Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig zählt weltweit zu den bekanntesten und bedeutendsten Autoren Österreichs des 20. Jahrhunderts. Seine Bücher verkauften sich wie die sprichwörtlich „warmen Semmeln“, er war als Übersetzer gefragt, seine Meinung von Interesse und es gab kaum einen Intellektuellen seiner Zeit, den der Wiener, aus bürgerlich-jüdischen Verhältnissen stammende Schriftsteller, nicht gekannt hätte. Zweig war ein Mensch, der – oberflächlich betrachtet – auf der Sonnenseite des Lebens zuhause schien. Selbst als politisch in Europa die lange, dunkle Nacht hereinbrach, schien Zweig das Licht nicht zu verlassen. Früh gelang dem in seiner Heimat von den Nationalsozialisten Diffamierten die Flucht ins Exil. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er Großteils in Brasilien, wo er uneingeschränktes Aufenthaltsrecht besaß – und wo er sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau, Lotte, 1942 das Leben nahm. Warum er sich zu diesem drastischen Schritt entschied, darüber kann freilich nur spekuliert werden.

Aber gerade dies tut Maria Schrader mit ihrem aktuellen Kinofilm „Vor der Morgenröte“ nicht – zumindest nicht in der für Historienfilme üblichen Konstruiertheit. Anstatt das 60jährige Leben des Schriftstellers zu durchleuchten und diverse Szenen aneinanderzureihen, fokussiert die Regisseurin in sechs langen Episoden die späten Jahre Zweigs. Es sind Momentaufnahmen, die den Zuseher erahnen lassen, welche dunkle Wolken das Gemüt des Schriftstellers zunehmend umhüllen.

Besonders deutlich wird die psychische Verfassung des Vertriebenen in einer Szene, in der er gemeinsam mit dem Schriftsteller und Journalisten Ernst Feder (Matthias Brandt) auf der Terrasse von dessen neuer Heimstätte in den Urwald blickt.
Zweig – meisterhaft von Josef Hader verkörpert – sieht auf das Naturparadies vor sich und fragt sich, wie man dies alles ertragen soll, wenn zuhause Freunde, Verwandte, Bekannte und andere Unschuldige ermordet werden. Der Verfall der Welt im alten Europa lastet schwer auf ihm. Eine Welt, als dessen Bürger sich der überzeugte Pazifist ganz in der Tradition Goethes gesehen hatte.

Josef Hader brilliert als Zweig

Es ist ein zurückhaltender Zweig, den Maria Schrader und Josef Hader ihrem Publikum präsentieren. Hader spielt Zweig als fast schüchtern wirkenden freundlichen Herren, der sein Leben im Exil zwischen Neugierde – gepaart mit schriftstellerischem Schaffensdrang – und emotionaler Überforderung zu meistern versucht. Der Geflüchtete kommt von Europa nicht los. Die Heimat ist, obwohl in keiner einzigen Szene zu sehen, doch ständig präsent. Sei es in Form des Donauwalzers, den die Dorfkapelle eines kleinen brasilianischen Ortes anstimmt, als Zweig im Rahmen von Recherchen für sein Brasilienbuch auf den Bürgermeister trifft; oder in Gestalt der vielen Briefe, die den Schriftsteller mit Bitte um Fluchthilfe erreichen.

Gekonnt ins Bild gesetzt werden die Ereignisse durch die direkt und elegant wirkenden Aufnahmen des Kameramanns Wolfgang Thaler, der laut Schrader über ein „nahezu schamanistisches Gespür für Bilder“ besitze. Bei manchen Szenen, wenn der Schweiß den Protagonisten am Körper klebt, ist die Hitze Brasiliens regelrecht im Kinosaal spürbar.

Mit viel Fingerspitzengefühl in Szene gesetzt ist auch der Epilog, indem Stefan und Lotte Zweigs (Aenne Schwarz) Leichen gefunden werden. Kurz schwingt die Spiegeltüre eines Kastens durch einen Luftzug nach vorne und liefert für den Bruchteil einer Sekunde einen Anblick, den man bereits erahnen konnte: Zweig liegt tot auf dem Bett. Nur wenige Momente zuvor hatte der Schriftsteller sein wohl bekanntestes Buch im brasilianischen Petrópolis zur Post gebracht. Die Arbeit an seinem letzten großen literarischen Wurf wird im Film nur angedeutet – „Die Schachnovelle“. Mit ihr gelang Zweig ein allseits bekanntes Meisterwerk, mit dem er nicht zuletzt die Pein der inneren Emigration und des Exils zu Papier brachte.

Vor der Morgenröte. Stefan Zwei in Amerika
Ein Film von Maria Schrader
Mit Josef Hader, Aenne Schwarz, Barbara Sukowa, Matthias Brandt, Charly Hübner u.v.m.
Deutschland / Frankreich / Österreich 2016
106 Minuten

Kinostart: 3. Juni 2016

Geschrieben von Sandra Schäfer