„Wonderland“ so der Titel von Erkan Özgens Video, in dem ein syrischer Flüchtlingsjunge in Zeichensprache seine Erfahrungen während der Flucht wiedergibt. Es sind Gebärden von starker Intensität. Bis zum Sommer nächsten Jahres werden sie in der Sonderausstellung „Zeig mir deine Wunde“ über den Bildschirm laufen. Trotz des offenkundig drastischen Inhalts, scheint den Aufnahmen dennoch etwas Hoffnungsvolles innezuwohnen.
„Mit der Verwundung kommt auch oft die Kraft“, um es in den Worten von Dom-Museum-Direktorin und Kuratorin der Ausstellung, Johanna Schwanberg auszudrücken.
Die Ausstellung – die Schwanberg bereits im Kopf hatte, bevor sie vor einem Jahr den Direktionsposten antrat – bezieht sich sowohl im Titel als auch im Hinblick auf das Leitmotiv auf die Installation „Zeige deine Wunde“ von Josef Beuys. Der berühmte deutsche Nachkriegskünstler organisierte 1975 in einer Münchner Fußgängerpassage eine Installation mit Krankenbetten und medizinischen Geräten. „Eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden“, lautete die Auffassung Beuys.

Verwundung des Menschen und der Natur

Nur wenn ein Zeigen von Verwundbarkeit stattfindet, kann es im Leben zu Begegnungen kommen, ist man auch im Dom Museum überzeugt. Anliegen der Ausstellung sei es keine theoretischen Überlegungen zum Thema Verwundbarkeit zu illustrieren. „Vielmehr geht es darum, durch assoziative, mitunter auch gezielt kontrastierende Gegenüberstellungen Besucherinnen und Besucher anzuregen, über ein zentrales Thema des Menschseins nachzudenken“, so Schwanberg.
Die Palette der gezeigten künstlerischen Auseinandersetzungen reicht von Verletzungen an Körper und Seele (ergreifend plastisch, eine Skulptur Anders Krisárs, die den Arm und Torso eines Kindes zeigt, in dessen Körper sich Wundmale gewalttätiger Berührungen eingegraben haben) über die Werkzeuge der Verwundung (von Darstellungen des Heiligen Sebastian bis zu Raphael Dallaportas Serie von Minen) bis hin zur Verwundung der Natur durch den Menschen. Letzteres wird geradezu entzückend herzzerreißend an einem das vom Sauren Regen zerfressene Maul aufreißenden Hunde-Wasserspeiers von der Fassade des Stephandoms thematisiert.

In einem Meer von Blut ertränkt hingegen Guillaume Courtois in seinem Gemälde, nach einer Vorlage von Lorenzo Bernini aus dem 17. Jahrhundert, sinnbildlich die menschlichen Sünden.
In der christlichen Bildgeschichte wurde die Wunde immer mehr zu einem zentralen Thema. Die Wunde Christus, aus der Blut und Wasser strömt, wird zur Quelle des Lebens und des Glaubens. So werden die Wunden Jesu im Laufe der Kunstgeschichte immer detaillierter und zahlreicher. Von der Drastik der Darstellung zeugen in der Ausstellung im Dom Museum unter anderem ein Kruzifix eines anonymen Künstlers, das den Körper des Erlösers über und über mit Verletzungen gespickt zeigt.

Verletzungen des Gemäldes weist der ansonsten relativ unversehrt wirkende Körper Christi im Kreuzigungsbild aus dem erzbischöflichen Palais auf. Das Bild vom Anfang des 19. Jahrhunderts wurde im Zuge des Sturms von erzürnten Angehörigen der SA und der Hitlerjugend als Reaktion auf die Rede von Kardinal Theodor Innitzer, in der er verkündete „Christus ist unser Führer“, auf das Palais zum Teil zerstört.

Der Schnitt in die Leinwand

Während sich in den, in den Bildträger geschlagene „Wunden“ ein Stück dunkle Geschichte eingeschrieben hat, zeugen die Verletzungen der Gemälde auf der Wand gegenüber von einem Ineinanderfließen der Gattungsbegriffe der Malerei und Skulptur. Durch Schnitte in der Leinwand erweiterte unter anderen Lucio Fontana den Begriff der Malerei, in dem er durch die so entstandene Dreidimensionalität des Gemäldes in den Raum vordringt.

Wie auch schon in der vorangegangenen Ausstellung „Bilder der Sprache“ entfaltet das Aufeinandertreffen und gelegentliche Aufeinanderprallen moderner künstlerischer Positionen auf sakrale Kunst auch in „Zeig mir deine Wunde“ einen besonderen Reiz. So findet sich das Schweißtuch Christi (jenes Tuch, das nach der Bestattung den Kopf Jesu umhüllte) aus der Schatzkammer des Stephandoms in Nachbarschaft zu Joseph Beuys‘ Pipette in einem Glaskasten. Ein Stück Fleisch der Performancekünstlerin Orlan, das sie sich in einer Aktion gegen den Wahn der Schönheitsoperationen aus dem Körper schneiden ließ, begegnet man in einem Raum bevor man einer mittelalterlichen Skulptur der Heiligen Agatha, die ihre abgeschnittenen Brüste auf einem Buch vor sich trägt, gegenübersteht.

Am Ende werden die Besucherinnen und Besucher im Rahmen des „The Scar Project“ der Künstlerin Nadia Myres dazu aufgefordert, ihre Wunden selbst in eine Leinwand zu sticken.

Zeig mir deine Wunde
20. September 2018 bis 25. August 2019
Dom Museum Wien
Stephansplatz 6
1010 Wien
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag 10 bis 18 Uhr , Donnerstag 10 bis 20 Uhr
Montag, Dienstag geschlossen
www.dommuseum.at

Titelbild: Erkan Özgen, Wonderland (Still), 2016. Leihgabe des Künstlers. Foto: Erkan Özgen

Geschrieben von Sandra Schäfer