Wer heute eine Reise nach Südfrankreich unternimmt, den lädt der Tourismusverband dazu ein, auf den Spuren von Vincent van Gogh zu wandeln. Touren führen zu mit dem Maler verbundenen Orten, seine Kunstwerke sind als Prints zu erstehen. Als der heute weltbekannte Künstler hier jedoch um das Jahr 1888 seine Pinsel schwang, war man von seiner Anwesenheit weniger angetan. Der Bevölkerung war der als sonderbar wahrgenommen Maler-Vagabunden, der auf der Suche nach Motiven die Landschaft durchstreifte, unheimlich. Zum Eklat kam es, als sich van Gogh nach einem Streit mit seinem Gast Paul Gauguin – der ihn in seiner bescheidenen Hütte in der südfranzösischen Stadt Arles besuchte – ein Ohrläppchen abgeschnitten hatte. Eine Nachbarin startete, kaum, dass er aus dem Spital entlassen wurde eine Unterschriften-Aktion gegen ihn und van Gogh wurde erneut zwangseinquartiert.

Hochkarätig besetzt mit Mads Mikkelsen und Willem Dafoe

In Julian Schnabels Version der Geschehnisse trifft van Gogh nach seiner Übersiedelung in die unweit gelegene Nervenheilanstalt Saint-Paul auf den geistlichen Leiter der Anstalt – verkörpert von Mads Mikkelsen. Das Gespräch zwischen den beiden ist eine von jenen Situationen, die verdeutlicht worauf es der Regisseur abgesehen hat. Wie schon in seinem Erfolgsfilm „Schmetterling und Taucherglocke“ sprengt Schnabel den Rahmen einer Biografie, indem er sich zu einer Reise in das Innenleben seiner Figur aufmacht.

In „Van Gogh. An der Schwelle zur Ewigkeit“ geht es weniger um biografische Fakten, sondern es dreht sich mehr um Fragen wie das Wesen der Kunst, wer definiert Kunst und woher wisse man, dass man Maler sei.

Letzteres eine Frage, die Mikkelsen, der mit den Bildern des vermeintlich Wahnsinnigen nichts anfangen kann, von diesem beantwortet wissen will. Heute wissen wir, dass der Mann, der zu Lebzeiten kaum Arbeiten verkaufte, einer der größten künstlerischen Genies war. Für viele Zeitgenossen van Goghs waren seine Gemälde jedoch nichts anderes als abartige Schmierereien – so hatte davor noch keiner gemalt.
Gespräche zwischen van Gogh und Gaugin sollen uns zudem die Art und Weise wie van Gogh seine Bilder fertigte, näher bringen. Du malst nicht, du spachtelst Farbe übereinander, lässt Schnabel Gauguin sagen.
„Je schneller ich male, desto besser fühle ich mich“, erwidert dieser. Van Gogh war ein Maler des Augenblicks. Er fertigte seine Gemälde in hohem Tempo an – rund 180 Bilder sollen während seines 16-monatigen Aufenthalts in Südfrankreich entstanden sein. Er malte, was er sah. Sein Wunsch war, dass die Leute „die Welt sehen, so wie ich sie sehe“, so Willem Dafoe, der als Van Gogh vermutlich die größte Leistung seiner Karriere hinlegt – was kann ein Maler, ein Künstler anderes wollen?!

Willem Dafoe marschiert als Vincent van Gogh durch Südfrankreich © Filmladen Filmverleih

Unterwegs in Südfrankreich

„Van Gogh“ ist ein Film von einem Künstler über einen Künstler. Als Anreiz einen Film über van Gogh zu drehen bekundete Schnabel, dass er bis jetzt noch keinen befriedigenden über den Maler gesehen hatte. Bei der Kritik könnte auch Schnabels Werk im Gegensatz zu „Schmetterling und Taucherglocke“ nur bedingt punkten.
Es stimmt, dass einen „Van Gogh“ weitaus weniger in denn Bann zieht als es jene Geschichte über den ehemaligen am Locked-in-Syndrom leidenden Chefredakteur der französischen Ausgabe der Zeitschrift Elle, Jean-Dominique Bauby, getan hat.
Auch wenn Schnabel und sein Kameramann Benoît Delhomme auch hier mit ungewöhnlichen Perspektiven und speziellen Kameralinsen gearbeitet haben, die beispielsweise einsetzt wurden, wenn van Gogh durch die südfranzösische Landschaft streift. Wie der französische Künstler sucht auch Schnabel das Sonnenlicht. Wie van Gogh marschiert er durch ein Brachland mit vertrockneten Sonnenblumen, filmt Gras und Farben. Kurzum: er geht dahin, wo die Bilder entstanden sind. Jene Bilder, von denen so viele heute in unserem künstlerischen Kanon fest verankert sind, dass schon die Kinder sie zu kennen scheinen. Die Kinder in Arles hatten jedenfalls Angst vor dem von seiner Kunst Besessenen. Im Film führen zwei Kinder in Auvers-sur-Oise, wo van Gogh seine letzten Lebensmonate verbrachte, schließlich sogar das Ende des Künstlers herbei.

Van Gogh. An der Schwelle zur Ewigkeit. Ein Film von Julian Schnabel. Mit Willem Dafoe. USA/FR 2018. 111 Minuten.

© Fotos: Filmladen Filmverleih

Geschrieben von Sandra Schäfer