Am Rande des Wienerwalds gelegen und mit Blick über Wien bieten die so genannten Steinhof-Gründe für viele einen idealen Erholungsraum. Doch inmitten der Idylle verweist die „Gedenkstätte Steinhof“ an ein dunkles Kapitel Wiener Geschichte. In den Jahren nationalsozialistischer Herrschaft wurde die hier beheimatete Heil- und Pflegeanstalt – das heutige Otto-Wagner-Spital – zum Zentrum der Tötungsmedizin. Zu den mindestens 7500 Patienten, die von den Nazis ermordet wurden, zählte auch Aloisia Veit, die Großcousine Adolf Hitlers, die 1940 im Rahmen der „Aktion T4“ aus der Anstalt abtransportiert und im Schloss Hartheim vergast wurde. Für die Tötung als Gutachter verantwortlich war der Wiener Psychiater und Neurologe Dr. Erwin Jekelius.
Jekelius selbst starb in den 50er Jahren in Kriegsgefangenschaft, nachdem er vom Führer persönlich nach einem Liebesverhältnis mit dessen Schwester, Paula Hitler, an die Ostfront versetzt worden war.

In „Paulas Kampf“ beschreibt die in Wien lebende Schauspielerin und Autorin Isa Hochgerner den Versuch Paula Hitlers sich mit diesen Ereignissen auseinanderzusetzen. Als Sozialhilfeempfängerin, abgeschnitten von der Außenwelt, brütet sie an ihrer Schreibmaschine über „Jugenderinnerungen“ und wird dabei von den Geistern ihrer Vergangenheit heimgesucht.

Mit der Kulturfüchsin sprach die Autorin über den Entwicklungsprozess des Stückes, schwarze Männer in Wiener Straßen und die Schwierigkeit Texte auf die Bühne zu bekommen.

Frau Hochgerner, wie sind Sie auf die Geschichte der Paula Hitler gestoßen und wie hat sich das Theaterstück entwickelt?

Ursprünglich wollte ich nur ein paar Fotos vom Steinhof machen. Doch aus einem Mal wurden dann über 50 Spaziergänge mit der Kamera über das Otto-Wagner-Areal. Dabei erfuhr ich, dass die Schwester von Adolf Hitler im Direktionsgebäude mit einem „Jekelius“ geschmust hätte. Zu der Zeit wusste ich nicht, dass Hitler eine Schwester hatte. Bei meiner Recherche bin ich dann auf die Geschichte der Großcousine der beiden, Aloisia Veit, die neun Jahre lang mit der Diagnose Schizophrenie am Steinhof Patientin war, gestoßen. Paula Hitler wurde in einem Brief von Verwandten gebeten, sich ihrer anzunehmen, weil man gehört habe, dass die Kranken – die auch nutzlose Esser genannt wurden – in Tötungsanstalten gebracht werden. Das war 1940. Paula Hitler wollte helfen, traf den zuständigen Arzt und verliebte sich in ihn – Dr. Erwin Jekelius, T4 Gutachter und letztlich verantwortlich für den Tod von tausenden Patienten, darunter auch Aloisia Veit. Ich fand diese Geschichte derartig unglaublich, dass sie mich nicht mehr losgelassen hat. So begann ein intensiver Arbeitsprozess, durch drei verschiedene Fassungen, um dieses komplexe Thema zu einem Stück zusammenzufügen.

Letztendlich haben Sie sich dafür entschieden, Paula im Zuge der Arbeit an ihren Memoiren mit Traumversionen von Aloisia und Jekelius in einen Dialog treten zu lassen. Auf welche Zeugnisse konnten Sie bei der Recherche zurückgreifen? Gibt es tatsächlich so etwas wie eine Autobiografie von Paula Hitler?

