Es sind in Wahrheit nur wenige Worte, die Meise uns Reiner ihre Protagonisten sprechen lassen. Mehr braucht es auch nicht, um davon zu überzeugen, dass „Große Freiheit“ großes Kino ist. Neben der Auszeichnung zum besten Spielfilm beim Sarajevo Filmfestival wurde die deutsch-österreichische Koproduktion unter anderem beim Festival de Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“ mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. 2022 soll Sebastian Meises zweiter Spielfilm als Kandidat Österreichs für den Auslands-Oscar ins Rennen gehen. Am 19. November startet der Film in den heimischen Kinos.

Mit großer Körperlichkeit

Die Handlung, die Meise gemeinsam mit Drehbuchautor Thomas Reider basierend auf realen Schicksalen erdacht hat, erstreckt sich vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die späten 60er-Jahre und setzt immer dann ein, wenn Hans (Franz Rogowski) wieder einmal eine Gefängnisstrafe verbüßen muss. Als Homosexueller befindet er sich „in einem seltsam unauflösbarem Zustand: Kaum ist er in Freiheit, wird er auch schon wieder verfolgt“, so Reider über die Figur. Der nach dem deutschen Paragraphen 175 Verurteile, gilt nicht nur zu Zeiten des Nationalsozialismus als Verbrecher, sondern wurde auch von dem Alliierten, die in ihrem Land so ähnliche Gesetze hatten, als strafbar angesehen und landet direkt nach dem Konzentrationslager in einem deutschen Gefängnis, um seine Reststrafe abzubüßen. Erst als es 1969 (1971 in Österreich) zu einer Reform des Strafgesetzbuches kommt ist er frei. Doch kann er diese Freiheit genießen? Im Gefängnis hat er Viktor (Georg Friedrich) kennen – und lieben gelernt. Der Film erzählt die Geschichte dieser beiden Männer trotz der Handlung innewohnenden Tragik mit unglaublicher Leichtigkeit. Dass „Große Freiheit“ sich sehen lassen kann, ist nicht zuletzt der fantastischen Leistung der beiden Schauspieler zu verdanken. Letztendlich sind es vor allem die von Kamerafrau Crystel Fournier eingefangenen Körpern der Darsteller, die der Geschichte ihre große Erzählkraft verleihen.

In Schieflage geraten

Um Körperlichkeit geht es auch stark im letzten Spielfilm von Stefan Ruzowitzky. In seinem Thriller „Hinterland“ führt er das Publikum ins Wien der 1920er-Jahre.
Ruzowitzky selbst bezeichnet seinen Film selbst als „eine digitale Version des Stummfilmklassikers Das Kabinett des Dr. Caligari“. Gedreht wurde fast komplett vor dem Blue-Screen; die Hintergrundbilder sind hauptsächlich am Computer entstanden. Vor den Zuschauern entfaltet sich eine düstere, verzerrte und atmosphärisch überwältigende Wiener Stadtlandschaft. Durch diese aus den Fugen geratene Welt bewegt sich zu Beginn tappsend eine Gruppe von Soldaten. Die krummen Gebäude spiegeln sichtlich den inneren Gefühlszustand der Protagonisten wider. Die Welt von Gestern ist untergegangen, Österreich ist von einem Weltreich zum unbedeutenden Kleinstaat geschrumpft und statt Ruhm und Ehre erwartet die Männer nur weiteres Elend und Schande. Murathan Muslu spielt den ehemaligen Kommissar Peter Perg, der sich nur langsam in der jungen Republik zurecht zu finden weiß und es nur wenige Tage nachseiner Ankunft mit einem grausigen Mordfall zu tun bekommt, als einen in seinen Grundfesten erschütterten Vertreter einer alten Ordnung. „Hinterland“ ist ein ebenso spannender wie stellenweise, aufgrund der historischen Tatsachen, ergreifender Psycho-Thriller, den zu sehen sich lohnt.

Unterhaltsames Popcornkino

Mitreißend gestaltet sich auch ein Kinobesuch von „Klammer – Chasing the Line“. Der Spielfilm basiert auf Franz Klammers Sieg bei den Olympischen Spielen von 1976 und zeichnet die wichtigsten Stationen des Ski-Rennläufers auf dem Weg zur Legende nach. Eine ganze Nation fieberte damals dem Abfahrtslauf ihres „Kaiser Franz“ am Patscherkofel entgegen. Doch kann der junge Mann dem Druck standalten?

Wie wir heute wissen, konnte er. Wie er es geschafft hat seinen Weg zu gehen, davon erzählen Andreas und Elisabeth Schmieds mitunter auf unterhaltsame Weise. Der junge Julian Waldner spielt Franz Klammer ebenso sympathisch wie volksnah, die Aufnahmen des Kamerateams (Xiaosu “Xax” Han & Andreas Thalhammer mit Action-Unit Skiaufnahmen von Gerald Salmina / Planet Watch) können sich sehen lassen und der 70er-Jahre-Look (inklusive des Revivals der goldenen Skianzüge des österreichischen Olympiateams) verleiht dem Film einen gewissen Nostalgie-Faktor. Alles in Allem lässt sich sagen: „Klammer – Chasing the Line“ ist unterhaltsames Popcornkino aus Österreich.

Große Freiheit. Ein Film von Sebastian Meise. Österreich/Deutschland 2021. 117 Minuten.
Hinterland. Ein Film von Stefan Ruzowitzky. Österreich/Luxembourg 2021. 99 Minuten.
Klammer – Chasing the Line. Ein Film von Elisabeth und Andreas Schmied. Österreich 2021.

Geschrieben von Sandra Schäfer