Er hat mit seinen Ideen und Visionen die geopolitische Situation in der zweiten Hälfte des 19. und die ersten acht Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts wie kein anderer Philosoph vor und nach ihm beeinflusst – Karl Marx. Anlässlich seines 200. Geburtstages sowie seines Besuches in Wien vor 170 Jahren widmet ihm der „Waschsalon – das Rote Wien“ im Karl-Marx-Hof im Döblinger Gemeindebau eine kleine aber feine Ausstellung.

Wien – das europäische China

Frühjahr 1848 – nach dem Hungerwinter 1847/48 herrscht Revolutionsstimmung auch in Österreich, vor allem in der Metropole des Habsburgerreiches Wien. Es ist ein Aufbegehren gegen den Metternich´schen Obrigkeitsstaat, gegen die Zensur, gegen die katastrophalen Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen. Doch die letztlich in mehreren Wellen bis Herbst blutig niedergeschlagene Erhebung erweist sich als zu schwach um bestehende Verhältnisse umfassend und nachhaltig zu verändern. Die „Revolution“ mündet in die vorerst nahezu nahtlose Wiederherstellung der alten Gesellschafts- und damit Herrscherstrukturen. Statt der Realisierung der im März ausgearbeiteten Verfassung kam es zum Siegeszug der monarchisch-konservativen Kräfte.

Wenige Monate nach diesen März-Unruhen trifft Karl Marx im August 1848 in Wien ein; in jener Stadt, die von ihm geringschätzend als das „europäische China“ bezeichnet wird. Nach damaliger Denkweise also rückständig in allen Belangen. Im Rahmen seines zehntätigen (Zeit seines Lebens einzigen) Aufenthalts in der Donaumetropole referiert der Philosoph, Gesellschafts- und Wirtschaftsanalytiker in (nur) drei Vorträgen unter anderem über Lohnarbeit und Kapital. Obwohl sein Blitzbesuch in der Donaumetropole seiner Selbsteinschätzung nach ad hoc kein zufriedenstellender gewesen sein dürfte, hat sein Gedankengebäude über Jahrzehnte auch hierzulande einen großen Teil der Arbeiterführer in ihren Bemühungen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen inspiriert.

Marx und das Rote Wien

Im Roten Wien der Zwischenkriegszeit war Marx omnipräsent, nicht nur was die wiederkehrenden Gedenkfeiern anlässlich seines Todestages, sondern auch und vor allem die politische Ausrichtung der Sozialdemokratie unter ihrem Vordenker Otto Bauer, unterstrichen. Dieser entwickelte bekanntlich die Marx´sche Lehre unter dem Begriff „Austromarxismus“, auf demokratischen Prinzipien basierend, weiter.

1930 wurde schließlich der größte Gemeindebau Wiens in Döbling nach dem deutschen Philosophen benannt. Der ein Kilometer lange „Karl-Marx-Hof“ ist nicht nur eines der Vorzeigebauwerke des Roten Wien – ein Bespiel für Wohnen in Licht, Luft und Sonne – sondern darüber hinaus, ein Synonym für die Aufbruchsstimmung der – von den Konservativen heftig bekämpften – gesellschaftspolitischen Umwälzungen in der Donaumetropole. Das Rote Wien mit seinen sozialen Errungenschaften, seinen Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, seiner Wohnbaupolitik gilt noch heute als Vorbild für andere Kommunen.

Bogen erfolgreich gespannt

Es ist zweifellos das große Verdienst der beiden Kuratoren der Ausstellung, Lilli und Werner T. Bauer, den gewiss nicht leichten Bogen zwischen dem Besuch des Philosophen in der Residenzstadt der Habsburger, seinen Gesellschafts- und Wirtschaftstheorien und deren Auswirkungen auf die reale Gestaltungspolitik des Roten Wien in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts auf fließende und lehrreiche Weise zu spannen. Berücksichtigt wird dabei auch die intensive Diskussion der Marx´schen Ideen zwischen den Hardlinern seiner Lehre und den gemäßigten Kräften – also jenen, die – vereinfacht ausgedrückt – nicht der Diktatur des Proletariats, sondern der Transformation des Staates auf der Basis von demokratischen Prozessen wie beispielsweise Wahlen das Wort redeten.

Illustrationen als optischer Wegweiser

Herausragende Hilfestellung bei der Umsetzung der thematischen Herausforderungen bot der deutsche Illustrator und Autor Peter M. Hoffmann, der im Zusammenhang mit dem Wien-Besuch von Marx mit neun großflächigen Illustrationen als optisch markante Blickpunkte das damalige Ereignis nachgezeichnet hat. Eine dieser Tafeln zeigt den sogenannten Leichenzug für die am 23. August im Zuge eines Lohnkampfes getöteten Arbeiterinnen und Arbeiter – die größte Demonstration, die Wien seit den Märztagen erlebt hatte.

Summa summarum – eine Ausstellung, die gemeinsam mit der Dauerpräsentation „Das Rote Wien“, nicht nur für zeitgeschichtlich Versierte, sondern auch und vor allem für an gesellschaftspolitischen Verhältnissen grundsätzlich Interessierte eine lehrreiche Symbiose bildet und einen Besuch wert ist.

Karl Marx in Wien
Nachgezeichnet von P.M. Hoffmann
12. April bis 20. Dezember 2018
Waschsalon 2, Karl-Marx-Hof
Halteraugasse 7
1190 Wien
Öffnungszeiten: Donnerstag 13.00 bis 18.00 Uhr, Sonntag 12.00 bis 16.00 Uhr sowie für Gruppen nach Voranmeldung unter +43 (0) 664 885 40 888
www.dasrotewien-waschsalon.at

© Fotos: Waschsalon Karl-Marx-Hof, Markus Sibrawa

Geschrieben von Stefan Weinbeisser