Es gibt eine Biographie über Paula Hitler von Alfred Läpple. Er war ein katholischer Religionspädagoge und einst Messdiener bei Papst Benedikt. Daraus geht hervor, dass sie an Jugenderinnerungen geschrieben hat – 150 Seiten, die heute verschollen sind. Zum einen hat sie für den Verleger Heinz Gerhard Schwieger begonnen diese Erinnerungen aufzuschreiben. Nach dessen Strichen mit dem Rotstift im Kapitel über den Krebstod ihrer Mutter war sie derart gekränkt, dass sie den Kontakt abgebrochen hat. Zum anderen war Hitlers ehemaliger NSDAP-Pressesprecher, Helmut Sündermann, interessiert an diesem Buch. Es wurde aber nie fertiggestellt. Sie hat durchaus Interviews gegeben, wurde aber scheinbar ihrer Ansicht nach missverstanden, sodass sie Angst hatte, mehr preiszugeben.
In einem interessanten You-Tube-Video sagt ein Journalist, „she was an absolutly nothing“, eine ganz unscheinbare Frau. Mich erinnert sie im Aussehen ein bisschen an Miss Marple, aber ohne dieses Charisma. In meiner ersten Stückfassung, habe ich mich noch sehr an der Realität orientiert, an dem was ich aus der Biografie und Krankenberichten über Aloisia wusste. Paula war die Hauptfigur. In der aktuellen Version von „Paulas Kampf“ sind sowohl Paula, Aloisia und Dr. Jekelius gleichermaßen präsent. Ich will damit zeigen, was Paula verdrängt hat. Eine Dokumentation muss sich an Fakten halten, das Theater bietet aber alle Möglichkeiten Emotionen und Fantasie bis an die Grenze auszuloten. Wie Elisabeth Maria Stuart umbringen lässt um Königin zu bleiben, versucht Paula ihre Erinnerungen verschwinden zu lassen, in der Hoffnung besser leben zu können. Aber nichts verschwindet einfach so; Im Stück kehren Aloisia und Erwin Jekelius zurück: In Traumbildern und Erinnerungen.

Erwin Jekelius auf der anderen Seite konnte als Leiter des Spiegelgrunds bis zu seiner Versetzung an die Ostfront auf eine erfolgreiche Karriere blicken. Welche Zustände herrschten damals am Steinhof? Experimente an Kindern standen damals beispielsweise an der Tagesordnung.

Als Arzt war er ein Vertreter des Eugenik-Programms des Nationalsozialismus, unmittelbarer Vorgesetzter von Dr. Heinrich Gross und hauptverantwortlich für das Kindereuthanasieprogramm am Spiegelgrund – Vorbereitungsmaßnahmen zur „Reinigung des Volkskörpers“. Es gab Berechnungen wieviel mit den „Desinfizierten und unbrauchbaren Menschen“ eingespart werden kann. Das ergab damals eine Summe von 88 Millionen Reichsmark. Als T4-Gutachter (benannt nach der Adresse der „Zentraldienststelle“, Tiergartenstraße 4 in Berlin, die mit dem bürokratischen Teil der Morde beauftragt war, Anm. der Red.) entschied Jekelius welche Patienten getötet und welche weiterleben sollten. Noch brauchbare Patienten – vor allem auch Kriminelle – wurden für kriegsnützliche Arbeiten herangezogen und durften weiterleben, die Unbrauchbaren sind in den Tötungsanstalten verschwunden – insgesamt mehr als 70.000 Menschen. Die Royal Air Force hat bereits 1941 Flugblätter über Wien abgeworfen, in denen sie über Jekelius und seine Machenschaften berichtete. Jekelius war sehr ehrgeizig, hatte vier verschiedene Posten – war ein ausführendes Organ des Nationalsozialismus in höchster Position. Seine Verlobung mit Paula erscheint mir als keine wirkliche Liebesverbindung, sondern eher durch Ehrgeiz motiviert.

Hitler selbst soll Jekelius, nachdem er von dem Verhältnis zu seiner Schwester erfahren hatte, an die Ostfront versetzt haben. Wie stand der Führer zu seiner Familie?

Hitler hat seiner Schwester zwar regelmäßig Geld für ihren Unterhalt zukommen lassen, aber „ein Führer hat keine Familie“. Hitler wollte immer ein Solitär sein und Paula musste auf seine Anweisung mit dem Tarnnamen Wolf leben. Mit Hitler hat man sich aber schon auf allen Ebenen beschäftigt. Ich wollte den Fokus auf diese Schattenfiguren lenken. Auf die Frauen, in der Dunkelheit des Vergessens, in all ihrer Exemplarität. Paula Hitler hat versucht zu begreifen, aber im Grunde hat sie keinen Widerstand geleistet und es mit Sicherheit nicht geschafft einen distanzierten Blick auf sich selbst und ihre Familiengeschichte zu werfen. Von Aloisia gibt es die Aussage: „bin kein Hakenkreuzler“. Sie ist diejenige im Stück, die die Dinge beim Namen nennt. Ihre Rolle ist in der letzten Fassung des Stücks richtig lebendig geworden. Sie ist es, die Tabula Rasa macht und vor allem Jekelius mit seiner Schuld konfrontiert.

Aloisia wurde eingewiesen, weil sie schwarze Männer halluziniert hat. Sie lassen diese schwarzen Männer einerseits als Fantasmen, andererseits aber auch als reale Vertreter des Militärs, als Verleger usw. auftreten. Inwiefern verkörpern diese Figuren ein männlich dominiertes Gewaltprinzip?

