Seit 1999 bespielt Schauspieler und Regisseur Prof. Bruno Max (Theater Scala und Mödlinger Stadttheater) im Sommer mit seinem „Theater zum Fürchten“ die ehemalige Luftschutzanlage im niederösterreichischen Mödling. Rund 90 Minuten heißt es für die Besucherinnen und Besucher den Alltag hinter sich zu lassen und in geführten Kleingruppen in den rund 900 Meter langen zur Theaterbühne umfunktionierten Stollen einzutauchen. Ein für viele jedes Jahr aufs Neue besonderes Erlebnis, das für ausverkaufte Vorstellungen sorgt. Doch wie verhält sich die Nachfrage in Zeiten von Corona und wie utopisch beziehungsweise dystopisch gestaltet sich die mittlerweile eingetroffene Zukunft – die Kulturfüchsin wollte es wissen und hat nachgefragt.

Herr Max, Sie widmen sich heuer der Utopie. Das erscheint angesichts der derzeitigen Corona-Krise sehr passend …

Wir hatten das Thema Utopia schon lange vor Corona ausgesucht. Allerdings hat Corona unser Konzept geändert. Es ist jetzt natürlich nicht so, dass sich alles um Corona dreht, aber wir haben versucht, das Thema spielerisch einzubauen.

Trotz diverser Anzeichen, kam die Corona-Krise für die meisten Menschen doch überraschend. Manch einer fühlte sich gar von der Zukunft eingeholt. Im Stück verwenden Sie Werke von Thomas Morus, der das Wort Utopia erstmals in die Literatur einführte, sowie Aldous Huxley – den meisten durch seinen dystopischen Roman „Brave New World“ ein Begriff. Welche Utopie oder Dystopie hat Sie im Zuge Ihrer Recherchen besonders fasziniert, abgeschreckt oder sich gar als wahr erwiesen? Und kann man das überhaupt voneinander trennen?

Es ist durchaus so, dass das was dem einen als Utopie erscheint, für den anderen eine Dystopie ist. Dass die Regierung zum Beispiel jederzeit weiß, wo ich mich aufhalte, mögen einige für eine Utopie halten, ich sehe darin eine Dystopie. Es gibt zahlreiche Dinge, die ausgedacht wurden um einer positiven Sache zu dienen, sich im Laufe der Zeit aber zum Schlechten entwickelt haben. Utopien sind immer schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Nehmen wir zum Beispiel Aldous Huxley – 20 Jahre nachdem er „Brave New World“ geschrieben hat, hat er gesagt, er dachte eigentlich, dass seine Prognosen in 600 Jahren zutreffen werden, jetzt sehe er sie eher bereits in Hundert realisiert. Andere Dingen, von denen man in meiner Kindheit gesprochen hat, wie dass es 1980 eine Stadt auf dem Mond geben werde oder wir bereits im Jahr 2000 zum Mars fliegen werden, sind bis heute nicht eingetroffen.

Das Theater im Bunker ist dafür bekannt, die unterschiedlichsten Textsorten zu einer Collage zu mixen. Auf welche Texte und Autoren darf sich das Publikum heuer noch freuen?

Wir haben heuer von Walt Disney über Bertha von Suttner und George Orwell bis hin zum Kosmonauten und Mary Shelleys letzten Menschen auf Erden so einige interessante und ungewöhnliche Wortmeldungen. Zum Beispiel haben wir uns dafür entschieden auch die Vorhersagen eines Wahrsagers aus dem Jahre 1973 in das Stück einfließen zu lassen. Im Übrigen geben wir fast alles wortwörtlich wieder. Schon Karl Kraus hat bekanntlich gesagt: „die grellsten Erfindungen sind Zitate“.

2005 haben Sie „Die letzten Tage der Menschheit“ von Kraus gespielt. Inwiefern dient der Bunker auch als Inspirationsquelle für die Stückentwicklung? Gibt es etwas, dass Sie gerne machen würden, wo Sie sich aber bisher noch nicht drüber getraut haben?

