Lange unheimliche Gänge, verlassene Räume und tragische Ereignisse – die ehemalige Filmkritikerin Maya Mc Kechneay zeigt in ihrer ersten Langdokumentation alles was ein Film über ein Geisterhaus benötigt. Dabei ist „Sühnhaus“ weit mehr als ein dokumentarischer Geisterfilm. Es ist ein Film über Geisteshaltungen, Macht und Ohnmacht, über die herrschende Ungleichheit in einer Gesellschaft – vor Augen geführt an der größten Brandkatastrophe, die die ehemalige Habsburgermonarchie heimsuchte: der Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881 bei dem 400 Menschen in den Flammen umkamen und seine Folgen.

Es war eine Katastrophe, die – so erfahren die Zuseher – verhindert hätte werden können. Zu viele Menschen auf zu wenig Platz, Türen, die nach Innen aufgingen und ein Polizeibeamter, der mit der Falschmeldung „Alles gerettet, eure kaiserliche Hoheit“ die Hilfsmaßnahmen verzögerte. Rund zwanzig Minuten sollten vergehen bis man in das Gebäude vordringen durfte. Für die Menschen „auf den billigen Plätzen“ zu spät. Sie waren bereits verbrannt oder von den Körpern über ihnen zu Tode erstickt worden. Die verschlossene Türe zum Rang blieb ob der davorliegenden Brandopfer unversehrt und ist noch heute in einem Wiener Bezirksmuseum zu sehen. Eine monumentale Holztür, der mit ihren geschnitzten Grimassen vor dem Hintergrund der Katastrophe zusätzlich etwas Unheimliches anhaftet. Neben ihr liefern rußgeschwärzte Gegenstände, Gemälde und diverse Fluchtgeschichten in den Wiener Museen und in der Dokumentation Zeugnisse von jener Nacht. Nicht eingelöste Eintrittskarten zeugen vom Glück anderer.

Auf Knochen errichtet

Unter jenen Glücklichen, Verhinderten: Sigmund Freud. Kurze Zeit nach dem Brand bezog er das an der Stelle des abgebrannten Gebäudes errichte „Sühnhaus“. Gestiftet wurde es vom Kaiser Franz Joseph – in erster Linie vermutlich um die Wiener Bevölkerung, ob des Versagens in der Nacht des Brands, zu beschwichtigen. Die Mieteinnahmen sollten Bedürftigen zugute kommen. Wohnen wollte bis auf Freud in dem Haus jedoch kaum jemand. Und auch Freud selbst verließ jenes im Stil der Neogotik errichte „Märchenschloss“ kurz nachdem sich seine Patientin, die junge Pauline Silberstein, vom Dach gestürzt hatte. Eine weitere tragische Geschichte, die sich an dem Ort ereignete, der einst als letzte Ruhestädte für hingerichtete Straftäter und Revolutionäre diente. Nicht zuletzt deshalb war das Sühnhaus für viele Wienerinnen und Wiener ein auf weiteren Knochen errichtetes Gebäude.

Wenige Meter über den angeblich in der Erde verbliebenen menschlichen Überresten bewohnte der Portier des Hauses eine dunkle Kellerwohnung. Er war nach Beschwerde über die Schikanen, denen er unter seinem Vorgesetzten ausgesetzt war, hierher strafversetzt worden. Es galt offensichtlich als unschick im streng geführten Beamtenapparat des Kaisers aufzumucken. Die Frustration ließ nicht lange auf sich warten und der Mann begann wütend auf das „vornehme Gesindel“ zu schimpfen. Seine Lage besserte sich dadurch nicht, doch seine Aufzeichnungen blieben der Nachwelt erhalten. Maya Mc Kechneay hat sie in einem Archiv aufgespürt und zieht Verbindungen mit der allgemeinen  Repressionen in der Habsburgermonarchie und einer hirarchischen Gesellschaft.

Heute steht an Stelle jenes im Zweiten Weltkrieg unter mysteriösen Umständen zerstörten Hauses am Schottenring 7 die Wiener Polizeizentrale. Es ist ein funktionaler Nachkriegsbau. Im Keller befinden sich Schutzräume, die während der Zeiten des Kalten Krieges im Falle eines Notfalls als Kommandozentrale gedient hätten.

„Die Polizei findet den Gedanken in ihrer Zentrale einen dokumentarischen Geisterfilm zu drehen seltsam“, heißt es zu Beginn des Films. Gegen Ende kann man sich dank der geistreichen Übergänge und gesellschaftspolitischen Überlegungen Mc Kechneays fast keinen besseren Drehort mehr vorstellen. Überraschend gelungen.

Sühnhaus. Ein Film von Maya Mc Kechneay. Österreich 2016. 96 Minuten.

Ein interessantes Statement der Regisseurin findet sich auf der Filmhomepage unter http://www.suehnhaus-derfilm.at/statement.html.

Kinostart: 8. Dezember 2016

Geschrieben von Sandra Schäfer