Seit 50 Jahren veröffentlicht Ursula le Guin ihre mittlerweile mehrfach preisgekrönten Bücher und zählt damit zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Gegenwart; und das in einem Genre, das lange Zeit fast ausnahmslos in männlicher Hand war. Dabei ist es als Novize oder Novizin im Universum der Grand Dame der angloamerikanischen Science Fiction Literatur nicht leicht sich zurechtzufinden. Die am 21. Oktober 1929 in Kalifornien geborene Autorin sprengte zeitlebens die Ketten von als Genre gekennzeichneter Literatur. Ihre frühen Science Fiction Erzählungen enthalten ebenso magische Momente und ihre fantastischen oder utopischen Romane sind weitab von dem was der an den großen Science Fiction Autoren geschulte Leser erwartet. Im Vorwort zu einem ihrer bekanntesten Werke „The left Hand of the Darkness“ schreibt sie Science Fiction Literatur werde von vielen als „extrapolative“ – als eine Art Hochrechnung über zukünftige Entwicklungen verstanden. Doch, so Le Guin: „Science Fiction handelt nicht über die Zukunft“. Vielmehr gehe es darum Aspekte unserer psychologischen Realität zu beschreiben.

Als Autorin hat sie es zeitlebens verstanden wunderbare Lügenkonstrukte (Fiktionen) aus den Fäden eben jener Realität zu spinnen. Nicht von ungefähr bezeichnete Susanne Elizabeth Reid, eine frühe Biografin, Le Guin als „Dancing Weaver“ ähnlich einer Spinne, die aus alten Weisheiten neue Muster webt, deren Verbindungen und Querverweise uns zum Nachdenken anregen.

Selbstverwirklichung im friedlichen Verbund

„Die Zukunft in der Fiktion ist eine Metapher. Eine Metapher für was? Wenn ich es nicht metaphorisch sagen hätte können, hätte ich nie alle diese Wörter, diese Novelle geschrieben“, heißt es im Vorwort zu „The left Hand of Darkness“.
In dem mehrfach preisgekrönten Roman entführt Le Guin die Leser auf einen weit entfernten Eisplaneten, auf dem ein Volk androgyner Wesen lebt. Ein Wissenschaftler eines aus 83 Planeten bestehenden Verbundes agiert als Vorhut, um die Bewohner, die im Laufe ihres Lebens mehrmals ihr Geschlecht wechseln, zum Beitritt zu bewegen. Doch das Unternehmen erweist sich als schwierig. Zu unterschiedlich erscheint eine Lebensweise, in der Androgynität als die Norm und eindeutige Sexualität als pervers gilt. Und doch entspinnt sich im Laufe der Handlung eine tiefe Verbundenheit der beiden Hauptpersonen zueinander. Damit zeigt Le Guin nicht nur, dass gegenseitiges Verständnis möglich, sondern eine der Hauptaufgaben ist, wenn es darum geht Verantwortung anderen gegenüber und in der Gesellschaft anzunehmen. Eine Botschaft, die sich quer durch das Œuvre der Autorin zieht.

Le Guin selbst war in der Friedensbewegung aktiv. Ihr Roman „The Word for World is Forest“ kann als wütender Aufschrei gegen den Vietnamkrieg verstanden werden. Er zählt vielleicht zu den am deutlichsten gefärbten Büchern einer Autorin, die es stets vermied sich auf Schwarz-Weiß-Färben (hier gut dort böse) einzulassen. Selbst Systeme, die Le Guin als Alternative zu einer auf Ausbeutung beruhenden hierarchischen Gesellschaft erschienen, entbehren nicht ihrer Fehler, wenn sie das Leben einzelner Individuen und das reibungslose Zusammenleben negativ beeinflussen.
Selbst in „The Dispossessed“, „An Ambiguous Utopia“ wie das Buch im Untertitel heißt, ist das Leben auf dem Planteten Antares, das nach den anarchistischen Lehren einer gewissen Odo aufgebaut ist, von negativen Tendenzen durchzogen. Der auf westlichen kapitalistischen Zügen basierende Staat auf Antares Nachbarplaneten Urras erscheint zwar als verwerflich dargestellt, weil er einer Gruppe von Reichen ermöglicht sich auf den Rücken von anderen zu profilieren; dennoch schimmern auch hier gelegentlich Vorzüge im System durch.