Die schwarzen Männer im Stück verkörpern durchaus ein männlich dominiertes Gewaltprinzip, auch Mitläufertum, das sich immer den Platz an der Sonne sucht. Die Kleidung, die Erscheinung ändert sich, aber nicht der Kern des Wesens. Die szenische Lesung muss allerdings ohne schwarze Männer auskommen, Angela Schneider – Schauspielerin und Stimme der Wiener Linien – ist die Darstellerin der Aloisia. Für mich als Autorin war es beeindruckend als das geschriebene Wort durch sie plötzlich Mensch wird. Durch die Darstellung und Interpretation von Angela habe ich die Figur der Aloisia wieder völlig neu erleben können.
Als ich damals von Aloisias Halluzinationen der schwarzen Männer aus dem Krankenbericht erfuhr, erschien mir diese Wahrnehmung von 1931 fast etwas Hellseherisches zu haben. Aloisia hatte unfassbare Angst vor diesen Erscheinungen. Als Autorin habe ich mir im Gegensatz zur Realität gegönnt, dass Aloisia die Halluzinationen der schwarzen Männer, zu ihren Verbündeten, beziehungsweise zu ihren Dienern macht und ihre Angst besiegt.

Abgesehen von den von Ihnen erwähnten szenischen Lesungen im Café Korb hat „Paulas Kampf“ bisher im Theater noch keine Aufführung erfahren. Würden Sie sagen, es ist als Frau nach wie vor schwieriger Stücke auf die Bühne zu bekommen?

Ich glaube, es ist generell schwierig Theaterstücke auf die Bühne zu bringen. Theater müssen Geld einspielen, da bleibt den Bühnen wenig Spielraum für Risiko. Es gibt Kataloge mit 4.000 Theaterstücken, die weder einen Verlag haben, geschweige denn aufgeführt worden sind. Es ist natürlich wunderbar, dass viele Stücke geschrieben werden, aber im Verhältnis dazu gibt es leider wenig Möglichkeiten für die Umsetzung.
Lesungen sind eine gute Möglichkeit Texte/Stücke, auch mit einfachen Mitteln vorzustellen. Bei „Paulas Kampf“ haben wir auch Textcollagen aus Hintergrundmaterial zusammengestellt und damit den Fokus auf Paula und Aloisia geschärft.

Wäre eine Lesung am Spiegelgrund für Sie eine Überlegung?

Aber sicher, dokumentarische Orte geben einer, zwar vergangenen, doch wahren Geschichte noch eine Dimension dazu. Das Jugendstiltheater dort ist ein schöner Ort, aber leider momentan zugesperrt. Dafür freuen wir uns sehr über die Einladung von Intendant Zeno Stanek zum Hin&Weg Festival im Herrenseetheater in Litschau im August. Außerdem gibt es am 6. Mai um 17 Uhr im Café Korb eine Lesung. Darüber hinaus bieten wir die szenische Lesung auch den wesentlichen NS-Dokumentationszentren für ihr Vermittlungsprogramm an.

Isa Hochgerner hat als Schauspielerin in über 40 Theaterproduktionen mitgewirkt 
sowie bei diversen Lesungen und Hörspielen. 
Ihre Theaterstücke „Dezemberrosen“, „Keine Angst vor Pferden“ 
und „Paulas Kampf“ liegen beim Sessler Verlag.

Zu bestellen bei Thomas Sessler Bühnen und Musikverlag GmbH.
office@sesslerverlag.at
www.sesslerverlag.at

Lesungen:
Paulas Kampf
6. Mai 2018, 17:00 Uhr
Cafè Korb
Brandstätte 9 / Ecke Tuchlauben, 1010 Wien
Hintergründe – Fakten – Szenenausschnitte gelesen von: Isa Hochgerner, Angela Schneider
Eintritt: Euro 12 / ermäßigt 10
Reservierung: paulas.kampf@gmx.at

August 2018
HIN & WEG
Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung
10. – 19. August 2018
Herrenseetheater Litschau
www.hinundweg.jetzt

Weiterführende Literatur
Läpple, Alfred: Paula Hitler – die Schwester, Ein Leben in der Zeitenwende. Druffel & Vowinckel: Juli 2005. 360 Seiten. ISBN 978-3806111736.

Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst. Lebensgeschichten von Opfern der nationalsozialistischen »Euthanasie. Hrsg. von Petra Fuchs, Maike Rotzoll, Ulrich Müller, Paul Richter und Gerrit Hohendorf. Wallstein Verlag: 2007. 387 Seiten. Euro 30,80. ISBN 978-3-8353-0146-7.

Ausstellung
im Otto-Wagner Spital
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag (werktags) 10-17 Uhr und Samstag (auch an Feiertagen) 14.00 bis 18.00 Uhr
V-Gebäude
Otto- Wagner- Spital
Baumgartner Höhe 1
1145 Wien
www.gedenkstaettesteinhof.at

© Fotos: Isa Hochgerner

Geschrieben von Sandra Schäfer