Dass eisige Zeiten für Frauen, oftmals nicht nur nach wie vor in unserer modernen Gesellschaft herrschen, sondern dass auch die bildende Kunst Frauen zu strafen wusste, davon spricht auch ein besonderes Bild im Belvedere. Giovanni Segantinis „Die böse Mutter“ wurde einst von den Kritikern als Strafe der wollüstigen Frau verstanden. Ihr Kind vernachlässigend büßt sie mit kaltem Herz in der Ödnis einer Winterlandschaft. Eine Buße, die allerdings den Umständen entsprechend (immerhin ist sie betont aufreizend mit wollüstiger Pose und Miene zu sehen) nicht lustvoller dargestellt hätte werden können. Die Kunsthistorikerin Annie-Paule Quinsac ortet von daher vielmehr eine Versöhnung mit dem Kinde. Dieses giert – ebenso wie die Mutter mit dem Baum verbunden – mit seinem Mund nach der, den Betrachtern entgegengestreckten Brustwarze der Frau. Die entblößten Brüste ermöglichen die erotischen Reize der Frau zu genießen während man diese gleichzeitig moralisch verurteilen kann. Eine patriarchalische Doppelmoral, wie sie sich in der Kunstgeschichte in zahlreichen Werken finden lässt. Die Frau wird einmal mehr zum Objekt männlicher Zuschreibungen. Segantinis Bildnis letztendlich zum Verhandlungsraum zwischen der oftmals als Dualität empfundenen weiblichen Sexualität und der Rolle der Frau als Mutter.

Die heilige Mutter vs der Femme fatale

Es gibt „in der Zeit kaum ein anderes Werk, das die Spaltung des Frauenbildes, die Tragödie der Frau zwischen eigenem erotischen Leben und Mutterdasein ins Bild bringt“, schreibt auch Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat über das Gemälde. Treffender könnten diese Worte kaum gewählt sein. Man muss sich nur im Ausstellungsaal des Belvederes umschauen, um in der Nachbarschaft die Darstellung einer Femme fatale zu entdecken – ein Frauenbild,  das um die Jahrhundertwende (Segantinis „die böse Mutter“ entstand 1894) in Kunst und Literatur prägend war. Die verführerische, dämonisierte Frau wurde von der Männerwelt als Gegenpol zur tadellosen, in ihrer Mutterrolle aufblühenden Frau inszeniert. Die Frau als Mutter – eine Darstellung, die Segantini mit seinen zahlreichen Madonnendarstellungen ins Bild zu setzen wusste.
Doch ganz so einfach macht es uns der Künstler auch hier nicht: in seinem 1889 entstandenen Gemälde „Die Frucht der Liebe“ wirkt die Mutter erschöpft während sie den großen, kräftigen Knaben auf ihrem Schoße hält. Eine Parallele zu des Künstlers eigener Mutter? Diese starb – angeblich noch von seiner Geburt ausgelaugt – als Segantini sieben Jahre alt war. In Folge ihres frühen Todes soll Segantini mit Schuldgefühlen ausgestattet einen Mutterkomplex entwickelt haben – so zumindest lautete die Diagnose des Arztes und Freundes von Sigmund Freud, Karl Abraham.

Phantastisch realistisch

Zu den Bildnissen inspiriert haben soll Segantini, der seine Jugend nach dem Tod der Mutter und dem Fortgang des Vaters unter anderen in mehreren Heimen zubrachte, ein Gedicht seines Freundes Luigi Illica. Dieser gab vor das Werk aus dem Indischen übersetzt zu haben. Tatsächlich dürften jene schwülstigen Zeilen wohl eher aus der eigenen Feder des Dichters und Komponisten stammen, bei denen er sich laut Kunsthistoriker Matthias Frehner um die Visionen des Benediktinermönches Alberico di Settefrati aus dem 12. Jahrhundert inspirieren ließ.

In Segantinis guten und bösen Mutterbildern erkennt Frehner „neue Bilder existenzieller Befindlichkeit wie Hodler, van Gogh oder Edvard Munch, die in der nachfolgenden Moderne aktiv rezipiert worden sind“. Segantini selbst beschreibt er als realistischen Surrealisten. Während die Darstellung der Frauen und Kinder (im Hintergrund des Bildes zieht eine Gruppe von ihnen nach vorne) phantastisch gestaltet ist, bleibt die dargestellte Landschaft in der Realität verhaftet. Und so kriecht einem noch heute beim Betrachten des Bildes die Kälte in Mark und Bein während der Künstler gleichzeitig unser Gemüt zu befeuern versteht.

Giovanni Segantini, Die bösen Mütter, 1894, Öl auf Leinwand, 105 x 200 cm, Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 485
© Belvedere, Wien

https://digital.belvedere.at/objects/6224/die-bosen-mutter?’

Geschrieben von Sandra Schäfer