Unser Konzept ist, dass wir zwischen zwei Genres hin- und her wechseln. Zum einen haben wir die Stücke, die sich einem bestimmten Thema widmen, wie es heuer mit dem Thema der Utopie der Fall ist. In den vergangenen Jahren sind wir unter anderem in die Hölle gestiegen, haben Aliens landen lassen oder uns mit „Professor Freud erfindet den Sex“ der Sexualität im 19. Jahrhundert gewidmet. Zum anderen beschäftigen wir uns regelmäßig mit dem Leben und Werk eines bestimmten Autors wie letztes Jahr mit Karl May oder in den Jahren davor mit E.T.A. Hoffmann, Ferdinand Raimund oder Edgar Allan Poe.

„Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus haben wir mit 73 Schauspielern inszeniert. Etwas Größeres und Aufwendigeres kann es eigentlich nur mehr in einem Marstheater geben.

Sie sind seit mittlerweile über 20 Jahren im Bunker aktiv. In den letzten Jahren sind Sie dazu übergegangen, die Stücke jeweils zwei Jahre zu spielen. Wieso? Und inwieweit  ist das etwas, was Ihnen jetzt in der Corona-Krise entgegenkommt?

Jedes Jahr ein neues Stück aus dem Ärmel zu zaubern ist eine enorme kreative Leistung. 50 bis 60 Menschen müssen angezogen und ins richtige Bühnenbild gesteckt werden. Es muss geprobt werden. Bei 650 Meter Bühne ist das ein großer Aufwand, der sich für uns eigentlich erst im zweiten Jahr richtig lohnt. In Zeiten von Corona kommt noch erschwerend hinzu, dass wir an die 20 Prozent weniger Publikum haben. Normal sind wir um diese Zeit bereits ausgebucht. Derzeit stehen wir bei einer Auslastung von 80 Prozent. Für uns war und ist es wichtig gerade in diesen Zeiten, ein Lebenszeichen von uns zu geben. Vor allem auch für die Mitwirkenden, die spielen wollen. Es geht nicht zuletzt darum, ein Eckchen Normalität in einer unnormalen Zeit zu liefern.

Was uns vor – hauptsächlich finanzielle – Herausforderungen gestellt hat, ist eine sichere Atmosphäre zu schaffen. Wir haben 18.000 Euro in die Sicherheit investiert. Diese Investitionen reichen von Masken über Tests für die Schauspielerinnen und Schauspieler bis hin zur Anschaffung zusätzlichen Equipments. Normalerweise haben wir Garderoben vor Ort. Da diese allerdings den Mindestabstand nicht gewährleisten können, verwenden wir dieses Jahr die den Standards entsprechenden Garderoben im Stadttheater. Das heißt, dass wir zusätzlich einen Pendelbus, der die Schauspieler zum Bunker bringt, benötigen.

Das Theater im Bunker befindet sich im Reigen der niederösterreichischen Sommertheater. Sommertheater hat ja oft den Ruf seichter zu sein als das reguläre Saisonprogramm …

Schlechtes Theater ist in jeglicher Form von Theater schlecht. Man kann von seinem Publikum nicht verlangen über den Sommer zu verblöden und dann im Herbst wieder seinen gewohnten Anforderungen nachzugehen. Dabei geht es auch gar nicht um das Genre. Es gilt einen Anspruch, eine Verantwortung, zu erfüllen, die ebenso für ernste Stücke wie für Komödien gilt. Das trifft besonders auch für diesen Sommer zu, wo von den sonst rund 24 niederösterreichischen Sommerbühnen gerade einmal sechs oder sieben spielen.

Wie gelingt es Ihnen jedes Jahr das Publikum gut zu unterhalten – Sie selbst vergleichen die Inszenierungen im Bunker auf der Homepage mit dem Geisterbahn-Prinzip „hinter jeder Ecke etwas Neues“ – und dabei zum Nachdenken anzuregen?

