Märchenfiguren, Aliens, Ausgeburten der Hölle, sie alle bevölkerten in den vergangenen Jahren den ehemaligen Mödlinger Luftschutzbunker. Seit über 20 Jahren verwandelt Theatermacher und Schauspieler Bruno Max das labyrinthartige Stollensystem in eines der ungewöhnlichsten und qualitätvollsten Stationentheater des Landes. Mit „Karl MayBe. – Mit Schmetterhand und Silberbüchse“ ist ihm heuer zudem eines der besten Stücke der letzten Jahre gelungen. In 24 Stationen vermischen Bruno Max und sein Team erneut das Leben eines Schriftstellers mit dessen Geschichten. Ein Rezept, das schon bei der Produktion zu Edgar Allan Poe – etwas weniger bei E.T.A. Hoffmann – gut funktionierte. Die Lebensgeschichte des Autors, Hochstaplers und Orientreisenden Karl May erweist sich als wie geschaffen für einen kurzweiligen – jedoch durchaus zum Denken anregenden – Abend nach dem bewährten Geisterbahnprinzip – hinter jeder Ecke etwas Neues.

Von der ersten Szene an – nur wenige Meter nach dem Eingang zur Bunkeranlage – tauchen die Besucherinnen und Besucher in die phantastische Welt des Schriftstellers ein. Während ihres Gangs durch das 900 Meter lange Tunnelgewölbe treffen sie auf bekannte Figuren aus Mays Werken, darunter Old Shatterhand, Winnetou, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar.

Karl May für Einsteiger und Fortgeschrittene

Der Großteil der Geschichten ist dieses Mal jedoch der Figur des Autors – von jungen Jahren bis ins hohe Alter – selbst gewidmet. Wenig verwunderlich, erscheint dessen Lebensgeschichte nicht minder phantastisch. Aufgewachsen in armen Verhältnissen als Sohn eines Webers flüchtet sich Karl May aus den tristen und repressiven Verhältnissen, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland geherrscht haben müssen, in eine Phantasiewelt. Der begabte junge Mann, so scheint es, passt nicht in eine Zeit, in der Gehorsam gegenüber Kirche und Staat als oberste Prinzipien angesehen werden. Immer wieder kommt er mit dem Gesetz in Konflikt. Im Zuchthaus – in das er zwei Mal wegen Hochstapelei eingeliefert wird – träumt er sich ins ferne Amerika – ein Land, in dem ihm trotz oder wegen des Faustrechts die Selbstverwirklichung möglich scheint.
Nach seiner Entlassung gelingt ihm mit seinen zunächst als Fortsetzungsheftchen erscheinenden Reiseabenteuern ein rascher Aufstieg. 1894 – 20 Jahre später – beträgt die Gesamtauflage, der bei Fehsenfeld veröffentlichten Reiseromane bereits 400.000 Exemplare. Doch auch die Zahl seiner Feinde wächst. Immer wieder muss sich May, der vorgibt seine Geschichten selbst erlebt zu haben, Anfeindungen und Prozessen stellen. Während seiner im Alter unternommenen Reisen muss er zudem erkennen, dass das Leben, das er sich in fernen Ländern erträumt hat, nicht der Realität entspricht. Sein Werk erhält eine stärker philosophische und pazifistische Ausrichtung.
Am Ende des Rundgangs befinden sich die Zuseher wieder am Ausgangspunkt ihrer Reise – sowohl der Bunkeranlage als auch was die Dramaturgie der Geschichte anbelangt. Und so wird man nach 85 Minuten gut unterhalten und erfrischt (im Bunker herrschen Temperaturen zwischen 12 und 14 Grad) aus dem Stollensystem entlassen – nicht ohne jedoch einen kleinen Turn in der Anfangs- beziehungsweise Schlussszene erlebt zu haben. Denn der glühende Fan von Karl May, der sowohl in der ersten und in der letzten Szene in Erscheinung tritt, entpuppt sich als … – wer es wissen will: Noch bis 1. September haben Interessierte die Möglichkeit, dort wo einst 8.000 Menschen im Zuge des Bombardements der Alliierten 1945 Schutz suchten, auf friedvolle Bunkertour zu gehen. Es lohnt sich!

Karl MayBe.
– Mit Schmetterhand und Silberbüchse“Die erschwindelten Lebensreisen des Zuchthäuslers Karl May

Noch bis 31. August, jeweils Do-Sa (sowie So., 01. September 2019)
Gestaffelte Beginnzeiten: ab 18:30 – 21:15 Uhr
Im Luftschutzstollen Mödling, Brühlerstrasse
Kartenreservierung: 01 / 544 20 70
E-Mail: tzf@gmx.net
Homepage: www.theaterzumfuerchten.at

© Titelbild: Bettina Frenzel

Geschrieben von Sandra Schäfer