Lange mussten Bücherliebhaber auf die Eröffnung eines Wiener Literaturmuseums warten, doch es hat sich gelohnt: Seit 2015 stehen neugierigen Besucherinnen und Besuchern auf 750 Quadratmetern, verteilt auf zwei Etagen, 650 Objekte von über 200 Autorinnen und Autoren zum Anschauen und Hineinlesen zur Verfügung. Passend zum 650. Jubiläum der Österreichischen Nationalbibliothek 2018 begibt sich die Kulturfüchsin erneut auf „Bildungsreise“. Dieses Mal zu 250 Jahren österreichischer Literaturgeschichte – präsentiert in 44 Kapiteln in thematischer und chronologischer Verschränkung.
Von der Aufklärung und den darauffolgenden Revolutionsjahren über Adalbert Stifter und Franz Kafka bis hin zur Arbeiterbewegung mit dem Themenfeld der „neuen  Frau“ und der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs lässt es sich gemütlich durch die Literaturgeschichte schlängeln. Ein Wort, das durchaus wörtlich zu nehmen ist: als Besucher durchwandert man im Serpentinen-System die historischen Regalreihen. Diese dienten bis zum Auszug des Staatsarchivs 2006 als Aufbewahrungsort der Akten des 1844 hier errichteten Hofkammerarchivs. Und auch wenn die historischen Verwaltungsunterlagen mittlerweile andernorts eingereiht wurden – die Aktendeckel sind geblieben und dienen dem Museum als schickes Designelement.

Vom Briefprotokoll bis zur Übersichtsskizze

Wer also eine Präsentation erwartet, die ausschließlich aus Büchern, Manuskripten und Briefen besteht, könnte nicht weiter daneben liegen. Wiens Literaturmuseum präsentiert sich von Kopf bis Fuß multimedial durchgestylt. Neonbänder, Touchscreens, diverse Videomonitore und Hörstationen wurden in die Regale eingebaut und laden zum Verweilen ein. Etwas, dass man auf jeden Fall tun sollte, denn trotz sämtlicher audiovisueller Erweiterungen – ein Museum zur Literaturgeschichte bleibt ein Museum zur Literaturgeschichte und Lesen ist hier Programm.

Lesestoff findet sich ebenso in Begleittexten, die zur Orientierung dienen, wie in der Fülle historischer Materialien, die zu den Kapiteln passend in Szene gesetzt wurden. Wem es gelingt die Schrift zu entziffern, kann beispielsweise ein Entwurfsblatt zu Nikolaus Lenaus Faust studieren, sein Französisch an Gerhard van Swietens Briefprotokoll zur Bücherzensur schulen, in Friederike Mayröckers Zetteluniversum eintauchen oder Franz Kafkas Romanfragment „Der Verschollene“ studieren – das einzige Dokument, das in Österreich von Kafka erhalten geblieben ist. Es befindet sich im Besitz des Theatermuseums und wurde dem Literaturmuseum – das sich zum Großteil aus den Dokumenten des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek, (die das Museum verwaltet) speist – zur Verfügung gestellt. Neben Heimito von Doderers Skizzen zu „Die Strudelhofstiege“ und „Die Dämonen“ sowie Franz Werfels handschriftliche Fassung von „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ ist es eines der wertvollsten Objekte des Museums. Ein Museum, das allerdings auch Platz für eine Reihe von ungewöhnlichen Erinnerungsstücken bietet.

Ein Hut, ein Stock und ein Morgenrock

Als „ironischen Auftakt“ möchte Museumsdirektor Bernhard Fetz die Schaustücke in der ersten Vitrine verstanden wissen. Als Besucher findet man sich hier in einer kleinen Kammer mit Arthur Schnitzlers Haarlocke, Heimito von Doderers Morgenmantel oder gar Grillparzers Regenschirm wieder. Letzterer war von 1832 bis1856 Direktor des Hofkammerarchivs und hatte sein Büro einige Meter weiter von seinem heute ausgestellten Regenschirm entfernt. Es ist in seinem Originalzustand erhalten und Teil des Rundgangs. Der große österreichische Schriftsteller ist zudem Namensgeber des Hauses, in dem das Museum untergebracht ist.
Im Jubiläumsjahr stehen eine Vielzahl von Veranstaltungen auf dem Programm – von der literarischen Soiree, in der prominente KritikerInnen über nationale und internationale Buchneuerscheinungen diskutieren, bis hin zu Archivgesprächen und speziellen Führungen sowie Kinoabenden im benachbarten Metro Kino. Am Internationalen Frauentag (8. März) und am Welttag des Buches (23. April) ist das Museum außerdem bei freiem Eintritt geöffnet.

Literaturmuseum
Grillparzerhaus
Johannesgasse 6
1010 Wien
Öffnungszeiten: Di bis So 10.00 bis 18.00 Uhr, Do bis 21.00 Uhr
Tel.: (+43 1) 534 10-780
Eintritt: 7 Euro / ermäßigt 4,50 Euro
Tickets online kaufen: https://eticket.onb.ac.at/eticket_files/onb/index.html
Freier Eintritt von 0 bis 19-Jährige
http://www.onb.ac.at/literaturmuseum.htm

Geschrieben von Sandra Schäfer