Umweltkatastrophen, eine globale Pandemie und das verstärkte Eindringen digitaler (Überwachungs)-Systeme in unseren Alltag – so manch einer mag sich in den letzten Monaten von einer düsteren Zukunft, wie sie in zahlreichen Science-Fiction-Filmen und Büchern gezeigt wird, eingeholt gefühlt haben. Wurde im 16. Jahrhundert mit dem Erscheinen von Thomas Morus Klassiker „Utopia“ (das Buch gab einem ganzen Genre seinen Namen) das Bild einer idealen (staatlichen) Gesellschaft konstruiert, so begannen sich mit dem 19. Jahrhundert verstärkt Erzählungen durchzusetzen, bei denen durch technischen Fortschritt bedingte Warn-Utopien kreiert wurden. Spätestens mit den heute zu den Klassikern zählenden Romanen von Aldous Huxleys „Brave New World“ (1932) und George Orwells „Nineteen Eighty-Four“ (1949) war die Entwicklung von der Darstellung einer idealen Ordnung zugunsten des Bildes vom totalen Ordnungsterror abgeschlossen. Der Einzelne tritt hier (im Gegensatz zum Bildungsroman des 18. Jahrhunderts) nicht länger als ein – im positiven Sinne – nach Perfektionierung strebendes individuelles Wesen in Erscheinung, sondern wird vielmehr zum Sklaven oder gar Handlanger eines (oftmals in schleichender Entwicklung unter Beteiligung der breiten Masse geschaffen) totalitären Systems, in dem jeglicher Freiraum zur persönlichen Entwicklung im Keim erstickt wird. Ein Entkommen erweist sich letztendlich als unmöglich.

Geradezu prophetisch nimmt sich mit Blick auf die heutigen sozialen Medien beispielsweise Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ aus (eine theatralische Bearbeitung des Stoffes – der vor allem durch die Verfilmung von Francois Truffaut mit Oskar Werner in der Hauptrolle in den 60er Jahren eine breite Bekanntheit erlange – feierte im Herbst im „Theater an der Gumpendorferstraße“ Premiere). Auch wenn wir von der Erschaffung einer Behörde zur Verbrennung von Büchern heute noch weit entfernt scheinen, zeigt Bradbury – der sich von der wachsenden Verbreitung des Fernsehen zu seiner Story inspiriert fühlte – auf beängstigende Weise, was mit einer Gesellschaft passiert, in der sich Menschen durch auf sie zugeschnittene (Kurz)-Nachrichten manipulieren lassen. Glaubt man den Rechercheergebnissen so mancher Publikation dürfte sich die Handlung des Romans – brandaktuell sozusagen – zwischen den Jahren 2010 und 2030 zutragen.

Mensch/Maschine

Explizit im kommenden Jahr angesiedelt wurde der Science-Fiction-Film „Johnny Mnemonic“. Das Drehbuch des 1995 erschienenen Action-Thrillers stammt von niemand Geringeren als William Gibson, der mit seinem Roman „Neuromancer“ in den 80er Jahren den Begriff des Cyberspace für eine mittels Computer erzeugte virtuelle Welt prägte.
Auch wenn sich die für das Jahr 2021 imaginierte Welt, in der das menschliche Hirn als Datenspeicher missbraucht wird, heute nicht wie im Film dargestellt ausnimmt, so kann Johnny Mnemonic doch nach wie vor als Warnung von der Wirkung von Technologie auf die menschliche Psyche verstanden werden.

