Liebe Verena, lieber Sebastian, ihr seid dieses Mal gemeinsam mit dem Original Wiener Salonensemble im Studio gewesen. Was waren dabei die größten Herausforderungen für euch?

Sebastian Radon: Wenn so viele Personen an einem Projekt beteiligt sind, kommt es stark auf die Stimmung jedes einzelnen an. Alle versuchen pünktlich zu sein und abzuliefern. Man wird zu einer kleinen Familie auf Zeit. Die größte Herausforderung war aber sicherlich die Terminfindung. Sobald man das erledigt hat, macht es eine riesige Freude und die Arbeitstage sind eine Hetz!

Die Produktion von „Sinfonien im Souterrain“ hat insgesamt einundzwanzig Monate gedauert? Warum so lange?

Verena Doublier: Eine Produktion mit Streichern ist sehr viel aufwendiger als eine einfache Studioaufnahme zu zweit mit ein paar Gastmusikern. Der Hauptgrund dafür ist, dass klassische Musiker mit Notenmaterial arbeiten. Man muss die Songs also nicht nur komponieren und texten, sondern auch ausnotieren und im Anschluss arrangieren und proben. Für letzteres braucht man Termine, wo alle sieben Zeit haben und einen Raum, wo es möglich ist, in derart großer Besetzung zu proben.

Wie ist es zur Kooperation mit dem Original Wiener Salonensemble gekommen? 

Verena: Mit viel Bier in einem Lokal im zweiten Wiener Gemeindebezirk.

Sebastian: …und wir fanden die Idee am nächsten Tag immer noch gut!

Einer der Höhepunkte auf dem neuen, gemeinsamen Album für mich ist das Stück „Post Lamento“, wo ihr auch gesanglich ganz neue Wege beschreitet. Man könnte sagen Wiener Blond goes Klassik. Wie ist das großartige Arrangement entstanden? Inwieweit war das auch stimmlich nochmal eine neue Herausforderung? 

Sebastian: Das Raunzen ist eines der großen Klischees, dass man allen Wiener*innen zuschreibt. Bei Post Lamento war meine Idee, möglichst ästhetisch zu Raunzen. Streichinstrumente und atemintensive Gesangsphrasen bieten sich da natürlich an — das Arrangement zu schreiben hat mir wahnsinnige Freude bereitet. Eigentlich wollte ich nicht weniger als die Schönheit des Weltschmerzes in Musik gießen.

Verena: Zur stimmlichen Herausforderung kann ich ganz klar sagen, dass es absolut eine war!

Der Bonus Track am Album heißt „Weihnachten in Wien“. Es weihnachtet aktuell wieder auf Wiens Straßen. Was gibt es zu dem Lied zu erzählen? 

Verena:
Für mich ist das eigentlich kein Weihnachtslied, sondern ein bisschen ein Abschiedslied.
Meine Großmutter hat bis zu ihrem Auszug ins Pensionistenheim in Simmering gelebt. Ich habe die allermeisten Weihnachten bei Regen in Simmering verbracht und das Romantischte daran, war das sanfte Tankstellen-Licht in der Ferne hinterm Kreisverkehr. Diese Zeiten sind vorbei und ich wollte ihnen ein Song-Denkmal setzen.

Sebastian: Verena hat mich gefragt, ob ich eine zweite Strophe schreiben möchte und ich war natürlich sofort dabei. Da ist mir eingefallen, dass ich Weihnachten noch nie in Wien verbracht habe! Daher gehts in der zweiten Strophe um „Weihnachten im Dorf“. Auch das Intro und Outro habe ich beigesteuert. Es ist ein musikalisches Zitat als Variation eines bekannten Weihnachtsliedes. Ich freue mich, wenn die Leute es erkennen.

Auf dem Album befinden sich mit „Abschiedswalzer“ und „Café Bräunerhof“ zwei Songs, die auf klassische Wiener Traditionen verwiesen: das Kaffeehaus und den Wiener Walzer. Könntet ihr etwas zur Entstehungsgeschichte erzählen?

Verena: Ich habe in der Pandemie von den Rundtänzern im Wiener Eislaufverein auf dem Eis Walzer tanzen gelernt. Während den Lockdowns durfte man ja nur in Babyelefanten-Abstand zueinander sein. Die Rundtänzer haben sich da eine interessante Lösung ausgedacht: Damit sie weiter tanzen können, haben sie mit 1,5 Meter langen Stöcken in den Händen ihre Kreise gedreht. Ich fand das so originell, dass es mich zu einem Walzer inspiriert hat, der übrigens mittlerweile ab und zu auf der Eisfläche gespielt und betanzt wird.

Sebastian: „Café Bräunerhof“ ist eine Erinnerung meines 20jährigen Ichs. Damals habe ich mich hin und wieder hinein in das Kaffeehaus gesetzt und Ideen in ein kleines Büchlein geschrieben. Einer der Kellner dort sah damals aus wie Sigmund Freud. Hermann Nitsch habe ich wirklich einmal dort gesehen.