Unterhaltung ist natürlich Ansichtssache. Ich persönlich finde zum Beispiel auch eine Shakespeare-Tragödie äußerst unterhaltsam. Prinzipiell sehe ich alles als Unterhaltung an, was Gefühle abseits von Langeweile und Erbrechen auslöst. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass in „Unterhaltung“ das Wort Haltung drinnen steckt. Nur Unterhaltung ohne Haltung das ist Berufsschwänzen. Es ist besser, wenn sich das Publikum gepflegt ärgert, als wenn es sagt: so, das war recht nett, jetzt gehen wir essen.

Mit 12 bis 15 Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit herrschen auch für ein Sommertheater recht ungewöhnliche Temperaturen. Es wird zum Teil spärlich bekleidet gespielt. Das klingt nach einer Herausforderung für die Schauspielerinnen und Schauspieler. Trotzdem kommen viele wieder. Wie schwierig gestaltet sich das Casting für eine derartig personenreiche Produktion?

Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich wie die Zuseher eineinhalb Stunden oder drei Stunden wie die Schauspieler im Bunker verbringe. Die Szenen sind allerdings sehr kurz. Kaum eine ist länger als sechs bis sieben Minuten. Die Schauspieler können sich zwischendurch sozusagen einpacken. Wir haben auch dieses Jahr wieder an die 50 Leute. Oftmals sind welche dabei, die schon in anderen Stücken mitgespielt haben, aber natürlich verlangen unterschiedliche Produktionen unterschiedliche Typen. Wenn ich nur drei kleine dicke habe, aber einen großen dünnen brauche, muss ich auf die Suche gehen. Von daher variiert die Besetzung jedes Jahr. Aber das Theater im Bunker bietet für alle eine willkommene Abwechslung zum sonstigen Theaterbetrieb.

Etwas, das jedes Jahr im Bunker aufs Neue beeindruckt, ist das Bühnenbild. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Marcus Ganser? Sie haben zuvor erwähnt: es sind 650 Meter Bühne – das klingt nicht nur arbeits- sondern auch kostenaufwendig …

Das Bühnenbild ist natürlich ein hoher Kostenpunkt. Wir haben mittlerweile allerdings das Glück, dass wir über einen enorm reichen Fundus verfügen. Zudem sind wir die Meister der Wiederverwertung. Marcus Ganser und ich zaubern gerade auch für dieses Jahr aufregende Dinge. Heuer werden wir beispielsweise in der einen Ecke einen Blick in den Kosmos, in einer anderen eine Brutstation für Embryonen haben, es gibt eine Ladestation für Androiden, einen Dschungel sowie eine Bar der überholten Utopisten, an der das Publikum unter anderem auf George Orwell trifft. Mehr werde ich jetzt nicht verraten. Lassen Sie sich überraschen.

Man darf gespannt sein. Vielen Dank für das Gespräch!
Danke auch!

Prof. Bruno Max wurde in Salzburg geboren. 
Er studierte Regie am Reinhardtseminar Wien.
Danach arbeitete er vier Jahre als Assistent und Schauspieler
am Burgtheater.
Gastregien unter anderem am Volkstheater Wien, Landestheater Linz,
Theater der Jugen und Renaissancetheater.
Bruno Max ist Gründer des „Theater zum Fürchten“
mit dem er den Bunker in Mödling bespielt.
Zudem ist er künstlerischer Leiter der Wiener Scala
sowie des Stadttheaters Mödling.

UTOPIA. Schöne Neue Welt(en). Im Bunker.
Premiere: 9. August
Weitere Termine: 13.08.-30.08.2020 jeweils Do-So
Gestaffelte Beginnzeiten: ab 18:00 Uhr
Im Luftschutzstollen Mödling, Brühlerstrasse
Kartenvorverkauf:
Wien: Mo – Fr: 10:00 – 15:00 Uhr (Wiedner Haupstraße 106, 1050 Wien)
Mödling: Mo & Mi 13:00 – 18:00 Uhr, Fr 10:00 – 15:00 Uhr (Schrannenplatz, Kaiserin Elisabethstr. 1, 2340 Mödling)
Kartenreservierung: 01 / 544 20 70
E-Mail: tzf@gmx.net
Homepage: www.theaterzumfuerchten.at

Titelbild: Plakatsujet „Utopia“ © Bettina Frenzel

Geschrieben von Sandra Schäfer