Selbst zu Maschinen entwickelt sich die Menschheit in dem japanischen Animeklassiker „Ghost in the Shell“, der dem Genre (gemeinsam mit Akira) auch in Europa zum Durchbruch verhalf. Im Mittelpunkt, der im Jahr 2029 angesiedelten Erzählung, steht eine für Cyberkriminalität zuständige Polizistin, der als menschlicher Lebenskern lediglich ihr Ghost (eine Biokapsel mit Gehirnzellen) geblieben ist.
Neben der Frage, inwiefern ein solches durch die Verschmelzung mit der Technik entstandenes kybernetisches Wesen beziehungsweise eine künstlich erschaffene Inteligenz überhaupt als menschlich bezeichnet werden kann (man denke beispielsweise an den Film Blade Runner, dessen Handlung auf Philip K. Dicks „Do Androids Dream of Eletric Sheep“ basiert), hat sich heute auch das Horrorszenario von der bösen Maschine zum Dauerbrenner in Buch und Film entwickelt.

Was mit dem Traum von der Erschaffung eines künstlichen Menschen in Mary Shelleys „Frankensteins Monster“ oder Villiers de L’Isle Adam „L’eve Future“ begann – und mit Film-Highlights wie Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ einen ersten populärkulturellen Höhepunkt erfuhr – hat sich über die Jahrzehnte zur Revolte der Maschinen gegen die Menschheit ausgewachsen. Die Nachfahren von Stanley Kubricks Computer Hell aus „Odyssee 2001“ haben als Terminatoren die Erde verwüstet und die Menschheit versklavt. Lediglich zur Batterie umfunktioniert fristen die Menschen gar nach einem verlorenen Krieg mit den Maschinen in der „Matrix“ ihr Leben. Ein vierter Teil zur bisherigen Kult-Trilogie soll 2021 in die Kinos kommen. Wann die Handlung spielt ist allerdings ungewiss. Die Apokalypse – der Untergang der Menschheit – wurde jedenfalls für das Jahr 2139 angesetzt.

Apokalypsen und die Welt danach

Anders als noch in der Apokalypse des Johannes (in der die Erde gereinigt einen idealisierten Neuanfang für die Menscheit ermöglicht) ist der Mensch in zahlreichen zeitgenössischen Darstellungen als bedrohte Spezies zum Leben im Widerstand oder als rastloser Wanderer auf einem sterbenden Planeten verdammt. Sei es in einer aufgrund des Schmelzens der Polarkappen von Wasser überfluteten Welt (Waterworld), im wüsten Ödland wie es von George Millers Mad Max durchwandert wird (ein weiterer Mad Max Film sowie ein Spin-off zu Furiosa wurde für kommendes Jahr angekündigt) oder auf einer atomar verseuchten Erde, wie sie uns Dmitri Gluchowski und weitere Autoren in der russischen Buchreihe „Metro 2033“ beschreiben. Eine russische Film-Produktion über das von Mutanten bedrohte Dasein der letzten im U-Bahn-System vor sich hin vegetierenden Menschen soll 2022 folgen. Als Computerspiel konnte die post-apokalyptische Welt des Metro-Universums sich jedenfalls bereits ebenfalls eine große Fangemeinde erobern.

Berücksichtigt man den mittlerweile an Einnahmen Hollywood übertreffenden Spielemarkt, so hat sich in der Welt der Apokalypse(n) kein anderes Spiel wie Resident Evil über die Jahre zu einem derartigen Kassaschlager entwickelt. Die Spiel-und Filmreihe befindet sich mit Serienhits wie „The Walking Dead“ und Zombie-Film-Klassikern à la George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ in bester Gesellschaft. Romero selbst soll seine Inspiration von Richard Mathesons 1968 erschienenen Roman „I am Legend“, der unter anderen 2007 mit Will Smith in der Hauptrolle verfilmt wurde, bekommen haben. Matheson Version des (aufgrund seiner Immunität gegen ein Zombie-Virus) letzten auf der Erde lebenden Menschen wurde vom Autor in die 80er Jahre gelegt.

