Werden wir unsere Pakete statt von einem Postboten zukünftig durch Drohnen entgegennehmen? Wird uns im Restaurant der Zukunft ein Roboter das Mittagessen servieren und steigen wir irgendwann nur mehr in computergesteuerte Taxis? Schenkt man diversen Studien und Untersuchungen – wie sie beispielsweise die Ökonomen der Universität Lausanne gemeinsam mit der technischen Hochschule EPFL entwickelt haben – Glauben, so zählen Berufe wie Reisebüroangestellte, Kellner, Taxifahrer, Postbote aber auch beispielsweise Lagerarbeiter oder Models (die ersten virtuellen Models und Influencer haben bereits von sich reden gemacht) zu jenen, die über eine hohe Wahrscheinlichkeit der Automatisierung durch Maschinen unterliegen. Die Digitalisierung verändert unser aller Arbeit in einem enormen Ausmaß.

Mittelalterliche Spezialisierungen

Dass Berufe sich wandeln beziehungsweise ganz von der Bildfläche verschwinden ist freilich kein neues Phänomen. Gesellschaftliche oder wirtschaftliche Veränderungen sowie technische Errungenschaften haben immer schon zum Aufkommen neuer und zum Verschwinden von alteingesessenen Berufsgruppen geführt. Oftmals erinnern heute nur noch Straßennamen oder Redewendungen an einstige Professionen. Wer kennt ihn beispielsweise nicht den Ausspruch „aufpassen wie ein Haftelmacher“. Gemeint ist damit, dass man bei seiner jeweiligen Tätigkeit besondere Vorsicht walten lassen muss. Jahrhundertelang waren Haftel- oder Heftleinmacher für die Herstellung von feingliedrigen Häkchen und Ösen aus Draht zum Verschließen von Kleidung zuständig. Trotz der ansteigenden Verbreitung von Knopfwaren konnte sich das Gewerbe bis zur Industrialisierung halten. Ihr Arbeitsmaterial bezogen die Haftelmacher von den Drahtziehern, die Metalldrähte aus Eisen, Stahl, Kupfer oder Messing fertigten. Eine Gruppe, die mit den Drahtziehern in enger Verbindung stand, war jene der Nadler. Noch heute erinnert unter anderem die Wiener Naglergasse daran, dass hier – ursprünglich „unter den Nadlern“ – einst Nähnadeln hergestellt wurden.

Nicht auf den Mund gefallen

Schlendert man heute von der Naglergasse weiter zum Graben in Richtung Stephansdom, so passiert man dabei Wiens erste unterirdische Toilettenanlage. Der Luxus der öffentlichen Bedürfnisanstalten hielt in Wien erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Einzug. Lange Zeit war es üblich Latrinen im Hof, in der Nähe von Stall und Brunnen, zumeist aus Holz gefertigt, zu benutzen (für die Entsorgung dieser Senkgruben sorgten „Kotkönige“). Uriniert und defäziert wurde aber aufgrund des Fehlens öffentlicher Anlagen auch in Straßenecken und entlang von Hausmauern. Mit der Zunahme der Bevölkerung in den Städten tauchte ab dem 18. Jahrhundert der Abtrittanbieter auf. Die Aufgabe der Männer und Frauen (auch Buttenweiber genannt) war es, mit einer hölzernen Butte durch die Stadt zu gehen und Passanten mit der Zuhilfenahme eines, um den Körper gehaltenen Tuches, das diskrete Erleichtern zu ermöglichen. Die Sprüche der Damen und Herren zur Geschäftsanbahnung sollen oft von derber Natur gewesen sein.
Nicht minder für ihr Mundwerk bekannt waren auch die Fratschlerinnen – Marktfrauen, die mit allerlei Sprüchen ihre Kundschaft anlockten. Immer wieder soll es unter den Marktfrauen auch zu Streitigkeiten gekommen sein. Eine Besonderheit unter den Verkäuferinnen stellte die Lavendelweiber dar, die noch bis weit ins 20. Jahrhundert ihre Sträuße anboten. Ebenfalls noch bis in die 1970er-Jahre ist auf der Wiener Mariahilfer Straße beispielsweise ein Planetenverkäufer belegt. Die Händler verkauften Glücksbriefchen (Planeten), die von Mäusen oder auch Papageien gezogen wurden.

Am Tag und in der Nacht

Lange Zeit zum Erscheinungsbild gehörten in Wien auch die Sesselträger. Die Einrichtung von Tragsesseln ist in der österreichischen Hauptstadt ab 1677 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nachweisbar. Der Ausbau der Stellwagen-Routen drängte die Sesselträger, die unter anderem am Standplatz bei der Wiener Michaelerkirche anzutreffen waren, allerdings zurück. Bis heute hat sich nur mehr ein einziger Tragsessel erhalten, der seit der Wiedereröffnung des Wien Museums in der permanenten Schausammlung zu bestaunen ist.
Ebenfalls auf dem Michaelerplatz erinnerte lange Zeit anstelle des heutigen Loos Hauses das sogenannte Dreiläuferhaus an den heute verschwundenen Berufszweig der Läufer. Diese hatten den herrschaftlichen Kutschen vorauszulaufen und mit Stöcken für freie Bahn zu sorgen, beziehungsweise des Nächtens mit Fackeln die Straße zu beleuchten. Als die Ausübung des Berufes Mitte des 19. Jahrhunderts untersagt wurde, verfügte die Stadt bereits über eine erste Gasbeleuchtung. Das Befüllen, Putzen und Anzünden der Laternen hatten ab 1777 Lampenknechte zu erledigen. Mit Neuerungen in der Beleuchtungstechnik wurden aus den ehemaligen Anzündern Wächter. Die letzten Laternenwächter waren in Wien noch bis in die beginnenden 1960er Jahre unterwegs.
Wer mehr über das ehemalige Berufsbild der Läufer und Laternenknechte erfahren möchte, oder wissen will, welchen Weg früher der gesammelte Urin nahm und warum es für diesen auch heute noch einen Markt gibt, der kann dies im Rahmen von Stadtführungen zum Thema tun. So tourt beispielsweise auch die Kulturfüchsin ab Ende März auf den Spuren der vergessenen Berufe durch Wien. Anmeldung unter: sandra.schaefer@kulturfuechsin.at

Ebenfalls regelmäßig auf Stadterkundung geht auch Austria Guide Tanja Rosenberger (die nächsten Spaziergänge auf den Spuren der ausgestorbenen Berufe finden am 28. April und am 26. Mai um 13:00 Uhr statt. Anmeldung unter: www.tanjarosenberger.at/ausgestorbene-berufe/). Eine passende Thementour befindet sich außerdem im Programm des Klassenfahrtanbieters „Jugendtours“ (https://www.jugendtours.de/klassenfahrten/) und kann als Zusatzleistung im individuellen Wienprogramm gebucht werden.

Titelbild: Georg Emanuel Opitz (auch Opiz) (Künstler), „Wien./Der Graben, der ital. Salami u. Käseverkäufer, Portchaisenträger, Straßenkehrerbuben, Spaziergänger.“, um 1830, Wien Museum Inv.-Nr. 141514, CC BY 4.0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/246701/)

Geschrieben von Sandra Schäfer