Gegen Unterdrückung und Krieg

Le Guin, deren Vater Anthropologe und auf indianische Ureinwohner spezialisiert war, schöpft stets aus dem Menschlichen. Selbstverwirklichung und Zusammenleben nicht auf Kosten anderer ist ein Thema, das auch in ihren Fantasy-Romanen eine tragende Rolle spielt. In den ersten beiden Romanen ihres „Earthsee“-Quartetts wird die Thematik anhand zweier Coming-of-Age-Geschichten abgehandelt. Während der Magier Ged in „Tombs of Atuan“ ein junges Mädchen aus den Fängen eines dunklen Kultes befreit und ihr dabei hilft die Türen zu einem selbstbestimmten Leben zu öffnen, ringt er im ersten Band „A Wizard of Earthsea“ noch selbst mit dunklen Mächten. Es ist jugendliches Ungestüm und der Wunsch etwas zu beweisen, die ihn dazu verleitet einen Schatten aus dem Totenreich in die Welt zu lassen. Erst als er diesen als Teil seines Selbst erkennt, kann er Freiheit erlangen. Kein Yin ohne Yang. Der Earthsee-Zyklus sowie viele andere Bücher Le Guins sind von den Lehren des Taoismus durchdrungen. Der Mensch muss lernen sich im Fluss des Lebens, der Natur, die stets im Wandel ist, zurechtzufinden. Das erreicht er weniger durch Willenskraft und bewusstem Handeln, sondern indem er lernt, nichts mit Gewalt zu erzwingen. Auch in dem Roman „The Lathe of Heaven“, indem der Protagonist, der mittels Träumen im Stande ist die Welt zu verändern, von einem ehrgeizigen Doktor für seine Zwecke und Pläne der Weltverbesserung missbraucht wird, steht falscher Tatendrang im Mitelpunkt. Erst in letzter Minute kann der Missbrauchte eingreifen und das Gleichgewicht wieder herstellen.

Auch wenn es in erster Linie Science Fiction und Fantasy Romane waren, die die Mutter dreier Kinder und Expertin für romanische Literatur berühmt machten, so zählen zu Le Guins umfangreichen Œuvre ebenso Romane in realistischer Tradition, Gedichte und Kinderbücher. Ihre Bücher bilden eine fantastische Welt für sich und sind doch tief in unserer Realität verankert. Tatsächlich ist ihr Werk in Zeiten allgemeiner Krisen und der Kompromisslosigkeit sich auf andere und Anderes einzulassen aktueller denn je. Die Folgen jenes Unterlassens: Zerstörung und Krieg, etwas das ihr verhasst ist wie nichts anderes. Reine Dystopien und Science Fiction, die von endlosen Weltraumschlachten und sinnlosem Töten durchzogen sind, repräsentieren für die Autorin eine Zukunft die „unbewohnbar“ ist. In Le Guins Büchern schimmert am Ende stets so etwas wie Hoffnung durch.


Buchtipps:

Le Guin, Ursula: The Left Hand oft he Darkness. Ace Books: New York 1987. 352 Seiten. ISBN 978-0441478125.
Neuauflage: Erscheinngsdatum 25. Oktober 2016
Le Guin, Ursula: The Left Hand oft he Darkness. Hardcover. Published by Penguin Classics. 288 Pages. ISBN 9780143111597.

Le Guin, Ursula: Earthsea. The First Four Books. Puffin Verlag. Auflage: 39. Auflage. 1993. 704 Seiten. ISBN 978-0140348033.

Ursula Le Guin: The Lathe Of Heaven. Scribner Verlag: 2008. 192 Seiten. ISBN 978-1416556961.

 Ursula Le Guin. The Dispossessed: An Ambiguous Utopia. Harper Voyager: 1994. 400 Seiten. ISBN 978-0061054884.

Link zur offiziellen Website von Ursula Le Guin: http://www.ursulakleguin.com/

© Archipelago map by Le Guin, redrawn and recolored by Liam Davis

Geschrieben von Sandra Schäfer