In England im Jahr 2021 ist hingegen P. D. James 1992 erschienene Novelle „Children of Men“ angesiedelt. Das Thema einer durch Umweltverschmutzung steril gewordenen Menschheit stellt auch die Ausgangslage in Margarte Atwoods 1985 erschienen Roman „The Handmades Tale“ dar. In einem von den „Söhnen von Jakob“ errichteten Gottesstaat sind die letzten wenigen Frauen, die noch Kinder gebären können, dazu verdammt ein fremdbestimmtes Leben als Dienstmagd zu fristen, wobei ihre eigentliche Daseinsberechtigung darin liegt, gemeinsam mit ihren Dienstgebern Nachkommen zu zeugen. Eine Adaption für das Fernsehen erfreute sich in den vergangenen Jahren großer Beliebtheit – als Buch ist eine Ausgabe auch in der aktuellen Ausstellung im Literaturmuseum zu sehen.

Schriftstellerinnen im Literaturmuseum

Mit Klassikern wie Mary Shellys „Frankenstein“ (zu bewundern in einer besonders hübschen Ausgabe von 1815), Christine de Pizans „Stadt der Frauen“, Charlotte Perkins Gilmans „Her“ und Virginia Woolfs feministischen Klassiker „Ein eigenes Zimmer“ wurde den Schriftstellerinnen bei der Schau ein besonderer Platz eingeräumt. Ebenfalls mit einem Werk vertreten ist die schwedische Autorin Karin Boye, deren Roman „Kollocain“ von einer Droge handelt, die die Menschen dazu bringt ihre intimsten Gedanken preiszugeben. „In Zeiten von umfassender Überwachung und ‚gläserner Menschen’, die ihre Privatsphäre in sozialen Medien und anderswo öffentlich zu machen gewillt sind, ist dieses Gedankenexperiment heute aktueller denn je“, sieht die Kuratorin der Ausstellung, Katharina Manojlovic ein erstaunliches Aktualitätspotenzial. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie Eingang in die Ausstellung gefunden hat auch eine pandemische Handbibliothek mit Werken von Boccaccios Klassiker „Decamerone“ über „Die Pest“ von Albert Camus bis hin zu Stephen Kings „The Stand“.

Als Vertreterin einer jüngeren österreichischen Schriftstellerinnen-Generation wurde Ann Cotten ausgewählt. In ihrem 2019 erschienenen Prosaband „Lyophilia“ flüchtet sich eine Gruppe von Musikern während des Weltuntergangs in ein Paralleluniversum, das von künstlichen Intelligenzen beherrscht wird, die über erstaunliche Fähigkeiten zu verfügen scheinen.

Wer wissen will, wie es zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich um die Fähigkeiten von Robotern und künstlichen Intelligenzen bestimmt ist, hat noch bis Sommer diesen Jahres Gelegenheit Näheres dazu im Technischen Museum zu erfahren. Auf fünf Stockwerken können Besucherinnen und Besucher im Rahmen der Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“ nicht nur vieles über die Funktionsweise von KIs erfahren, sondern sich auch über die Bandbreite ihrer Einsatzgebiete – im Haushalt, in der Freizeit, im Verkehr, aber auch im kreativen Bereich – schlau machen. Dass eine Maschine allerdings mit einem neuen Kultroman aufzuwarten versteht, dürfte vorerst noch zu bezweifeln sein. Eine „KI kann zum Beispiel relativ leicht ein neues Beatles-Lied bauen, aber eben immer nur auf Basis der bestehenden Beatles-Lieder. Sie wird den Stil der Beatles nicht verlassen“, betont der Kurator der Schau Christian Stadelmann. Die Welt dürfte zumindest vorerst durch das Treiben einer KI (man denke etwa an Skynet) oder mehrerer KIs noch nicht untergehen – wie es mit Umweltkatastrophen und den dadurch bedingten Seuchen aussieht, das steht allerdings auf einem anderen Blatt geschrieben.

Utopien und Apokalypsen. Die Erfindung der Zukunft in der Literatur
Bis 25. April 2021
Literaturmuseum
www.onb.ac.at

Künstliche Intelligenz?
Bis Sommer 2022
Technisches Museum Wien
www.technischesmuseum.at



Geschrieben von Sandra Schäfer