Immersive Theaterformen sind in den letzten Jahren immer populärer geworden. Auch in Wien haben Stücke, die Wirklichkeiten simulieren und von der aktiven Partizipation des Publikums leben, mittlerweile im heimischen Kulturleben einen Platz für sich beansprucht. So sorgte etwa die Festwochenproduktion des österreichisch-dänischen Performancekollektives SIGNA „Us Dogs“ im Mai für Begeisterung, Verstörung und ob der Diskussionen zu den Arbeitsbedingungen der Schauspieler für ihr obligatorisches Skandälchen (die Kulturfüchsin berichtete). Im April davor, führte Thomas Bo Nilssons die Besucher mit „Cellar Door“ erfolgreich in Abgründe und Niederungen der menschlichen Seele.

Mit seinem neuesten Werk „Jinxxx“ ist der schwedische Installationskünstler aktuell ans Schauspielhaus zurückgekehrt. Doch anstelle des kompletten Theaters werden dieses Mal lediglich ein paar zurechtgezimmerte „Räume“ bespielt. Eben hierin liegt mitunter auch die Crux. Denn obwohl es nicht an Ausstattungsdetails mangelt – Dingen, die die Zuseher entdecken, betrachten oder in Form einer „Menükarte“ erlesen können – will sich in der Enge des dem Besucher zur Verfügung stehenden Platzes irgendwie nicht so Recht die für die Dechiffrierung der Handlung benötigte Neugierde einstellen.

Derweil beginnt das Stück durchaus nicht uninteressant. Nach dem Läuten einer Klingel (jede Viertelstunde wird nur eine Person eingelassen) geleitet einem der Konstrukteur, Bo Nilsson himself, als Dragqueen in die Obhut zweier Damen, die einen für die nächsten zehn Minuten liebevoll in die Zange nehmen währenddessen ein Video mit einer kurzen Einführung in die Geschichte des Hauses auf dem Fernsehschirm flimmert. Man ist in einem Club namens „Jinxxx“ gelandet, der als Ergänzung zu einem aus einer historischen Raststätte umfunktionierten Hotel mitten im Nirgendwo seine Nische gefunden hat. Eine Beschäftigung der Damen und Herren des Hauses ist die Produktion diverser Schmuddelfilmchen. Filme, die man sich in einer von drei Kabinen selbst anschauen kann. Doch trotz der Zuvorkommenheit der Bewohner ist ziemlich schnell vor allem eines klar: irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Seltsame Geräusche dringen einem in seiner Kabine scheinbar aus allen Richtungen kommend ans Ohr. Wird man gar beobachtet? Und wo sind die anderen Gäste?

Vom Wohnloch an die Bar und wieder zurück

Die Lösung folgt, sobald man seine Kabine verlässt und erkennt – man hat es freilich schon geahnt – der Voyeur oder die Voyeuristin, ist man selbst. In Folge gilt es ein Terrain aus Krankheit, Verzweiflung und von offenkundig perversen Abhängigkeiten geprägt zu erkunden. Im schmuddeligen Wohnloch – in das man gelangt nachdem man sich durch ein Mauerloch gequetscht hat – heißt es zwei unglücklichen Frauen beim Untergang zuzuschauen während einen Stuhl weiter eine alte Dame, namens Mutti, grunzend dahinvegetiert. Die beiden Damen, so berichten sie, sind mit dem Auto falsch abgebogen und hier hängengeblieben. Mutti filmt. Der Mensch ist ein erbärmliches Wesen, ein antriebsloser in seinem Elend gefangener Schmutzfink. Und wir alle schauen zu. Oder was sonst will uns mit diesem scheinbar endlos andauernden Loop aus effekthaschenden Eckelein vermittelt werden?

Es ist ein alter Hut, dass aktive Theaterbesucher mehr aus einem Theatererlebnis dieser Art herausholen können. Allerdings stellt sich ob des Mangels an Erkundungsräumen bald das Gefühl ein, in einem alten Computerspiel gefangen zu sein. Zurückversetzt in eine Zeit, als man die Grafik noch jedem Millimeter absuchen musste und stundenlang den selben Gang rauf und runter lief, um doch noch einen Aus- oder Eingang ins nächste Level zu finden. Dazwischen trifft man auf Spielfiguren, die  wenig befriedigende Antworten geben. Wer darauf steht, ist hier richtig. Statt bei Freunden um Rat zu fragen oder sich Cheats aus dem Internet zu besorgen heißt es in „Jinxxx“ das Publikum auszuquetschen. Als solches trifft man sich regelmäßig in unterschiedlicher Gruppierung an der Bar, während man von den Schauspiel-Kellnern mit Drinks versorgt wird. Bald stellt sich allerdings auch hier der Gedanke ein, ob es nicht vielleicht sinnvoller gewesen wäre doch ein echtes einschlägiges Etablissement zu besuchen. Denn dort gibt es mit Sicherheit aufregendere Geschichten zu erkunden.

Jinxxx
Installation von Thomas Bo Nilsson
Uraufführung
mit Lena Bösch, Georg Bütow, Julian Wolf Eicke, Vera von Gunten, Jens Lassak, Thomas Bo Nilsson, Ute Reintjes, Pia Wurzer
Schauspielhaus Wien
Porzellangasse 19
1090 Wien
http://www.schauspielhaus.at/

Geschrieben von Sandra Schäfer