Was sind eure liebsten Kaffeehäuser in Wien oder auch anderswo? 

Verena: Die meisten meiner liebsten Kaffeehäuser existieren leider nicht mehr wie zum Beispiel der Dogenhof im zweiten Bezirk oder das Café Griensteidl. Ich bin noch nicht bereit, mein Herz erneut zu vergeben.

Sebastian: Ich habe kein Stammcafé. Es ist in Wien eher die Fülle an außergewöhnlich schönen Kaffeehauserlebnissen, die mich fasziniert und die ich nach wie vor zu schätzen weiß.

Das Stück „Der Rosmarin ist hin“ erinnert mich vom Stil her ein bisschen an die lustigen Kabarett-Lieder des legendären Musikerduos Pirron & Knapp aus den 50er und frühen 60er Jahren. War dieses Duo beziehungsweise Künstler wie Cissy Kraner oder Gerhard Bronner für euch ein wichtiger Einfluss? 

Sebastian: Ich habe als Heranwachsender zu Hause regelmäßig einer Pirron & Knapp-Best Of-CD gelauscht. Als Verena mit dem Rosmarin kam wusste ich instinktiv was zu tun ist und wohin die zweite Stimme gehört. Wahrscheinlich hat das unterbewusste Pirron & Knapp-Gedächtnis dabei geholfen.

Verena: Natürlich hört man diese Namen immer wieder und hört sich dann ein bisschen rein. Aber ein echter Einfluss für mich war Georg Kreisler. Oder vielleicht mehr Vorbild als Einfluss.

Wiener Blond gibt es mittlerweile schon seit elf Jahren. Was braucht es um als Duo/Band so lange Zeit zusammenzubleiben? 

Verena:
Einen langen Atem, Rücksicht aufeinander, Spaß und Freude an der Musik und was man ehrlicherweise auch sagen muss: einen gewissen kommerziellen Erfolg, der das Bestehen der Band auch finanziell absichert. Denn wir haben kein Management, kein Label, wir haben kein Budget. Wir bezahlen unsere Produktionen großteils – manchmal bekommen wir eine Förderung – aus eigener Tasche. Wir übernehmen den ganzen logistischen Aufwand selbst, verdienen aber im Grunde nur Geld mit den Live-Konzerten.

Bei euren Konzerten ist mir aufgefallen, dass ihr einige der neuen Songs wie zum Beispiel „Der Öl-Song“ schon vorab immer wieder live gespielt habt. Insofern ist dieses Austesten von neuem Material vor Live-Publikum wichtig? 

Verena: Diesmal war es tatsächlich so, dass wir fast alle Songs schon aufgenommen hatten, lange bevor wir sie live spielten! Das war eine absolute Premiere – und das ist auch nur aus Zeitgründen so gewesen. An und für sich ist live spielen vor der Aufnahme schon etwas, das den Songs guttut. Weil sie sich dadurch auch nochmal verändern und an uns heranwachsen.

Was sind eure wichtigsten Inspirationen?

Verena: Eigentlich so ziemlich alles und manchmal auch gar nichts und das ist dann ziemlich mühsam.

Sebastian: Bewegung und digitale Abstinenz!

Danke für das Gespräch!

Wiener Blond „Sinfonien im Souterain“ (‎Crowd & Ryben, 2023)
http://www.wienerblond.at/wordpress/
https://www.salonensemble.at/

Wiener Blond ist ein 2012 gegründetes österreichisches Musikduo aus Wien, bestehend aus Verena Doublier und Sebastian Radon. Ihr Debütalbum „Der letzte Kaiser“ veröffentlichten sie 2015. Ein Jahr später folgte „Zwa“, das im November desselben Jahres mit zwei Konzerten im Wiener Musikverein präsentiert wurde. Weitere Auftritte des Duos fanden im Orpheum Wien, am Kasino am Schwarzenbergplatz des Wiener Burgtheaters, am Wiener Metropol, am Theater am Spittelberg, an der Wiener Kulisse, im Wiener Konzerthaus und beim Wiener Donauinselfest statt. Das erste gemeinsame Studioalbum mit dem Wiener Salon Ensemble „Sinfonien aus dem Souterain“ wurde am 10. November 2023 veröffentlicht. Bereits 2019 war das Live-Album „Endlich salonfähig!“in Zusammenarbeit mit dem Original Wiener Salonensemble, unter anderem mit deren Studienkollegin Anna Starzinger am Cello, erschienen. Die Band war im Rahmen der Amadeus-Verleihung 2020 in der Kategorie Jazz/World/Blues nominiert worden.

Titelbild: Wiener Blond © Julia Wesely

Geschrieben von Robert Fischer