Angst vor dem sozialen Abstieg, Politikverdrossenheit und mediale Überflutung – in der Gesellschaft macht sich Unbehagen breit. Nur allzu oft, so scheint es, werden heutzutage wieder die Ellbogen ausgefahren, anstatt die Hände gereicht. Eine Praxis, der man mit „Soho in Ottakring“ entgegen wirken möchte. Seit 1999 verhandelt das Festival (heuer von 2. bis 17. Juni), mit einer Vielzahl an künstlerischen Projekten, Fragen nach der Teilnahme und Mitsprache im öffentlichen Leben. 2018 lautet das Motto: Jenseits des Unbehagens. Vom Arbeiten an der Gemeinschaft“.
Eine Arbeit, an der die Bevölkerung aufgerufen ist, sich zu beteiligen. Konkret, haben alle, die wollen im Rahmen des Festivals nicht nur die Möglichkeit Kunstprojekte zu begutachten, sondern teilweise auch aktiv an deren Entstehung mitzuwirken.

Arbeiten vom Museum bis ins Kino

Als Arbeitsraum fungieren erneut die diversen Leerstände im und rund um das Gebiet des Gemeindebaus Sandleiten. Hier werden bereits zum dritten Mal in der Festivalgeschichte Workshops abgehalten (vom gemeinsamen Musizieren mittels Synthesizer bis hin zum Upcycling-Kurs), musikalische Umzüge initiiert (mit der Gruppe Couscous und dem Weltkultur Frauenchor im Rahmen der Eröffnung am 2. Juni durch Ottakring ziehen) und Kunstausstellungen organisiert.

Als Ausstellungsraum beziehungsweise Working Space dient unter anderem das alte Elektropathologische Museum, das in den weitläufigen Räumlichkeiten der ehemaligen Waschküche des Sandleitenhofs bis 2002 beheimatet war. Die Palette reicht von der Foto-Installation „Blickfeld. Einblicke hinter die Kulissen“ – ein Projekt, das sich mit den Menschen hinter Begriffen wie „Asylant“ oder „Flüchtling“ beschäftigt – über Zeichnungen zu des im Zuge der Gewinnmaximierung im Kapitalismus zur Maschine gewordenen Menschen von El Seroui bis hin zur Serie von Foto-Portraits mit/zu queer-feministischen Künstlerinnen von Lena Rosa Händle.

Zum vorübergehenden „Hauptquartier des Widerstands“ umfunktioniert, wird das ehemalige Kino des Sandleitenhofs. Besucherinnen und Besucher haben in den mit weißen Tüchern verkleideten Räumlichkeiten nicht nur die Möglichkeit ein Protest-Schläfchen (Betten und Bettwäsche stehen beziehungsweise liegen bereit) zu tätigen, sondern zudem noch an einer Soap des „irreality.tv in Kooperation mit dem Theater „brut“ und dem „Verein EXTRA“ mitzuwirken. Die Geschichte rund um eine Widerstandsorganisation in einer dystopischen Welt, in der Schlafen zugunsten einer gesteigerten Produktivität abgeschafft wurde, wird von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ständig weiter entwickelt. Der Film soll im Herbst im brut seine Uraufführung erleben.

Filme, Fotos und Objekte – persönliche Geschichten aus dem Volk für das Volk

Um Film dreht sich ebenfalls alles ein paar Gehminuten weiter, in einem ehemaligen Geschäft in der Rosa-Luxenburg-Gasse 7. Das Lokal fungiert für die Dauer des Festivals vorübergehend als Außenstelle des Österreichischen Filmmuseums. Zu sehen sind historische Aufnahmen, die von Hobbyfilmern einst am Rande der Stadt gedreht wurden. Wer will kann zudem zwischen 17.00 und 21.00 Uhr eigenes Material abgeben und vom Filmmuseum für zukünftige Generationen als Zeitzeugnis archivieren lassen.
Besitzerinnen und Besitzer von Fotobüchern mit Bildern aus den 1930er bis 1950er Jahren sind außerdem im Rahmen eines Projekts vom Volkskundemuseum Wien dazu aufgerufen diese vorbeizubringen und gemeinsam mit Fotohistorikern unter die Lupe zu nehmen.

Persönliche Objekte stehen auch im Mittelpunkt des Projektes „Wunderkammer in der Sandburg“ – ein von dem Berliner Stadtplaner und Urban Artist Karsten Drohsel gemeinsam mit der Grafikerin Annika Hollmichel organisiertes temporäres Museum, gestaltet mit Fotografien und Geschichten zu für die Anrainer besonderen Objekten. Das „Museum“ wird in den hinteren Räumlichkeiten eines temporären Cafés beiheimatet sein. Das so genannte „Cafè Mangel“ soll zur Gänze aus von den Leuten der Umgebung zur Verfügung gestellten Gegenständen bestehen und mit dem Ende des Festivals wieder verschwinden.

Für Festival-Leiterin und –Initiatorin Ula Schneider sind solcherlei Projekte eine gute Gelegenheit zum Austausch der Bewohner untereinander. Und letztendlich geht es bei „Soho um Ottakring“ genau darum: um die Kommunikation – Kunst als Kitt für die Gemeinschaft.

© Karim El Seroui

© Karim El Seroui

Soho in Ottakring
Jenseits des Unbehagens. Vom Arbeiten an der Gemeinschaft
2. bis 17. Juni 2018
An diversen Orten im und rund um den Sandleitenhof – unter anderem:
Altes Kino im Sandleitenhof (Liebknechtgasse 32, 1160 Wien)
Altes Museum (Gomperzgasse 1–3, 1160 Wien)
Vorübergehende Außenstelle des Österreichischen Filmmuseums (Rosa-Luxenburg-Gasse 7, 1160 Wien)
Eintritt frei!
www.sohoinottakring.at

Geschrieben von Sandra Schäfer