„Wer bin ich?“, eine Frage, die sich die Menschen seit eh und je stellen. Blickte man einst in einen See und fragte sein Spiegelbild oder diskutierte darüber mit anderen Stammesmitgliedern, so kann man die Frage heute ins Internet eingeben und erhält in Kürze jede Menge Tests und Ratgeber, die „helfen“ wollen genau das herauszufinden. Die Selbstfindung ist ein Geschäft, die Selbstvermarktung dank sozialer Medien Teil unseres Alltags. Doch ist es nach wie vor nicht leicht „wer zu sein“. Schon gar nicht, wenn die Möglichkeiten sich „neu zu erfinden“ (um eine in PR und Journalismus besonders beliebte und abgedroschene Phrase ins Spiel zu bringen) im digitalen Zeitalter derart vielfältig erscheinen.

Selbstoptimierungskurse im Dienst der „Marke-Ich“, „Benimm-dich-Kurse“ für Fremde und die Erzeugung einer Reihe von digital optimierten Alter Egos: die Suche und Formung unserer Identität(en) läuft auf Hochtouren. Es dürfte also wenig verwundern, dass auch die Kunst beziehungsweise eine Reihe von Kunstinitiativen das Thema erneut für sich entdeckt haben.

Von Migration zur Identität

Für das Wiener „paraflows“ Festival, das sich der Auslotung aktueller Fragestellung in der digitalen Kunst bzw. in digitalen Kulturen annimmt, stellt das diesjährige Festival-Thema „Identity“ eine weiterführende Verschränkung zum letztjährigen dar.

Versuchte das Team rund um Festivalleiter Günther Friesinger 2015 den Begriff der Migration zu erweitern – das heißt Migration als Normalzustand, der alle Menschen betrifft, zu begreifen – so geht es heuer um das Thema Identität. Ebenso wie im Migrationsdiskurs spielt die Flexibilität eine große Rolle. Der moderne Mensch ist ständig neuen Lebenssituationen ausgesetzt, denen er sich anpassen bzw. in die er seine Identität einbetten muss.

Welche Einflüsse kreieren unsere Identitäten, woraus setzen sich diese zusammen, wie viele brauche ich in der heutigen Zeit und welche (digitalen) Werkzeuge stehen mir zur Ausformung zur Verfügung – das sind nur einige der Fragestellungen, denen das Festival im Rahmen diverser Veranstaltungen – vom Symposium über Podiumsdiskussionen, Konzerten (darunter Kristy and the Kraks, Chesterfield und Rheuma 3000), Theater- und Filmabenden bis hin zur Ausstellung – nachspürt.

Ausstellungsansicht

Ausstellungsansicht

Identity Ausstellung

In den 17 künstlerischen Positionen, die noch bis 2. Oktober im Tresor des BA Kunstforums zu sehen sind, finden sich sowohl Werke, die sich mit erfundenen Identitäten – sei es die Identität fiktiver Künstlerpersönlichkeit wie in den Arbeiten von Kathrin Stumreich oder der Künstlergruppe monochrom – als auch mit dem Wandel der eigenen Identität auseinandersetzten. Letzteres kann wie in dem Video „Cosplay“ von Axel Stockburger sowohl spielerisch von statten gehen oder aufgrund von beispielsweise Migration mehr oder minder erzwungen werden. Inspiriert von den glücksbringenden magischen Hemden des ottomanischen Kaiserreichs sollen Eden Ünlüatas „Talismanic Shirts of Acceptance“ zum Mittel der Akzeptanz der Kulturen in der Fremde werden, während die Linzer Künstlerin Dejmi Hadrovic in ihrer Video-Arbeit „Crossing Borders“ Stereotypen durchbricht, die eine (islamische) Herkunft definieren.

Stereotypen stehen auch im Mittelpunkt der Arbeit der Wiener Künstlerin Hui Ye, die mit Hilfe von youtube Schminktutorials und gelber Schminke – der Farbe, die ihr als Asiatin zugeschrieben wird – versucht dem Ideal des Asian Baby Girls nachzuspüren.

In einer weiteren der zahlreich vertretenen Videoarbeiten der Ausstellung setzt sich Christoph Schwarz mit den Produktionsbedingungen von Kunst beziehungsweise mit den unterschiedlichen Aufgaben, die eine Person innehat, auseinander. In einer Betriebsversammlung lässt er vier Charaktere von sich zu einem Gespräch antreten.

Vom Kino ins Theater

Den Dialog für die große Kinoleinwand suchte hingegen monochrom-Mitglied Johannes Grenzfurthner. Im ersten Film, der im Rahmen des Festivals ins Kino einzieht, begibt sich der bekennende Nerd auf eine Reise in die USA, wo er eine Reihe absurder Begegnungen hat. Er besucht Protagonisten und Orte der Nerdom-Szene und setzt sie in Bezug zu seiner eigenen Geschichte. Die Besucher erwartet trotz  der Dauer von 120 Minuten ein kurzweiliger und amüsanter Trip zu Alien-Landeplätzen, Containerarchiven, Fantasy-Dildos, Sexarbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen, die aus Schweiß Käse produzieren, Cyberpunks und bekannten Special-Effects-Künstler. Kurzum, zu allem was das Geekherz schneller schlagen lässt.

Das letzte Stündlein scheint im Gegensatz dazu für eine Gruppe von Österreichern geschlagen zu haben. Mit einem militärischen Konflikt zwischen Österreich und Ungarn nimmt die fiktive Geschichte des in Kooperation mit dem „Kommst“-Festival produzierten Theaterstücks „Wald“ seinen Lauf. Die unruhigen Zeiten lassen eine Gruppe von Menschen den Beschluss fassen, in den Untergrund zu gehen, wo sie 300 Jahre ausharren, bevor sie das Versagen des Stromgenerators (Parallelen zu dem Kinofilm „City of Ember“ sind offensichtlich) erneut an die Oberfläche zwingt. Doch auch dort ist das Leben weiter gegangen und so sehen sich die aufeinandertreffenden Gruppen plötzlich mit diversen Fragen von Identität konfrontiert.
Das als Stubenspiel konzipierte Stück wird am 3. Oktober erstmals im Gasthaus Sittl über die Bühne gehen. Und wem vor lauter „Wer-bin-ich-Fragen“ und dem endlosen Hin- und Her der Identitäten der Kopf zu rauchen angefangen hat, der kann sich hier buchstäblich mit mehr Hirn versorgen. Denn das Sittl ist eines der wenigen Gasthäuser Wiens, in dem das Traditionsgericht Hirn mit Ei noch serviert wird.

Paraflows.XI IDENTITY
Festival für digitale Kunst und Kulturen
http://paraflows.at

Ausstellung
16. September bis 2. Oktober 2016
BA Kunstforum, Freyung 8, 1010 Wien

Wald
3. bis 6. Oktober 2016
Weinhaus Sittl, Lerchenfelder Gürtel 21, 1160 Wien

Traceroute. Ein Film von Johannes Grenzfurthner. AT/US 2016. 120 Minuten. (In englischer Sprache)
Kinostart: 16. September (Laufzeit zwei Wochen)

re_composed
21. bis 24. September 2016
das weisse haus, Hegelgasse 14, 1010 Wien

Geschrieben von Sandra Schäfer