deswegen bleiben wir hier. Gerade im Hinblick auf Innsbruck ist es interessant zu wissen, dass die ersten Hexenprozesse hier vom Inquisitor Heinrich Kramer im Goldenen Dachl initiiert wurden – nach einer Erinnerung daran sucht man im dortigen Museum allerdings vergebens. Die Prozesse führten nicht zur Verurteilung und gelten deshalb als „gescheitert“. Die Legende besagt, dass der Frust darüber Kramer zum Verfassen der Vernichtungsschrift „Der Hexenhammer“ motiviert hat – dem brutalen Kompendium und Bestseller, der in 30. Auflagen erschien und maßgeblich zur Verfolgung, Folterung und Ermordung von Frauen als Hexen beigetragen hat.

Die Beschäftigung mit dem Hexenhammer findet in Form einer Installation von Angela Anderson und Ana Hoffner ex-Prvulovic* auch Eingang in die Ausstellung. Was erwartet uns als BesucherInnen?

Die beiden Künstlerinnen haben über ein Jahr recherchiert und sich mit dem Tiroler Kontext auseinandergesetzt. Die BesucherInnen werden zu Beginn durch einen Tunnel geleitet, der mit Zitaten aus dem Hexenhammer bestückt ist und gelangen dann in die sogenannte Hexenküche, einen Raum, wo es unter anderem um die Situation der heutigen ErntehelferInnen geht: Resonanzen zwischen der Grundkonstellation, aus der die historische Hexenverfolgung erwachsen ist, und unserem Heute werden herausgearbeitet – welche Formen nehmen ländlicher Kapitalismus, Enteignung und ausbeuterische Spaltung im Hier und Jetzt an? Zugleich haben die beiden auch die feministische Aneignung und Umkehrung der Figur der Hexe im Kontext von Tirol aufgearbeitet. Und sie haben die Ausstellung in die Stadt eingeschrieben: eine Gedenktafel auf einer Parkbank am Wilhelm-Greil-Weg erinnert von nun an an alle Frauen die als Hexen hier vernichtet wurden.

Ebenfalls mit zwei Installationen, die für die Ausstellung neu gemacht wurden, ist die in Berlin lebende iranische Künstlerin Neda Saeedi vertreten. Können Sie uns noch etwas zu diesen Arbeitet verraten?

Bei der einen Installation handelt es sich um eine Anspielung auf den Traum des Ezekielim Alten Testament, bei dem ihm ein göttlicher Thron auf Rädern als Verheißung vom sich durchsetzenden Monotheismus erschien. Bei Saeedi sehen wir einen blauen Thron, den Nachbau eines Sessels aus dem Europäischen Parlament, der auf einer transparenten Plexiglasplatte steht, die von in der Wildnis ausgestorbenen Pflanzenarten getragen wird. Die Pflanzenskulpturen haben keine Wurzeln, sondern sind in Flächenreinigerbürsten gesteckt. Dahinter strahlt eine Sonne, in der jedoch ein finsteres Loch klafft. Die Künstlerin schafft damit eine Verbindung zur Gegenwart. Die gegenwärtigen Praktiken europäischer Weltpolitik vermengen sich mit der Kirche als Zeremonienmeister der Hexenverfolgung, jener Institution, die über Leben und Gerechtigkeit entschied. Die Vision des Einen führt ins Nichts, nur eine andere Logik könnte das Ganze wieder zum Leuchten bringen.

Bei der zweiten Installation geht es um die Thematisierung kapitalistischer Praktiken in der jüngeren Vergangenheit. Ein NomandInnenstamm sollte im Zuge der Verwestlichung des Iran unter dem Shah der zweiten Pahlavi-Monarchie sesshaft gemacht werden Die Mitglieder des Stammes wurden in einer neu errichteten Stadt zur Sesshaftigkeit gezwungen und als Arbeiter in einer Zuckerfabrik politisch kontrolliert mit verheerenden Auswirkungen für Natur, Mensch und Tier.

Das „Taxispalais – Kunsthalle Tirol“ wartet immer wieder mit feministischen Themen auf (beispielsweise auch die Ausstellung Ökokino, die 2019 zu sehen war) – inwiefern füllen Sie diesbezüglich eine Lücke in der Museumslandschaft Tirols beziehungsweise in Österreich? Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Es geschieht sicher einiges. Dennoch könnte sich natürlich noch mehr tun. Beim Feminismus geht es nicht nur um die Rechte der Frau, es geht um den Kampf für eine gerechtere Welt, gegen soziale Ungleichheit und Unterdrückung. Wenn jemand ausgeschlossen wird, hat das eine machterhaltende Funktion für jemand anderen. Wir müssen uns beim Ausstellungsmachen immer fragen, was ist sichtbar, was wird verhandelt und was verbirgt sich dahinter oder darunter, was wird verschwiegen und bleibt unsichtbar. Wenn wir die systemische Logik hinter den Symptomen nicht befragen, halten wir mit einer unterkomplexen Rahmung, Problemzusammenhänge, die wir vermeintlich kritisch hinterfragen, aufrecht.

Hexen
TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol
Noch bis 3. Oktober 2021
Maria-Theresien-Straße 45
6020 Innsbruck
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr / donnerstags bis 20.00 Uhr
Eintritt: 4 Euro / ermäßigt 2 Euro (Sonntag f
www.taxispalais.art

Titelfoto: Pauline Curnier Jardin „Qu’un sang impur“ (Film Still), 2019, HD-Video, 16:05 Min.
Courtesy die Künstlerin und Ellen de Bruijne Projects, Amsterdam

Geschrieben von Sandra Schäfer