Prägte sein Flussbett einst das Erscheinungsbild der Wiener Landschaft, so gibt es heute nur mehr eine Stelle, wo das Wasser des Ottakringerbachs noch zu sehen ist: beim Einrinnbauwerk am Gallitzinberg. Und auch hier lässt sich nicht regelmäßig ein Blick auf ihn erhaschen. Denn anders als die Donau oder der Wienfluß entspringt der Ottakringerbach keiner Quelle, sondern speist sich aus Oberflächengewässer, das sich an den Hängen der Wienerwaldberge sammelt und von hier in den Untergrund eingeleitet wird. Nach seiner neun Kilometer langen Reise, in der er als Backbone des Wiener Kanalsystems fungiet, mündet der Bach schließlich – ebenfalls unterirdisch – in den Wienflusssammelkanal.

Als idyllisches Bächlein, das gemächlich durch die Stadtlandschaft plätscherte, sollte man sich den Ottakringerbach im Gegensatz zu heute jedoch auch in der Vergangenheit nicht vorstellen. Schon im Mittelalter dürfte der Ottakringerbach als Teil einer Schwemmkanalisation gedient haben, klärt Severin Hohensinn Neugierige auf. Der Fachmann für Flussmorphologie ist – neben unter anderem dem Autor und Historiker Johannes Sachslehner, der Architektin Renate Hammer sowie der Bildenden Künstlerin Katrin Hornek und dem Archäologen Wolfgang Börner – einer von mehreren Experten die im Rahmen des Projektes „go deep not far“ für den Audio-Guide interviewt wurden.

Slow Travel von der Haustür weg

Ziel des Projektes ist es „weniger zu machen, aber dafür länger zu brauchen“, legt Birgit Mayer die Message hinter dem Begriff Slow Travel dar. „Unsere Mission“ ist es, „Menschen ohne großen Aufwand zu tiefgehenden Reiseerlebnissen zu verhelfen. Dabei gilt es, lohnende Ausflugs- und Reiseziele in der näheren Umgebung zu finden, diese umfassend zu erforschen und dabei neue Perspektiven auf das Unmittelbare zu entwickeln. Wir wissen, dass das nicht nur klima- und ressourcenschonend ist, sondern zu äußerst erfüllenden Mikro-Abenteuern führen kann“, heißt es bei „go deep not far“ (neben Birgit Mayer sind dies Stefanie Muther und Emanuel Mauthe).

Dementsprechend können sich seit Projektstart diesen Herbst Interessierte gemeinsam mit den Projektinitiatoren „im Ohr“ und mit einem speziell entworfenen Plan (erhältlich unter anderem in der Stadtinfo im Rathaus) in der Hand zu einer Erkundungstour entlang des ehemaligen Bachgerinnes aufmachen. Wer in der Gegend rund um den Ottakringer Friedhof, der Ottakringer- oder Thalia Straße wohnt, kann seine Reise möglicherweise sogar zu Fuß vor der eigenen Haustüre antreten. Von der Thaliastraße geht die Erkundungstour vorbei am ehemaligen Linienwall über die Lerchenfelderstraße – wo der Ottakringerbach im Jahr 2010 spektakulär das Kanalsystem verließ und seine Präsenz erneut an der Oberfläche kundtat – in Richtung Kellermanngasse über den Augustiner- und den Minoritenplatz bis hinein in den Tiefen Graben.

Spätestens am Tiefen Graben dürfte auch für weniger geübte Naturerkunder der ehemalige Verlauf des Gewässers gut ersichtlich sein. Denn auch wenn der Bach von hier bereits im Mittelalter um 1200, kurz bevor der Alser Bach in sein Flussbett umgeleitet wurde, verschwand, so hat sein jahrhundertelanger Verlauf auch heute noch in der Stadt Spuren hinterlassen, wie sie sich beispielsweise auch bei der Kellermanngasse noch gut erahnen lassen.

Blau-grüner Klimaschutz

Dass der Fluss hier wie dort jedoch jemals wieder an der Oberfläche fließen dürfte, ist aktuell zu bezweifeln. Es wäre ein kompliziertes und vor allem kostspieliges Verfahren ihn vom Kanalsystem zu trennen. Warum es trotzdem Überlegungen in diese Richtung gibt, liegt vor allem im Klimawandel begründet. Im Sinne eines Schwammstadtprinzips, bei dem das Regenwasser gespeichert statt kanalisiert und abgeleitet wird, ist man heute bemüht der Versiegelung der Böden entgegenzuwirken. Vermehrte Begrünung und helle Pflasterungen statt dunklem Asphalt sollen städtischen Hitzeinseln entgegenwirken. Aber auch die Präsenz von Wasser im öffentlichen Raum wirkt kühlend. Bis und falls man also jemals wieder am Bachufer einen Spaziergang machen kann, heißt es die Phantasie anregen und zu einer spannenden Reise in die Vergangenheit aufzubrechen. Besonders die Erläuterungen von Künstlerin Katrin Hornek zum Anthropozän sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

https://godeepnotfar.com/

Buchtipp:
Wasser Stadt Wien. Eine Umweltgeschichte. Hrsg. ZUG – Zentrum für Umweltgeschichte, Universität für Bodenkultur Wien. 496 Seiten, Ganzleinenband mit Lesebändchen. Wien: 2019. ISBN: 978-3-900932-67-1
Nähere Informationen unter: lhttps://www.wien.gv.at/umwelt/gewaesser/buch-wasser-stadt-wien.html

Geschrieben von Sandra Schäfer